Altenheim in Augsburg:"Wie viele Skandale will die Staatsregierung noch abwarten, bis sie handelt?"

Altenheim in Augsburg: Die Pflege der Bewohner im Augsburger Seniorenheim soll teils massiv vernachlässigt worden sein.

Die Pflege der Bewohner im Augsburger Seniorenheim soll teils massiv vernachlässigt worden sein.

(Foto: Jana Bauch/dpa)

In einer Seniorenresidenz in Augsburg sollen unhaltbare Zustände herrschen. Prüfungen decken schwerwiegende Mängel auf, das dahinter stehende Unternehmen ist bereits am Schliersee unangenehm aufgefallen.

Von Florian Fuchs und Matthias Köpf, Augsburg

Von "schwerwiegenden Qualitätsdefiziten" ist die Rede, von einem "Skandal": In einem Augsburger Seniorenheim sind die Zustände offenbar so besorgniserregend, dass eine Schließung drohen könnte. Die zuständige Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände (Arge) in Bayern will eine Beendigung des Versorgungsvertrags in Erwägung ziehen, sollten die Defizite nicht abgestellt werden.

Der Gesundheitsreferent der Stadt Augsburg spricht von einer "unakzeptablen Entwicklung" der Einrichtung. Das betroffene Seniorenheim Ebnerstraße wird vom selben italienischen Konzern getragen wie die Schlierseer Seniorenresidenz, in der im vergangenen Jahr sogar eine Sanitätseinheit der Bundeswehr aushalf, um die Bewohner angemessen zu versorgen. "Wie viele Skandale will die Staatsregierung noch abwarten, bis sie handelt?", sagt deshalb Andreas Krahl, pflegepolitischer Sprecher der Landtags-Grünen.

Laut Krahl sei es ein "Armutszeugnis, dass es ein Jahr nach dem Fall Schliersee noch immer keine konkreten Verbesserungsvorschläge für die Kontrolle von Pflegeeinrichtungen gibt". Auch die Fraktion "SPD/Die Linke" in Augsburg fordert Aufklärung, wie es soweit kommen konnte und warum die beschriebenen Zustände so lange nicht abgestellt worden sind. Die Arge hatte wegen akuten Hinweisen im Oktober eine Prüfung veranlasst. Ein Qualitätsbericht vom 6. Oktober durch den Medizinischen Dienst Bayern etwa dokumentiert schwerwiegende Qualitätsdefizite, was die Unterstützung der Bewohner beim Essen und Trinken oder bei der Körperpflege anbelangt.

Die Stadt Augsburg teilte am Mittwoch mit, dass seit Februar 2021 vier unangekündigte Begehungen stattgefunden hätten, gemeinsam mit Vertretern der Regierung von Schwaben und des Gesundheitsministeriums. Pfleger berichteten dem Bayerischen Rundfunk unter anderem von unversorgten Wunden, sogar das Bein eines Bewohners habe deshalb amputiert werden müssen. Solche extremen Mängel seien von den Kontrolleuren nicht festgestellt worden, schreibt die Stadt Augsburg. Es seien allerdings Maßnahmen zur Behebung protokollierter Mängel angeordnet worden. Das Heim, das für die SZ am Mittwoch nicht zu erreichen war, bestreitet massive Pflegemängel.

Im Fall Schliersee hatten sich die Abgeordneten im Gesundheitsausschuss des bayerischen Landtags im vergangenen Herbst zweimal hintereinander von der Staatsregierung über Konsequenzen berichten lassen - und beide Male fielen diese Berichte nicht zu ihrer Zufriedenheit aus. Die Zustände dort waren im Frühjahr 2020 öffentlich geworden, nachdem es in dem Heim einen größeren Corona-Ausbruch gegeben hatte. Angesichts pflegerischer Mängel und teils verwahrloster und auch deutlich unterernährter Bewohner zog das zuständige Landratsamt Miesbach zeitweise eine Sanitätseinheit der Bundeswehr hinzu, um dort für das Allernötigste zu sorgen.

Behördenintern stand die Seniorenresidenz schon viel länger im Fokus, immer wieder waren Kontrolleure von Angehörigen der Bewohner über gravierende Probleme informiert worden und auch selbst auf Mängel gestoßen. Weil über die Jahre bis 2019 mehrmals die Betreiber gewechselt hatten, sah die Heimaufsicht im Landratsamt nach Angaben des heutigen Miesbacher Landrats Olaf von Löwis (CSU) jedoch nie eine ausreichende Handhabe, die Einrichtung zwangsweise zu schließen.

Erst im vergangenen September, als die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Körperverletzung an insgesamt 88 Bewohnern ermittelte und dabei auch 17 Todesfällen nachging, gab es doch noch eine amtliche Verfügung, den Betrieb zum Dezember einzustellen. Der Träger gab die Seniorenresidenz daraufhin Ende September selbst auf. Denn vor der staatlichen Heimaufsicht hatten die Pflegekassen dem jahrelangen Elend in Schliersee ein Ende bereitet und wegen "Verletzung der gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen" vorzeitig die Versorgungsverträge gekündigt - ein Mittel, zu dem sie nach eigenen Angaben in den zehn Jahren zuvor in ganz Bayern zweimal hatten greifen müssen.

Mehr als ein Dutzend Bewohner der Schlierseer Seniorenresidenz zogen schließlich in das Heim nach Augsburg um - und fanden sich dort nach den Worten des grünen Pflegeexperten Krahl "in der gleichen Hölle wieder". Und der Gesundheitsminister schaue dabei zu, "wie weiterhin die Würde dieser Menschen mit Füßen getreten wird".

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