Augsburger Polizistenmord:Renitent zum Prozessauftakt

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Prozessauftakt in Augsburg: Raimund M. (l.) und sein Bruder Rudi R. stehen seit diesem Donnerstag vor Gericht. (Foto: dpa)

Unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen - wegen angeblicher Fluchtgefahr - hat in Augsburg der Prozess um den ermordeten Polizisten Mathias Vieth begonnen. Angeklagt sind zwei Brüder, sie verweigern jedoch die Aussage. Einer von beiden, der vor Jahrzehnten einen Polizisten ermordet hat und dafür verurteilt wurde, gibt sich widerspenstig und wirft dem Gericht Faschismus vor.

Von Beate Wild, Augsburg

Gefesselt an Händen und Füßen werden die beiden Männer in den Gerichtssaal gebracht. Zuerst Rudi R., in blauer Anstaltskleidung. Er blickt unwirsch um sich, sichtlich genervt. Ein paar Minuten später wird sein älterer Bruder Raimund M. hereingeführt. Er trägt Anzug, geht beschwerlich, zittert am ganzen Körper - sichtbar von Parkinson gezeichnet. Beide sind sehr blass. Als sie sich sehen, umarmen sie sich. Schenkt man den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft Glauben, sind diese beiden Männer zwei der gefährlichsten Verbrecher, die Bayern je hervorgebracht hat.

Seit diesem Donnerstag stehen die beiden Brüder, 57 und 59 Jahre alt, in Augsburg vor Gericht. Was man ihnen vorwirft, ist kein alltägliches Verbrechen. Sie sollen im Oktober 2011 den Polizisten Mathias Vieth eiskalt erschossen haben, als er sie mitten in der Nacht mit einer Kollegin kontrollieren wollte.

Das Unfassbare: Der eine Bruder, Rudi R., hat schon einmal vor 38 Jahren einen Polizisten getötet und saß bereits mehr als 20 Jahre in Haft. Außerdem werden den beiden Angeklagten fünf brutale Raubüberfälle zur Last gelegt. Kurz vor Beginn des Prozesses machte zudem die Nachricht die Runde, die beiden hätten einen Ausbruch mit Hilfe einer Geiselnahme eines Richters geplant, weshalb die Sicherheitsvorkehrungen für diesen Prozess enorm verschärft wurden.

Wenn es also stimmt, was man den beiden vorwirft, sitzen an diesem Donnerstag wirklich zwei Schwerverbrecher auf der Anklagebank. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum im Augsburger Landgericht ein derartiger Andrang herrscht. Unzählige Medienvertreter sind gekommen, und selbstverständlich auch viele Schaulustige. Die Brüder selbst haben bislang zu allen Vorwürfen geschwiegen. Das Gericht unter dem Vorsitz des Richters Christoph Wiesner muss sich auf einen langwierigen Indizienprozess einstellen.

Von Anfang an widerspenstig

Schon gleich zu Beginn, als es um die Feststellung der Personalien geht, zeigt sich Rudi R. widerspenstig. "Ich lege keinen Wert auf irgendwelche Kommentare, nachdem ich in den letzten Monaten so schlecht behandelt wurde", knurrt er ins Mikrofon. Er habe Rechte als Staatsbürger, sagt er. Außerdem beschwere er sich über die Einzelhaft, in der er seit ein paar Monaten untergebracht ist.

Dann stellt einer seiner Anwälte den Antrag, den Angeklagten während der Verhandlung die Fußfesseln abzunehmen. Nach einer Unterbrechungspause lehnt das Gericht den Antrag jedoch mit dem Hinweis auf die Fluchtbemühungen und die verschärfte Sicherheitslage ab. Als eine Reporterin Rudi R. zuruft, warum er denn die Fußfesseln unbedingt loswerden wolle, antwortet er: "Faschismus hat in diesem Staat ja Tradition, besonders in Bayern." Durch die Zuschauerreihen geht ein Raunen. Sein Anwalt sagt später, Rudi R. sei "extrem angespannt".

Keine Lust auf "Grimms Märchen"

Dann wird die Anklage verlesen, der Mord an Mathias Vieth wird noch einmal aus Sicht der Staatsanwaltschaft geschildert: Als der 41-jährige Polizist in der Nacht vom 28. Oktober 2011 mit einer Kollegin zwei ihnen verdächtig erscheinende Personen auf einem Parkplatz beim Kuhsee in Augsburg kontrollieren will, flüchten die beiden Unbekannten mit einem Motorrad. Die Polizeibeamten nehmen die Verfolgung auf. Als das Motorrad plötzlich ausbricht und die beiden Flüchtigen stürzen, eröffnen diese sofort das Feuer auf ihre Verfolger.

Mathias Vieth wird mit sieben Schüssen niedergestreckt. Er stirbt noch am Tatort. Seine heute 31-jährige Kollegin wird angeschossen, überlebt aber. Im Prozess tritt sie als Nebenklägerin auf.

Als der Richter die beiden Angeklagten fragt, ob sie zu den Vorwürfen Stellung nehmen wollen, lehnen beide ab. Raimund M. will zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Und Rudi R. streitet sowieso alle Vorwürfe ab. Aufgebracht ruft er, dass er auf die "Grimms Märchen" des Staatsanwalts nichts gebe.

Auffällig an dem aktuellen Fall sind die Parallelen zu dem Polizistenmord, den Rudi R. 1975 verübte. Damals wurden er und seine Komplizen ebenfalls von Beamten kontrolliert, als sie auf dem Weg zu einem Überfall waren. Rudi R. schoss sofort. Er war damals erst 19 Jahre alt und wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Nachdem er 19 Jahre seiner Strafe verbüßt hatte, kam er schließlich frei. 2003 wurde er noch einmal für zwei Jahre inhaftiert, weil er einen Kaufhausdetektiv, der ihn beim Stehlen erwischte, mit Pfefferspray attackierte.

Der ältere Bruder, Raimund M., war dagegen bislang polizeilich nicht auffällig. Er arbeitet viele Jahre als Metzger am Augsburger Schlachthof, wohnt in Friedberg mit Frau und Tochter in einem schmucken Eigentumshäuschen, gilt als freundlich und zuverlässig.

Ein paar Jahre war Raimund M. zudem als Platzwart des Friedberger Tennisclubs tätig, eingestellt ausgerechnet von dem Mann, den er vor kurzem angeblich als Geisel nehmen wollte, um seinen Bruder freizupressen und gemeinsam zu fliehen: Richter Karl-Heins Häusler, lange Jahre Präsident des Tennisclubs. Beschuldigt der versuchten Entführung wird Raimund M. von einem Mithäftling. Bei der Durchsuchung seiner Zelle fand man zwar eine selbstgebastelte Stichwaffe, Hinweise darauf, ob er die Entführung und den Ausbruch tatsächlich geplant habe, gibt es jedoch nicht.

Viele Spuren - und kein Wort

Um die beiden Brüder zu überführen, stützt sich die Staatsanwaltschaft auf Indizien. Im Keller der Tochter von Raimund M., auf dem Bauernhof des Schwagers und auf einem Industriegelände stellte die Polizei ein beeindruckendes Waffenarsenal sicher. Maschinenpistolen, Revolver, Kleinkaliberwaffen, Pumpgun, Handgranaten - zudem große Geldbeträge. Einige Spuren, die an diesen Gegenständen entdeckt wurden, sind Hinweise darauf, dass die Brüder in den Polizistenmord sowie in einige Raubüberfälle verwickelt sind. Zudem wurden am Tatort Auswerfer einer Kalaschnikow gesichert, die den Brüdern gehören soll.

Die vier Verteidiger der Angeklagten bezweifeln, dass die Indizien stichhaltig sind und vor Gericht verwendet werden können. Eines steht jedoch fest: Blutspritzer, die auf einem Seesack, der mutmaßlich Rudi R. gehört, gefunden wurden, stammen vom ermordeten Mathias Vieth. Trotzdem fehlt der Beweis, dass Rudi R. in der Mordnacht am Tatort war.

Eindeutiger verhält es sich bei Raimund M. Am Tatort wurde das Visier eines Motoradhelms mit DNA-Spuren des Verdächtigen gefunden, doch seine Anwälte führen an, dass der ältere Bruder so schwer an Parkinson erkrankt sei, dass er die ihm vorgeworfenen Verbrechen nicht begangen haben könne. Komisch ist dabei nur, dass Raimund M. zum damaligen Zeitpunkt noch Krafttraining gemacht und Tennis gespielt haben soll.

Da die beiden Verdächtigen die Aussage verweigern, wird die Verhandlung nach der Anklageverlesung unterbrochen. Am Dienstag kommender Woche soll es weitergehen. Die beiden Angeklagten werden nach draußen gebracht, begleitet von mehreren Polizeibeamten. Bevor er den Saal verlässt, dreht sich Rudi R. noch einmal um. Dann muss er gehen, beim Hinausgehen rasseln seine Fußketten.

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