Augsburger Polizistenmord:Sprachstörungen und Depression

Polizistenmord-Prozess Augsburg

Der des Mordes angeklagte Rudolf R. (links) umarmt im Landgericht Augsburg seinen Bruder. Der Prozess wurde unterbrochen.

(Foto: Stefan Puchner/dpa)

Die beiden mutmaßlichen Augsburger Polizistenmörder sind im Gefängnis von anderen Häftlingen strikt getrennt. Verteidiger und Gutachter sagen, die isolierten Haftbedingungen hätten das Stadium des Unerträglichen erreicht - der Richter sieht das anders.

Von Hans Holzhaider

Isolationsfolter, Vernichtungshaft - polemische Schlagworte aus den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als Mitglieder der terroristischen Rote-Armee-Fraktion teilweise jahrelang in strenger Absonderung von anderen Gefangenen inhaftiert waren. Dass solche Haftbedingungen zu psychischen und physischen Schäden führen können, ist unbestritten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich wiederholt mit der Problematik der Isolationshaft befasst.

In Deutschland, so glaubt man gemeinhin, ist Isolationshaft seit Jahren kein Thema mehr. Ein Antrag der Verteidigung im Prozess gegen zwei Männer, die des Mordes an einem Polizisten beschuldigt werden, erschüttert diesen Glauben. Ihr Mandant, so tragen die Verteidiger vor, sei durch die seit 15 Monaten andauernde strenge Absonderung von allen sozialen Kontakten so geschädigt, dass er nicht mehr in der Lage sei, der Verhandlung zu folgen.

Raimund M., 60, und sein Bruder Rudi R., 58, sind angeklagt, im Oktober 2011 im Augsburger Stadtwald den 41-jährigen Polizisten Mathias Vieth erschossen zu haben. Seit dem 21. Februar stehen die Brüder in Augsburg vor Gericht. Der Vorsitzende Richter Christoph Wiesner hat strenge Sicherheitsmaßnahmen angeordnet. Die Angeklagten müssen Fußfesseln tragen, die auch während der Verhandlung nicht abgenommen werden.

Aber nicht nur im Gerichtssaal, auch in der Haftanstalt gelten besondere Regeln für die beiden Brüder. Sie dürfen keinerlei Kontakt mit anderen Gefangenen haben. Bis auf eine Stunde Hofgang verbringen sie den gesamten Tag in ihren etwa zwölf Quadratmeter großen Einzelzellen. Auch mit ihren Verteidigern dürfen sie nur durch eine Glasscheibe getrennt sprechen, die Hände bleiben dabei gefesselt. An Gemeinschaftsveranstaltungen, auch an Gottesdiensten, dürfen sie nicht teilnehmen. Der Grund für diese rigorosen Maßnahmen liegt in angeblichen Fluchtplänen, die im Juli 2012 entdeckt wurden. Ein Mitgefangener hatte ausgesagt, Raimund M. und Rudi R. hätten geplant, einen Richter als Geisel zu nehmen, um ihre Freilassung zu erpressen.

Vollständige Isolation

Beim jüngsten Prozesstermin in Augsburg stellten die Rechtsanwälte Adam Ahmed und Werner Ruisinger den Antrag, die Haftbedingungen für ihren Mandanten Raimund M. zu lockern und ihm den Kontakt mit anderen Gefangenen zu ermöglichen. Ahmed schilderte den Tagesablauf seines Mandanten in der JVA Straubing: 6 Uhr Wecken; 8 bis 9 Uhr Hofgang, vollkommen isoliert. Davor und danach muss sich der Gefangene vollständig entkleiden. 11.20 Uhr Essensausgabe in der Zelle - Mittagessen, Abendessen und Frühstück für den nächsten Tag in einem Paket. 16 Uhr Medikamentenausgabe. Zweimal pro Woche soll M. eine ärztlich verordnete Massage erhalten; weil der Therapeut nur an den Tagen kommt, an denen M. zur Verhandlung in Augsburg ist, fällt das meistens aus. Nicht einmal mit dem Mitgefangenen, der einmal im Monat zum Haareschneiden kommt, darf er sprechen.

Die psychische Belastung durch die völlige Isolation habe "das Stadium des Unerträglichen erreicht", heißt es in dem Antrag. Der Zustand ihres Mandanten habe sich in letzter Zeit dramatisch verschlechtert. Er habe Sprachstörungen: könne kaum noch ganze Sätze sprechen, es sei unmöglich, sachbezogene Gespräche mit ihm zu führen. Dadurch sei auch die Verteidigung massiv beeinträchtigt. Raimund M. ist schwer an Parkinson erkrankt, sein desolater Zustand sei aber ausschließlich auf die Haftbedingungen zurückzuführen, sagte Rechtsanwalt Ahmed.

Dass die Darstellung der Verteidiger nicht aus der Luft gegriffen ist, bestätigte der Neurologe Ralph-Michael Schulte, der als Sachverständiger an dem Prozess teilnimmt. Nach einer vom Gericht angeordneten Untersuchung des Angeklagten sagte Schulte, dessen Zustand habe sich seit der letzten Untersuchung "rapide verschlechtert". Er bringe keine ganzen Sätze mehr heraus, habe optische Halluzinationen, und zeige Symptome einer schweren Depression.

Staatsanwalt Hans-Peter Dischinger sah keinen Anlass, die Haftbedingungen für den Angeklagten zu ändern. Er habe durchaus den Eindruck, dass M. der Verhandlung folgen könne, sagte Dischinger. An Schlafstörungen habe der Angeklagte auch schon vorher gelitten, es treffe auch nicht zu, dass er sich in der Zelle nicht beschäftigen könne, er könne ja fernsehen und Zeitung lesen. Dischinger wies darauf hin, dass auch der zweite Angeklagte Rudi R. schon eine Lockerung der Haftbedingungen beantragt habe und dies vom Oberlandesgericht abgelehnt worden sei.

Nach kurzer Beratung beschloss das Gericht, die Verhandlung vorerst zu unterbrechen. Der Sachverständige Schulte soll Raimund M. noch einmal gründlich untersuchen. Am 15. Oktober soll die Verhandlung fortgesetzt werden.

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