Süddeutsche Zeitung

Augsburg:Textilmuseum bekommt Sammlung mit kostbaren Strümpfen

  • 25 000 Objekte hat das Textil- und Industriemuseum (Tim) in Augsburg geerb.
  • Die Sammlung hat über Jahrzehnte hinweg der Reutlinger Ethnologe Michael Schödel zusammengetragen.
  • Prunkstück sind die naturseidenen Strümpfe, mit denen das Unternehmen "Elbeo" bei der Weltausstellung 1937 in Paris den Grand Prix gewann.

Von Christian Rost, Augsburg

Wer hätte gedacht, dass Damenstrümpfen und Unterwäsche in bayerischen Ministerien ein so hoher Stellenwert eingeräumt wird? Gleich zwei Staatssekretäre kamen am Mittwoch ins Textil- und Industriemuseum (Tim) nach Augsburg, um dort einen Nachlass zu begutachten, der einerseits historisch wertvoll und auch ein bisserl schlüpfrig ist. 25 000 Objekte hat das Museum geerbt, die teils durch ihre hohe Verführungskraft beeindrucken. Daneben ist aber auch profane Wäsche zu sehen wie die Unterhosen der verschiedenen Armeen aus den beiden Weltkriegen. Die Staatssekretäre Bernd Sibler (Kultus) und Johannes Hintersberger (Soziales) jedenfalls waren geradezu hingerissen von den vielen "Glücksfällen", die vor ihnen lagen und den "Geist der Zeit" widerspiegelten.

Es soll ja nicht wenige Menschen geben, die sich leidenschaftlich für das interessieren, was andere unter der Oberbekleidung tragen. Einen Fetisch in dieser Richtung mag man Sibler und Hintersberger natürlich nicht unterstellen - die CSU-Politiker sind im Wahljahr selbstverständlich rein beruflich ins Tim gekommen, das ja ein "bayerisches Landesmuseum" ist, wie Direktor Karl Borromäus Murr betonte. Und so konnten sich die Staatssekretäre ganz entspannt den Strümpfen, Strumpfhaltern und Höschen widmen, ohne dass ein falscher Verdacht aufgekommen wäre.

Die Sammlung hat über Jahrzehnte hinweg der Reutlinger Ethnologe Michael Schödel zusammengetragen. In Zusammenarbeit mit der deutschen Textilindustrie wollte er ein Strumpfmuseum einrichten. Als er 2015 im Alter von noch nicht einmal 50 Jahren überraschend starb, wurde das Projekt nicht mehr weiterverfolgt. Die Erben Schödels haben nun dem Tim den Nachlass übergeben, damit er Teil der Sammlung des 2010 eröffneten Textilmuseums wird - wobei das Material zunächst gesichtet werden muss, ehe eine Ausstellung konzipiert werden kann. Es gibt nicht viele Orte, die dafür so gut geeignet wären wie die einst blühende Textilstadt Augsburg, deren historische Produktionshallen noch heute das Stadtbild prägen. Bis Ende der Fünfzigerjahre - die Textilindustrie erlebte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Augsburg noch einmal eine Blütezeit - lief das Gewerbe, dann läutete die Globalisierung den Niedergang ein.

Ein Großteil der Sammlung Schödel besteht aus dem komplett erhaltenen Musterarchiv der Firma "Elbeo" von 1890 bis 1989. Dazu gehören Strümpfe und Musterbücher. Prunkstück sind die naturseidenen Strümpfe, mit denen die Firma bei der Weltausstellung 1937 in Paris den Grand Prix gewann. Die Geschichte von "Elbeo" zeigt exemplarisch auf, wie es für viele Menschen nach Flucht und Vertreibung nach Kriegsende weiterging. Ursprünglich im sächsischen Oberlungwitz beheimatet, wagte das Unternehmen mit zahlreichen Mitarbeiten in Augsburg den wirtschaftlichen Neuanfang.

Zu den Exponaten zählt auch ein 1943 produzierter früher Perlonstrumpf. Der Chemiker Paul Schlack hatte bereits 1938 eine Polyamidfaser entwickelt, die später in der Strumpfproduktion eine steile Karriere hinlegte. Zunächst aber wurde die Erfindung geheim gehalten, weil die Nationalsozialisten Perlon für Fallschirmbezüge und Zelte brauchten. "Perlon war kriegswichtig, in der Textilproduktion durfte es nicht verwendet werden", sagte Museumsdirektor Murr.

Der Nachlass brachte dem Tim noch etliche weitere Besonderheiten ein. Objekte der Unternehmen Kunert, Hudson, Ergee, Bellinda, Arwa, Bi oder Silkona erzählen die Strumpfgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Auch eine Sammlung von rund 500 Katalogen der Versandhäuser Otto, Neckermann, Baur, Witt Weiden, Schöpflin, Wenz und Quelle bietet eindrucksvolle Einblicke in den Wandel der Mode über Jahrzehnte hinweg. Zudem hatte Schödel Kinderkleider gesammelt, etwa den Anzug eines vierjährigen Buben aus dem Jahr 1790 und ein Mädchenkleid aus der Biedermeierzeit. Auch Uniformen der Hitlerjugend zählen zu den Objekten. Und nicht zu vergessen: die Unterwäsche, die sich je nach Vorlieben und Einsatzgebiet drastisch voneinander unterscheidet. Elegante Strumpfhalter für die Dame gehören dazu, aber auch eine russische Militärunterhose aus dem Jahr 1937, die in ihrer Grobheit sinnbildlich steht für die Grauen des Krieges.

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SZ vom 22.02.2018/huy
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