Diese Ausstellung ist eine Lüge. Schon das Wort "Bierbauch" ist ein wissenschaftlicher Irrtum, denn nicht das Bier ist hauptverantwortlich für den Bierbauch, sondern der Schweinsbraten und der Presssack und was sonst alles reingeht in so eine Wampe. "Der ist einfach angefressen", sagt Xaver Dietz, und er muss es wissen, er hat Modell gestanden für die Ausstellung. Noch besser weiß das Marion Ruisinger vom Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt: "Der Bierbauch hat mit Bier nichts zu tun. Der Bierbauch ist einfach nur Speck."
Nur Speck? So einfach ist das natürlich nicht, und deswegen ist es schon angemessen, dem Bierbauch eine ganze Ausstellung zu widmen. Der Bierbauch gehört ja zum Kulturgut, jedenfalls in Bayern. In kulturliebenden Kreisen gilt der Bierbauch für sich allein genommen schon als Kunstwerk, vor allem natürlich in Kreisen kulturliebender Bierbauchträger. Die Ausstellung bricht mit diesem, nun ja, Bierernst, mit dem die Bayern gerade allerorts das 500. Jubiläum des Reinheitsgebots anpreisen. "Wir wollten es ernst machen, aber nicht zu belehrend, sondern auch ästhetisch und witzig", sagt Marion Ruisinger, die das Projekt des Künstlerpaars Gabriele und Thomas Neumaier als medizinische Ratgeberin begleitet hat. "Am Ende haben wir uns für die Schnittstelle von Körper und Bier entschieden: für den Bierbauch."
Nur, wie inszeniert man ein Kulturgut, das erst mal nicht mehr darstellt als eine Ansammlung von Fett unter einer haarigen Hautschicht? Gabriele Neumaier tut das, indem sie den Bierbauch nicht als das betrachtet, was er ist, sondern was er alles sein könnte. Der Bierbauch als künstlerische Spielwiese, als fleischgewordene Modelleisenbahnlandschaft. Ohne Eisenbahn, logisch, dafür mit Plastikfigürchen, so winzig, dass der Bauch erst recht gewaltig wirkt. Etwas Mehl auf die Wampe, fertig ist die Skipiste. Eine Soldatenfigur in den Bauchnabel setzen, zack, ist der Nabel ein Schützengraben. Ein bisschen kräuselndes Bauchhaar abschneiden, ein Männchen mit Sense daneben, schon ist der Bierbauch eine Erntelandschaft. Normalerweise ist es ja so: Wenn Fotokunst Bauch zeigt, dann in Hochglanz. Werbung und Modemagazine kennen nur enthaarte, fotoshoppolierte Waschbrettmännerbäuche. Der postmoderne Mann hält sich eben gern an Bilder, in denen er sich selbst wiedererkennt, oder besser: an Sehnsuchtsbilder, in denen er sich gern erkennen würde. Die Bilder von Gabriele Neumaier kommen dagegen ohne Hochglanz aus, nicht mal besondere Lichttechniken nutzt sie. Ein Statement gegen die Eitelkeit eines totalitären Körperkults, der die Askese zum Lebensprogramm macht. Eine Anklage der Postmoderne, die aus maßloser Sehnsucht nach Vernunft auf alles verzichtet, was Lust bringt - aufs Rauchen und eben aufs Trinken, auf fettes Essen.
"Lustfeindlich" nennt Gabriele Neumaier diesen Zeitgeist, ihre Bilder protestieren dagegen. So gesehen ist auch Fotomodell Xaver Dietz ein Rebell. Er ist Anfang 60, Unternehmer, Kabarettist, CSU-Mitglied, überm Bierbauch in drei Schichten: Feinripp-Shirt, Karohemd, Cord-Janker. "Die Form seines Bauches ist einfach optimal", sagt die Künstlerin. Und Ärztin Marion Ruisinger erklärt, warum: "Sein Bauch ist eine Mischung aus Stehfettbauch und Fließfettbauch", den zwei typischen Bierbauchformen, er ist prall und teigig zugleich. In drei Sitzungen à drei Stunden hat Xaver Dietz für etwa die Hälfte der 42 Fotografien posiert, für die übrigen Aufnahmen kam ein anderes Modell zum Einsatz, das anonym bleiben möchte. Die Figuren hat Gabriele Neumaier auf dem Bauch festgeklebt, dann hat sie fotografiert und währenddessen mussten die Modelle die Luft anhalten, damit nichts verwackelt.
Den ernsthaften Teil der Ausstellung hat Thomas Neumaier arrangiert, der sich mit der Kehrseite der reinen Lust am Essen und am Biertrinken befasst hat. "Die Lust hat ja immer zwei Pole", sagt er. Deren zerstörerische Kraft zeigt Neumaier zum Beispiel an einer Puppe, die dem Künstler Martin Kippenberger nachempfunden ist, über den es heißt, er habe sich totgesoffen, mit nur 44 Jahren. Ebenfalls von Thomas Neumaier stammen die teils aufblasbaren, teils gepolsterten Bierbauchattrappen zum Umschnallen, die an den Wänden des alten Kuhstalls des Bauerngerätemuseums hängen, wo die kleine Ausstellung stattfindet. Diese Exponate versinnbildlichen die Lächerlichkeit, für die der Bierbauch eben auch steht - nicht umsonst kann man Bauchattrappen als Faschingskostüm kaufen. Gabriele und Thomas Neumaier in Kooperation mit dem Medizinhistorischen Museum Ingolstadt. Rund um den Bierbauch. Bis zum 10. Juli im Bauerngerätemuseum Hundszell-Ingolstadt.