Süddeutsche Zeitung

Augsburg:Staatsanwalt nennt Angeklagten ein "Arschloch"

"Dem angeschuldigten Arschloch ist ein Pflichtverteidiger zu bestellen." So stand es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Augsburg gegen einen mutmaßlichen Schildkrötenschmuggler. Eine Beleidigung ist das aber nicht - juristisch gesehen.

Stefan Mayr

Als Reinhard Hahn diese Anklageschrift las, musste er kräftig lachen. "Ich lachte so laut, dass meine Frau aus dem Nebenzimmer kam und besorgt nachfragte, was passiert sei", berichtet der Rechtsanwalt aus Biblis.

"Wir konnten es zunächst nicht fassen, dann haben wir nicht aufgehört zu lachen", erzählt Hahn - und muss wieder lachen. Normalerweise sind Juristen für ihre distinguierte Ausdrucksweise berüchtigt. Folgender Satz jedoch dürfte in der bayerischen Justizgeschichte einmalig sein: "Dem angeschuldigten Arschloch ist ein Pflichtverteidiger zu bestellen." So stand es in der Anklageschrift gegen Hahns Mandanten. Schwarz auf weiß, auf dem Papier der Staatsanwaltschaft Augsburg.

"Das ist ein völlig inakzeptabler Vorgang", sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz zu dem Ausrutscher eines Mitarbeiters, den er sofort von dem Fall abgezogen hat. "Der Sachbearbeiter und ich werden uns beim Angeklagten schriftlich entschuldigen", so Nemetz. Weitere Konsequenzen schloss der Behördenchef nicht aus.

Ermittlungen wegen des Verdachts auf Beleidigung hat er allerdings nicht veranlasst. "Das ist zwar eine Ehrenkränkung, aber keine Beleidigung", argumentiert Nemetz. Um den Tatbestand der Beleidigung zu erfüllen, müsse ein Vorsatz vorliegen. Dies sei hier nicht der Fall. Der Staatsanwalt habe das A-Wort nur in einer internen Notiz verwendet, die nicht zur Veröffentlichung vorgesehen war.

"Eine fahrlässige Beleidigung gibt es nicht"

"Das ist", sagt Nemetz, "wie wenn Sie in Ihr Tagebuch schreiben, der Nemetz ist ein Depp." Nur, dass dann durch eine Verkettung unglücklicher Umstände die Version mit dem unappetitlichen Kraftausdruck versehentlich dem Angeklagten zugeschickt wurde. "Eine fahrlässige Beleidigung gibt es nicht", sagt Nemetz.

Das stimmt allerdings nur in juristischer Hinsicht. Denn rein faktisch wurde die Beschimpfung ausgesprochen - respektive zugestellt. "Wie ich damit umgehe, dass ein Mitarbeiter so etwas für sich diktiert, muss ich mir intern noch überlegen", sagt Nemetz.

In der offiziellen Akte des Landgerichts Augsburg taucht das Fäkalwort dagegen nicht mehr auf. Entsprechend ungläubig und fassungslos reagierte die Richterin, als sich der Angeklagte bei der Verhandlung über die Beleidigung beschwerte.

Sie ließ sich die Kopie der Anklageschrift zeigen und war erst einmal sprachlos. Das Verfahren - es geht um 180 geschützte Landschildkröten, die der Angeklagte angeblich nach Deutschland geschmuggelt haben soll - wurde auf Februar vertagt.

"Es ist eigentlich nicht vorstellbar, dass irgendwie geartete Versionen von Anklageschriften kursieren", moniert Verteidiger Reinhard Hahn. In gewisser Hinsicht ist er dem ungeschickten Staatsanwalt aber sogar dankbar. "Das war schon ein Highlight in einem mitunter eintönigen Leben eines Juristen", sagt Hahn. Und lacht.

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SZ vom 10.09.2008/bosw
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