Süddeutsche Zeitung

Ausflugsziel Wackersberg:Das Dorf über den Wolken

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Wiesen, Kühe, Schweinsbraten: Auf einer Anhöhe über Bad Tölz liegt Wackersberg und mittendrin der Altwirt. Hier sieht es immer noch so aus wie in Bayern vor hundert Jahren. Und die Einheimischen feiern rauschhafte Feste.

Von Sebastian Beck, Wackersberg

Es gibt so Tage, da scheint das Dorf zu schweben. Wenn unten im Tal der Nebel hängt, wenn in München Nieselregen auf die Laune schlägt. Dann muss man nur die paar Kilometer aus dem Tölzer Kurviertel hinauffahren, um alles hinter sich zu lassen. Oben auf dem Plateau reißen die Wolken auf und geben den Blick frei auf dieses Panorama: der Kirchturm von Wackersberg, um den sich die Häuser ducken.

Dahinter das Brauneck, die Isartaler Berge. Kein Gewerbegebiet, keine Tankstelle, kaum Verkehr. Nur Wiesen, Wald, Kuhglocken. Ein Dorf, das einem bewohnten Museum gleicht, und doch bloß eine Stunde von der Landeshauptstadt entfernt liegt.

Von hier wegziehen? Was für eine seltsame Frage in den Ohren von Johann Baumgartner. "Ich kann's mir nicht vorstellen", sagt er. Schon allein deshalb, weil er einen Bauernhof bewirtschaftet, wie viele hier. Und er bekleidet ein Amt, das ihm eine stärkere Stellung verleiht als Bürgermeister und Pfarrer zusammen: Baumgartner ist der 21. oder 22. Hauptmann der Gebirgsschützenkompanie Wackersberg - so genau weiß er das auch nicht mehr - und als solcher Oberbefehlshaber der friedlichsten Kampftruppe der Welt. Einmal im Jahr am Vatertag trifft man sich zum Vorderladerschießen, sonst steht bei den 180 Mann die Traditionspflege im Vordergrund.

Dionysisches Gelage unter Bäumen

Für ihn und seine Männer hat das Jahr seit jeher einen Höhepunkt: Fronleichnam. Der Festtag lockt Einheimische und Ausflügler gleichermaßen nach Wackersberg. Es ist ein im wahrsten Sinne rauschhaftes, humanistisch Gebildete würde sagen: dionysisches Gelage, das sich da nach dem Kirchgang unter den alten Bäumen im Biergarten des Altwirts abspielt.

Baumgartner versichert: "Das ist nicht inszeniert, das ist ursprünglich und ehrlich." Alle tragen Wackersberger Tracht: Männer, Frauen und die Kinder. Die Blaskapelle spielt sich bis Mittag in einen ekstatischen Zustand, Baumgartner lässt in den Pausen die ehrenwerten Spender für die Schützenkompanie hochleben.

So gegen Nachmittag kippt die Stimmung ins schläfrig Melancholische. Es wird still, und man kann den Wind in den Bäumen rauschen hören. Ab und an donnern die Bauern mit ihren neuesten Geräten vorbei, von ihren Traktoren herunter brüllen sie den Fortgang ihres Tagwerks den Kollegen zu. Das alles in dem sehr speziellen Wackersberger Dialekt, bei dem das R so weit hinten ausgesprochen wird, dass es sich wie Texanisch anhört.

Ein paar Einlagen der letzten einsatzfähigen Musikanten noch, die Instrumentalfassung von "Hey, Pippi Langstrumpf", dann ist Fronleichnam wieder vorbei. Die Schützen wanken mit geschultertem Vorderlader und zwölf Halben Bier oder mehr der Heimat zu. Stallarbeit wartet. Der Biergarten gehört wieder den Sommerfrischlern.

In diesem Jahr feiert der Altwirt sein 250-jähriges Bestehen. Auf die denkmalgeschützten Stuben hat sich die Patina von Generationen gelegt. Von Renovierungen ist der Altwirt verschont geblieben, deshalb hängen noch die hundert Jahre alten Fotos von den Gebirgsschützen an den getäfelten Wänden.

In der Luft liegt der Geruch von Faschingsbällen, Vereinsfeiern und Schweinsbraten. Hinten in der Stube, da saß früher immer ein ganz besonderer Gast: Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der in Wackersberg ein Ferienhaus besaß und es genoss, zwar geachtet, aber nicht beachtet zu werden.

"Der Altwirt ist für uns sehr, sehr wichtig", sagt Baumgartner. "Das ist unser Vereinsheim." Die Wirtschaft markiert das Zentrum des Dorfs, immer noch. Der letzte Laden hat schon vor ein paar Jahren zugemacht, die Zahl der Kirchgänger geht auch in Wackersberg zurück. Der Wirt bleibt.

Vor vier Jahren hat Konrad Goldner den Altwirt von seinen Eltern übernommen. Am Morgen schürt er den alten Holzofen ein, in dem der Schweinsbraten reift. Tafelspitz, Schnitzel, Braten, damit macht er einen großen Teil des Umsatzes. Und daran hält Goldner eisern fest: "Bodenständig" sei die Kost.

Sinnbild eines bayerischen Gasthauses

Für Freunde der leichten Küche ist der Altwirt die falsche Adresse. Im Dorf sagen sie, so ein bisschen frischer Wind auf der Speisekarte wäre bei aller Tradition vielleicht mal ganz gut. Damit ihre Wirtschaft bleibt, was sie so lange war: das Sinnbild eines bayerischen Gasthauses.

Die Gebirgsschützen werden jedenfalls wiederkommen: Erntedankfest ist so ein Pflichttermin im Altwirt. Dann sitzen wieder die da, die immer da sitzen. Wie wird man eigentlich Wackersberger? "Einheiraten reicht nicht", sagt Hauptmann Baumgartner. "Wackersberger wird man, indem man länger da wohnt." Wie lange, das sagt er nicht. Aber ein paar Generationen sollten es wahrscheinlich schon sein.

Für den Tipp bedanken wir uns bei Konrad Goldner aus Wackersberg.

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Quelle:
SZ vom 14.07.2015
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