Süddeutsche Zeitung

Augsburg:Schwaben will eine Jubelchronik - und bekommt jubelfreie 787 Seiten

  • Der Bezirk Schwaben hat den Historiker Paul Hoser mit einer Chronik über dessen Nachkriegsgeschichte beauftragt.
  • Hoser verärgerte den Bezirkstagspräsidenten allerdings mit einem Interview, in dem er die Notwendigkeit von Bezirken grundsätzlich in Frage stellte.
  • Nun wird er nicht zur Buchvorstellung erscheinen.

Von Christian Rost

Das Buch über die "Geschichte des Bezirks Schwaben von der Nachkriegszeit bis 2003" wird kein Bestseller, dafür taugt das Thema nicht. Der CSU-Politiker Jürgen Reichert, Bezirkstagspräsident von Schwaben, schreibt schon im Vorwort, dass sich die Aufgaben eines Bezirks "kaum für eine schlagzeilenartige Vereinfachung" eigneten. Dennoch hat es der Verfasser der 787 Seiten starken Chronik, der Historiker Paul Hoser, pünktlich zur Vorstellung seines Werks in die Medien geschafft.

Der 70-Jährige, der die Nachkriegs-Geschichte des Bezirks Schwaben in dessen Auftrag aufgeschrieben und angeblich 20 000 Euro dafür bekommen hat, gab der Augsburger Allgemeinen ein markiges Interview. Darin stellt er die Existenz von Bezirken grundsätzlich als fragwürdig dar. Hoser meint, schon in früheren Zeiten seien die kommunalen Körperschaften als "völlig überflüssig" angesehen worden. Reichert schäumte, es kam zum Eklat.

Der in Günzburg geborene und in München lebende freiberufliche Historiker Hoser sollte die Bezirks-Chronik zusammen mit dem Präsidenten am Donnerstagabend in Augsburg vorstellen. Wegen seiner Äußerungen aber strich ihn Reichert kurzerhand von der Rednerliste, weshalb Hoser ankündigte, überhaupt nicht zu erscheinen. Nach "etlichen Reaktionen" seitens der politischen Ebene, Einrichtungen des Bezirks und auch von Externen habe sich der Bezirk zu diesem Schritt entschlossen, sagte die Sprecherin des Bezirks, Birgit Böllinger. "Wir waren mit einigen Aussagen nicht glücklich." Hoser habe Akzente gesetzt, "die wir für bedenklich halten", so Böllinger weiter. Sie wirft dem Historiker einen unkollegialen Stil vor. Schließlich habe er das Buch im Auftrag des Bezirks verfasst. Hoser konterte, er sei "nicht die Werbeagentur für den Bezirk". Zur Buchvorstellung erscheine er nicht, weil er sich nicht öffentlich abbürsten lasse, ohne etwas erwidern zu können.

Das umstrittene Interview beginnt vergleichsweise harmlos. Zunächst erläutert Hoser, was einen Bezirk und einen Regierungsbezirk unterscheidet. Das eine sei eine höhere kommunale Körperschaft mit dem Bezirkstag als gewähltem Organ, das andere eine staatliche Verwaltung. Dann zitiert Hoser ausgerechnet den früheren bayerischen CSU-Innenminister Bruno Merk. Der Vater der Gebietsreform habe Bezirke als "völlig überflüssig" angesehen und sei der Ansicht gewesen, seine Partei wolle Bezirke, um lokale Funktionäre mit Mandaten als Bezirksräte zu versorgen.

Bezirkstagspräsident Reichert empfand die durchaus korrekt wiedergegebene Einstellung Merks als "politisch mehr als ärgerlich" und warf dem Historiker in einem Brief vor, er werfe ein negatives Bild auf die Arbeit der Bezirke. Sprecherin Böllinger fügte an, Hoser hätte alternativ auch den früheren bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner zitieren können, der die Körperschaften als "zusätzliches demokratisches Element" bezeichnet habe.

Weil Paul Hoser aber seine eigenen Ansichten hat, spricht er noch einen weiteren Punkt an, der die Bezirke vermeintlich schlecht aussehen lässt: den Fall Gustl Mollath. Für die Bezirke habe es sich als Glück erwiesen, dass man sie in der Öffentlichkeit wenig kenne, sagt Hoser. Mollath sei wegen eines möglichen Justizirrtums jahrelang in Bezirkskliniken eingesperrt gewesen. Die Bezirke seien nach seiner Freilassung ohne Imageschaden davongekommen, weil sie kaum ein Image hätten. Diese Darstellung konnte Reichert in seinem Schreiben an den Historiker leicht zurückweisen, weil es sich um einen Justiz- und nicht um einen Klinikskandal gehandelt hatte. "Es zeugt nicht von wahrer Kenntnis der Materie, den Fall Mollath in Zusammenhang mit der Arbeit der Bezirkskliniken anzuführen", so Reichert.

Hoser gab zurück, dass er hinter seinen Aussagen stehe, die ausführlich auch in der Chronik stünden. Historiker seien eben keine Jubelperser, meinte er. So stellt sich letztlich die Frage, ob Reichert die Chronik überhaupt gelesen hat. In seinem Vorwort heißt es jedenfalls, das Werk sei "mit großer Sorgfalt" verfasst worden.

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SZ vom 23.06.2017/axi
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