Süddeutsche Zeitung

Schwaben:Jeder sechste Augsburger Stadtrat hat seiner Partei den Rücken gekehrt

  • Zehn der 60 Augsburger Stadträte haben in den vergangenen Jahren die Partei gewechselt.
  • Manche Parteien und Gruppierungen verschwanden, andere gründeten sich neu.
  • Jüngster Fall ist ein Stadtrat der Grünen, der nun der SPD angehört.

Von Christian Rost, Augsburg

Der Christkindlesmarkt auf dem Augsburger Rathausplatz und in den umliegenden Gassen ist bei den Einheimischen und Touristen beliebt, weil er im besten Sinne beschaulich ist. Keine laute Musik, keine übertourten Attraktionen stören das vorweihnachtliche, heimelige Gefühl bei den Besuchern. In einem deutlichen Kontrast dazu steht, was sich im Rathaus selbst abspielt. Im Stadtrat hat in den vergangenen viereinhalb Jahren jedes sechste Mitglied die politischen Farben gewechselt. Da verschwanden Parteien und Gruppierungen, andere gründeten sich neu - und die Wähler verlieren langsam den Überblick, wer überhaupt noch ihre Interessen vertritt. Nun hat das Bäumchen-Wechsel-dich-Spiel einen neuen Höhepunkt erreicht. Ein mit 35 Jahren noch junger, als Talent bezeichneter Stadtrat, der 15 Jahre bei den Grünen war, lief zur SPD über.

Inhaltlich und menschlich vertrug sich Christian Moravcik, der vor seiner Wahl in den Stadtrat Landesvorsitzender der Grünen Jugend Bayern war, nicht mehr mit seinen bisherigen Parteikollegen - und insbesondere Kolleginnen, die ihn bei der Wahl zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden nach allen Regeln der Kunst ausbooteten. Gleich zwei Frauen hatten sich gegen ihn zur Wahl gestellt. "Das war der Schlusspunkt", sagt Moravcik, der aber auch die Schuldenpolitik der Stadt nicht mehr länger mittragen wollte. Ob da ausgerechnet die SPD für ihn künftig die richtige politische Heimat ist, wird sich zeigen.

In Augsburg regiert eine Koalition aus CSU und SPD, das Bündnis wird seit der Kommunalwahl 2014 von den Grünen mitgetragen. Elf Parteien und Gruppierungen zogen damals ins Rathaus ein. Insgesamt 60 Frauen und Männer sitzen in dem Gremium, und mittlerweile schon zehn von ihnen verließen ihre ursprüngliche politische Heimat. Die Christlich-Soziale Mitte (CSM) und die FDP gibt es nicht mehr, stattdessen die Gruppierung WSA - Wir sind Augsburg. Die AfD ist von vier auf nur noch einen Mandatsträger geschrumpft: Markus Bayerbach, der neuerdings auch im Landtag sitzt. Seinen bisherigen Stadtratskollegen war der Kurs ihrer Partei zu rechts geworden, weswegen sie austraten. Und so kann man sich weiter munter durch die politischen Gruppierungen in Augsburg arbeiten und kommt zu dem Ergebnis, dass sich bei acht von elf, die in den Stadtrat eingezogen waren, die Zusammensetzung geändert hat. Besonders die CSU profitierte davon, die nun über 28 Sitze verfügt. Einzig bei den Freien Wählern, bei der ÖDP und der Polit-WG blieb alles gleich.

Da drängt sich die Frage auf, warum es so kunterbunt zugeht in Augsburg. Und ist es redlich, sich auf der Liste einer Partei wählen zu lassen und dann nach Gusto die Farbe zu wechseln? Christian Moravcik, das jüngste Beispiel in der Riege der Fahnenflüchtlinge, hat kein Problem damit. Er sagt, er habe ein "persönliches Mandat erhalten", um seine Positionen in der Kommunalpolitik zu vertreten. Mit seiner bisherigen Fraktion habe es keine Vertrauensbasis mehr gegeben. Seit zwei Jahren liegen er und die Grünen im Clinch.

Die teure Sanierung des Großen Theaters in Augsburg, die rund 190 Millionen Euro kostet, und die die Stadt und der Freistaat je zur Hälfe bezahlen, war ein Projekt, bei dem sich Moravcik querstellte. Künftige Generationen sollten nicht über Gebühr belastet werden, sagt er. Die Grünen aber trugen den Schuldenhaushalt von CSU und SPD mit und stimmten auch zu, dass in der Stadtverwaltung mehr Personal eingestellt wurde als in den vier Jahren zuvor. Die Theatersanierung und auch die Umwandlung des Augsburger Klinikums in ein Uniklinikum, was die Stadt ebenfalls auf Jahre hinaus noch finanziell fordern wird wegen der Altschulden, hat aber die SPD gleichwohl voll unterstützt.

Unmut im politischen Betrieb

Kann Moravcik seine Vorstellungen einer vernünftigen Haushaltspolitik bei den Sozialdemokraten besser durchsetzen als bei den Grünen, die ihm wegen seines Wechsels mangelndes demokratisches Verständnis vorwerfen? "Ich weißt nicht, ob ich bei der SPD mehr bewirken kann", sagt Moravcik, aber er spüre einen gemeinsamen Leitgedanken und glaube, dass er auf dieser Basis über Sachthemen auch wieder "hart diskutieren" könne. Das Ergebnis freilich bleibt erst mal abzuwarten.

Vielleicht ist die Ursache für die Instabilität im Stadtrat an der Konstellation festzumachen: Die Übermacht von CSU, SPD und Grünen konnte zwar einige Projekte auf den Weg bringen, sie befeuerte aber auch den Unmut im politischen Betrieb. Die Diskussionskultur, so klagt die Opposition durch alle Reihen, leide unter dem Diktat. Auch Moravcik, der in der SPD-Fraktion ja weiter Teil der Großen Koalition und somit dieses Systems bleibt, räumt ein, dass es in der Zeit vor dem Dreierbündnis "mehr und detailliertere Diskussionen" im Stadtrat gegeben habe. Andererseits, so gibt er sich pragmatisch, seien große Aufgaben eben nur mit einer breiten Mehrheit zu stemmen.

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SZ vom 11.12.2018/vewo
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