Unesco-Liste:Wie Augsburg Welterbe werden will

Der Augustusbrunnen am Rathausplatz ist einer von drei Prachtbrunnen in Augsburg.

Der Augustusbrunnen ist einer der drei Prachtbrunnen in Augsburg. Er steht auf dem Rathausplatz.

(Foto: Martin Kluger)
  • Die Stadt Augsburg will im Juni 2019 wegen seiner historischen Wasserwirtschaft zum Unesco-Welterbe ernannt werden.
  • Das Wasser aus dem Lech und der Wertach trieb schon im Mittelalter Mühlen- und Sägewerke an und machte die Stadt wohlhabend.
  • Zu den 22 Stationen der Bewerbung zählen das historische Wasserwerk am Roten Tor, die Prachtbrunnen der Maximilianstraße oder der Eiskanal im Siebentischwald.

Von Maximilian Ferstl, Augsburg

Die Götter haben sich im Innenhof versammelt. Neptun ist da, den Dreizack in der Hand. Ebenso der muskulöse Herkules und Merkur, der Gott der Händler. Sie stehen dort auf steinernen Säulen. Die Sterblichen schauen zu ihnen auf. "Gut, dass sie hier sind", sagt Martin Kluger. Hier, im Augsburger Maximilianmuseum, unter den wachsamen Blicken des Personals, dürften die Statuen sicher sein. Ein abgebrochener Flügel an Merkurs gefiedertem Schuh - und das große Ziel, auf das Kluger und andere seit acht Jahren hinarbeiten, wäre in Gefahr.

Denn es wird auch auf diese Götter ankommen, wenn die Unesco 2019 entscheidet, ob Augsburg den prestigeträchtigen Titel Welterbe bekommt. Die bronzenen Statuen gehören zur Bewerbung, der "Augsburger Wasserwirtschaft". Diese bündelt - vereinfacht gesagt - das Wichtigste, was in den vergangenen 500 Jahren mit Wasser zu tun hatte: zum Beispiel die Lechkanäle, die sich durch die Stadt ziehen wie Adern, das historische Wasserwerk am Roten Tor. Oder die drei Brunnen an der Maximilianstraße, über die Merkur und Co. jahrhundertelang wachten.

"Die Gesamtheit ist einzigartig", sagt Martin Kluger, Leiter eines Augsburger Verlags, der sich unter anderem auf Stadtführer spezialisiert hat. Natürlich gebe es andernorts prächtigere Brunnen (Bologna), längere Kanäle (Amsterdam), spektakulärere Wasserkraftwerke (in ganz Norwegen). Aber Augsburg besitze von allem etwas. Die Unesco-Bewerbung enthält 22 Stationen, erwartbare wie die berühmten Prachtbrunnen, überraschende wie den Eiskanal im Siebentischwald. Bei den Olympischen Spielen 1972 kämpften dort die Athleten mit der künstlichen Strömung. "In Augsburg kann man sehen, wie der Mensch ein halbes Jahrtausend lang mit und vom Wasser gelebt hat", sagt Kluger.

Natürlich sei ihm bewusst, dass die Wasserwirtschaft ein sperriges Thema sein kann. Dass sich nicht jeder für die herausragende Bedeutung des Stoßausgleichsbeckens in Wassertürmen begeistert. Selbst wenn diese aus dem 16. Jahrhundert stammen. "Wir haben kein tolles Schloss, bei dem jeder auf den ersten Blick denkt: Wow!" In Augsburg muss man genau hinschauen, Teile ordnen wie bei einem Puzzle, in dem das Wasser den Rahmen setzt. Denn davon gibt es seit jeher genug. Der Lech im Osten und die Wertach im Westen klemmten die Stadt im Mittelalter ein, wie ein Trichter. Das nutzten die Augsburger, indem sie die Flüsse in Kanäle zwängten.

Der Kastenturm am Roten Tor in Augsburg

Der Kastenturm liefert seit 1599 Wasser.

(Foto: Maximilian Ferst)

Das Wasser trieb Mühlen, Säge- und Hammerwerke an. Später kamen die Textilhersteller mit ihren Walkmühlen. Dass Augsburg einmal sehr wohlhabend war, lag auch am Wasser. Daher konnte man sich einen gewissen Luxus leisten. Lange bevor sich andere Städte Gedanken um Hygiene gemacht hatten, trennten die Augsburger das Trinkwasser von jenem Wasser, das die Maschinen der Handwerker antrieb. Dafür brauchte es komplizierte Wasserwerke wie jenes am Roten Tor. Dort wurde das Wasser 30 Meter in die Höhe gepumpt, damit es anschließend mit Druck durch die Leitungen schoss. Kluger geht davon aus, dass in Mitteleuropa kein älteres Wasserwerk erhalten ist: "Es ist der Nukleus der Bewerbung." Denn es verrät auch etwas über das damalige Selbstverständnis: Den Eingang des Wasserwerks, links und rechts der Tür, schmücken aus Bronze gearbeitete Delfine, aus deren Augen Wasser spritzt. "Das brauchte kein Mensch. Das war reiner Protz, Angeberei. Weil man es konnte."

Das Wasser war sowohl Mülleimer als auch Kühlschrank

Andererseits kann nur einer angeben, der etwas viel besser beherrscht als andere. Im Lechviertel, nur ein paar Schritte vom Rathausplatz entfernt, steht die Stadtmetzgerei. Von der Fassade blicken gemeißelte Rinderschädel herab. Hier zerlegten und lagerten die Metzger vor 400 Jahren ihr Fleisch. Sie hatten es dabei sehr einfach, weil ein Kanal, der Vordere Lech, durch das Gebäude gelenkt wurde. Der Strom spülte Fleischabfälle weg und hielt die Temperaturen niedrig. Das Wasser war sowohl Mülleimer als auch Kühlschrank - die Augsburger mögen Angeber gewesen sein, Aufschneider waren sie nicht.

In der Gegenwart versucht die Stadt eher dezent, die früheren Leistungen ins öffentliche Bewusstsein zu schubsen. Ein paar Banner weisen auf das mögliche Welterbe hin. Frisch laminierte Schilder erklären dem Besucher, ob er gerade am Vorderen, Hinteren oder Mittleren Lech steht. An sogenannten Wassertagen finden Führungen in den alten Wasserwerken und -türmen statt. Und gerade gibt es die Ausstellung im Maximilianmuseum, die noch bis Ende September läuft: "Wasser Kunst Augsburg. Die Reichsstadt in ihrem Element".

Ein blaues Band am Boden führt durch die Räume, vorbei an Modellen von Tretmühlen und Skizzen von Stadtplänen. Zwei Zeichnungen stammen aus dem Fundus des Louvre in Paris. Im zweiten Stock auf einem Sockel sitzt die Statue eines Jünglings, einst leitete er in einem Werk Wasser in ein Ausgleichsbecken. "Ein Wasserhahn im Wert eines Mehrfamilienhauses, reine Angeberei", raunt Martin Kluger. Oder, positiver formuliert: "Die Augsburger waren halt sehr stolz auf ihr Wasser und auf ihr Können."

Die Entscheidung fällt im Juli 2019

Als sie 2010 nach einem möglichen Welterbe suchten, kreisten die Debatten zunächst um die naheliegenden Sehenswürdigkeiten, die Fuggerei und das alte Rathaus. Doch Kluger, der historisch bewanderte Verleger, winkte ab. Mit einem Gebäude brauche man nicht mehr antreten, nicht nach dem Erfolg der Regensburger Altstadt 2006. "Du brauchst eine Story." Und das Wasser könnte sie liefern. Dem Stadtrat gefiel die Idee.

Mittlerweile befindet sich das Projekt auf der Zielgeraden. Im Juni 2019 könnte die Unesco auf ihrer Jahrestagung in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans, die Augsburger Wasserwirtschaft zum Welterbe erheben. Drei Gutachter prüfen derzeit den Antrag und geben eine Empfehlung ab. Zwei Experten nehmen sich die schriftliche Bewerbung vor, zwei Bücher, ein Managementplan, 850 Seiten insgesamt. Ein dritter hat Augsburg im Juli besucht. Er habe "sehr interessiert" und "immer wieder beeindruckt" gewirkt, findet Ulrich Müllegger, Leiter des Augsburger Bewerbungsbüros. Der Gutachter besichtigte alle 22 Stationen, prüfte die Objekte auf ihre Authentizität - und fragte außerdem nach Sicherheitsvorkehrungen.

Im Innenhof des Maximilianmuseums schaut Kluger hoch zu Herkules. Der muskulöse Körper, die Keule, alles scheint unversehrt zu sein. Lange hatte er sich Sorgen gemacht, weil am Stadtbrunnen immer wieder Menschen achtlos herumgeklettert waren, weil es für seinen Geschmack zu lange gedauert hatte, die Originalfiguren durch Kopien zu ersetzen. Die letzte kam erst im Mai. Gerade noch rechtzeitig, findet Kluger: "Es hätte keinen guten Eindruck gemacht, wenn der Gutachter am Brunnen ein Original entdeckt hätte." Gut, dass sie jetzt hier sind. An den Göttern dürfte es also nicht scheitern.

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