Süddeutsche Zeitung

Verkehrswende:Augsburg schließt den Radlervertrag

Um ein Bürgerbegehren zu vermeiden, hat die Stadt eine Vereinbarung mit diversen Initiativen geschlossen. Darin werden Maßnahmen für die nächsten Jahre festgelegt - unter anderem müssen Hunderte Parkplätze weichen.

Von Florian Fuchs, Augsburg

Die Stellplatzregelung, auf die sich das Bürgerbegehren "Fahrradstadt jetzt" mit der Stadt geeinigt hat, könnte aus Sicht der Initiatoren auch für andere Kommunen interessant sein: Die Stadt Augsburg verpflichtet sich, bei Neubauten die Stellplatzschlüssel zu reduzieren. Im Mittel sollen dadurch vom Jahr 2022 an 30 bis 40 Prozent weniger Parkplätze für Autos entstehen, dafür aber im Mittel 70 Prozent mehr Stellflächen für Fahrräder. "Das ist schon auch Klimaschutz", sagt Arne Schäffler, Vorstandsmitglied des ADFC Augsburg.

Den Titel "Fahrradstadt" haben sich schon viele Kommunen selbst verliehen, vor Jahren auch Augsburg. Aus Sicht von Radaktivisten ist dann aber wenig bis gar nichts passiert, weshalb ein Bündnis aus ADFC, "Fridays for Future" und dem "Forum Augsburg lebenswert" ein Bürgerbegehren startete. In neun bayerischen Städten gibt es ähnliche Initiativen, einige Kommunen haben die Ziele der Bürgerbegehren bereits übernommen und arbeiten an der Umsetzung. Die Augsburger Stadtregierung aus CSU und Grünen hat nun beschlossen, einen zwölf Seiten langen, öffentlich-rechtlichen Vertrag mit den Radaktivisten zu schließen. "Ein Bürgerentscheid kostet viel Geld, das besser in konkrete Projekte investiert ist", sagt Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU).

Es ist eine ungewöhnliche Lösung, die Augsburg hier geht. Die Initiatoren begründen ihre Entscheidung, das Begehren zugunsten des Vertrags nicht weiter zu verfolgen, mit den unkonkreten Formulierungen, die allein in einem Entscheid rechtlich zulässig wären. In den Verhandlungen über den Vertrag konnten sie der Stadt nun deutlich konkretere Verpflichtungen abringen: So werden nicht nur weniger Stellplätze gebaut, innenstadtnah sollen 550 bestehende Parkplätze wegfallen. Manche Tempo-50-Straßen werden - zumindest abschnittsweise - in Tempo 30 umgewandelt. Die Durchgängigkeit von Radwegen wird verbessert.

Wo Kreuzungen neu oder umgebaut werden, baut die Stadt für Radfahrer geeignete Sichtbeziehungen und sorgt dafür, dass Kraftfahrzeuge nur langsam abbiegen können, um Unfälle zu vermeiden. Die Stadt richtet überdies eine Mängel-App ein, über die Radfahrer Kritik oder Verbesserungsvorschläge auf kurzem Weg an die Stadt richten können und es wird einen jährlichen Fortschrittsbericht zum Stand der Verbesserungen für den Fahrradverkehr geben. Sechs neue Stellen in der Verwaltung schafft die Stadt Augsburg für das Projekt: Der Betrag, der im Haushalt für den Radverkehr vorgesehen ist, wird bis 2025 in jährlichen Schritten um insgesamt sieben Millionen Euro aufgestockt. "Haushalterisch bedeutet das eine Priorisierung hin zum Radverkehr", sagt Oberbürgermeisterin Weber.

Nach Ansicht des ADFC Bayern ist das eine Einstellung, die noch zu wenige Kommunen im Freistaat zeigen. In Bayreuth wurde ein Radentscheid vom Stadtrat als unzulässig erklärt. Auch München, Nürnberg, Rosenheim, Regensburg und Erlangen haben sich mit Initiatoren der örtlichen Bürgerbegehren geeinigt - vielerorts gebe es aber zu wenig Personal und Radprojekte seien allgemein niedrig priorisiert. "Die immer größer werdende Radentscheid-Bewegung in Bayern und in ganz Deutschland ist Ausdruck der wachsenden Unzufriedenheit der Radfahrenden mit der hiesigen Radinfrastruktur", heißt es beim ADFC. Dass sich so viele Bürgerinnen und Bürger in verschiedenen Städten zusammenschließen, um den Radverkehr voranzubringen, sei ein Erfolg. Allerdings müssten die Vorhaben nun in die Tat umgesetzt werden.

Genau hier hapert es auch aus Sicht der Augsburger Oberbürgermeisterin. Sie wisse aus anderen Städten, dass nach der Annahme des Begehrens viel über die Umsetzung diskutiert werde. "Ich bin ein Mensch, der gerne pragmatisch ist", sagt Eva Weber. "Ich will Energie in Projekte, nicht in Diskussionen stecken." Je konkreter die Vereinbarungen seien, desto besser werde die Umsetzung. Die Initiatoren des Begehrens stellen heraus, dass der Vertrag fünf Jahre bindend ist - ein positiver Bürgerentscheid wäre für die Stadt juristisch betrachtet nur ein Jahr bindend gewesen.

Mehr als 15 000 Unterschriften sammelten die Radaktivisten in Augsburg. Deutlich mehr, als nötig gewesen wären - trotz Pandemie und Lockdowns. Andere Bürgerbegehren mussten wegen Corona aufgeben. Der Vertrag, dem der Stadtrat im Juli zustimmen soll, sei nun "der Rahmen für eine klimafreundliche Fortbewegung", die den Umstieg vom Auto aufs Fahrrad erleichtere, sagt Almut Schwenke vom ADFC. Von der "Verkehrswende in Augsburg" spricht auch Verena von Mutius-Bartholy, Fraktionsvorsitzende der örtlichen Grünen.

Und CSU-Fraktionschef Leo Dietz sagt: "Der Ausbau des Radverkehrs ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu unserem Ziel, Augsburg als klimafreundlichste Metropole Bayerns zu positionieren."

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SZ vom 06.07.2021/syn
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