Prozess in Augsburg:Patienten mit Hepatitis angesteckt: Arzt erklärt sich vor Gericht

Prozess in Augsburg: Es ist einer der größten Medizinskandale in Bayern der vergangenen Jahre, der umfangreiche Ermittlungen nach sich zog: der Anästhesist auf der Anklagebank in Augsburg.

Es ist einer der größten Medizinskandale in Bayern der vergangenen Jahre, der umfangreiche Ermittlungen nach sich zog: der Anästhesist auf der Anklagebank in Augsburg.

(Foto: Stefan Puchner/dpa)

Ein Anästhesist zweigt während Operationen Opioide ab, die eigentlich für die Narkose bestimmt sind - und steckt dabei mindestens 50 Menschen an. Zum Prozessauftakt schildert er, warum.

Von Florian Fuchs, Augsburg

Es war bei einer Operation im Jahr 2014, als Mohammad R. plötzlich auf den Gedanken kam, sich selbst die Opioide zu spritzen, die eigentlich für seine Patienten vorgesehen waren. R. war als Anästhesist im Klinikum Donauwörth angestellt, er hatte "reißende Schmerzen" unter anderem wegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung. All die anderen Medikamente wirkten nicht mehr, die er sich jahrelang selbst verabreicht hatte.

Also spritzte er dem OP-Patienten Fentanyl und zweigte sich, als die Schwester kurz nicht da war, den Rest des Opioid mit einer neuen Spritze ab. Dann verließ er den OP-Saal, ging auf die Toilette und spritzte sich das Mittel, mit dem er eigentlich Patienten in Narkose versetzt. Er habe eine Erleichterung gespürt, sagt R. "Die Schmerzen ließen nach, die Antriebslosigkeit. Ich konnte wieder arbeiten und mich konzentrieren."

R. sitzt am Mittwoch in einem Saal des Landgerichts Augsburg, grauer Anzug, graue Haare, und beantwortet detailliert die Fragen des Vorsitzenden Richters, wie es dazu kommen konnte, dass er als Anästhesist und Oberarzt am Klinikum Donauwörth in den Jahren 2017 und 2018 laut Anklage 51 Patienten mit Hepatitis C ansteckte. Es ist einer der größten Medizinskandale in Bayern der vergangenen Jahre, der umfangreiche Ermittlungen nach sich zog. Letztlich mussten die Behörden 1700 Frauen und Männer auffordern, sich auf Hepatitis C testen zu lassen - sie alle waren von dem Angeklagten behandelt worden.

Seine Approbation hat R. inzwischen zurückgegeben, der 60-Jährige lebt als Rentner in Donauwörth. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm gefährliche Körperverletzung, Unterschlagung von Medikamenten und Nutzung mangelhafter Arzneien vor. Die meisten Geschädigten wissen aber noch immer nicht, wie genau der Arzt sie mit dem Virus infizieren konnte. Einige von ihnen treten im Prozess als Nebenkläger auf. Viele haben sich inzwischen mit der Versicherung des Klinikums auf Entschädigungszahlungen geeinigt, leiden allerdings teils immer noch unter der Krankheit.

Der Anästhesist arbeitete 1996 zwei Jahre in Ottobeuren, bevor er nach Mindelheim wechselte. Schon damals, erzählt er im Prozess, litt er unter Versagensängsten und Depressionen. Für die kleinsten Dinge des Lebens habe er sich aufraffen müssen, fürs Kochen, fürs Spazierengehen. Nur in der Arbeit, da war es ihm wichtig, Leistung zu zeigen. Also behandelte er sich selbst, um leistungsfähig zu bleiben.

Er verordnete sich Antidepressiva, wegen rheumatischer Probleme und der Darmerkrankung, colitis ulcerosa genannt, nahm er dann auch immer stärkere Schmerzmittel. Ibuprofen zunächst, über die Jahre stieg er um auf Tilidin. Die Dosis erhöhte er laut Anklage bis 2014 auf 400 bis 500 Milligramm pro Tag, aber es half nichts mehr. Da kam ihm die Idee, Narkosemittel abzuzweigen.

Er habe die Infektionen der Patienten "nicht billigend in Kauf genommen", betont R. gleich zu Beginn seiner Einlassung vor Gericht. Er habe nie dieselbe Spritze für sich und Patienten benutzt. "Ich kann mir also selbst nicht erklären, wie es zu den Infektionen gekommen ist." Vermutungen hat R. aber schon: Beim Hantieren mit Kanülen, zitternd, weil er sich nicht erwischen lassen wollte, könne er sich kleinere Verletzungen zugezogen haben. Auch wenn er die Ampullen brach, könne er sich an der Haut leicht geritzt haben.

Die Ampullen füllte er mit Kochsalzlösung auf

Spuren von Blut hafteten so an der Ampulle und gelangten schließlich in die Spritze für die Patienten. "Hätte ich meine Spritzen für die Patienten benutzt, hätte es viel mehr Infektionen bei allen 1700 Patienten gegeben", sagt R. Die Ampullen, in denen eigentlich Fentanyl sein sollte, füllte er mit Kochsalzlösung auf, damit die Schwestern nicht bemerkten, dass er Mittel für sich abzweigte.

Das war nicht ungefährlich, etwa wenn er im OP-Saal abgelöst wurde und sein Nachfolger nicht wusste, dass sich in einer Ampulle, in der ein Rest Fentanyl sein sollte, falls die OP und damit die Narkose verlängert werden müsse, nur noch ein wirkungsloses Mittel befand. Die Medikamentensucht von R. kam erst heraus, als eine OP-Schwester ihn im OP-Saal mit einer Spritze im Arm erwischte.

Der frühere Oberarzt nimmt weiterhin Antidepressiva und befindet sich in psychiatrischer Behandlung. Medikamentenabhängig ist er nach eigener Aussage nicht mehr, er hat die Sucht auch therapiert. Wobei er vor Gericht betont, früher im Urlaub nicht einmal Entzugserscheinungen verspürt zu haben. Nur in der Arbeit, da wollte er funktionieren, da habe er sofort wieder begonnen, sich Fentanyl zu spritzen. "Ich habe es immer nur genommen, wenn ich in den OP-Saal gegangen bin."

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass R. im Tatzeitraum selbst nicht wusste, dass er mit Hepatitis C infiziert war. Es ist eine Krankheit, die mangels Symptomen oftmals unentdeckt bleibt. Sie ist inzwischen fast immer heilbar, kann aber auch schwere Spätfolgen haben. Laut der Deutschen Leberhilfe heilt die Infektion in 20 bis 50 Prozent der Fälle binnen eines halben Jahres von alleine aus. In den anderen Fällen werde die Leberentzündung chronisch. Nach 20 bis 30 Jahren könnten dann bei einigen Betroffenen Zirrhose und Leberkrebs auftreten.

Bei der Verlesung der Anklage listet der Staatsanwalt den Fall eines jeden geschädigten Patienten einzeln auf. Viele von ihnen mussten medikamentös behandelt werden, sie klagten über Müdigkeit und Abgeschlagenheit, teils auch über erhebliche psychische Folgen. Ein Patient musste wegen der Infektion auf mehrere, eigentlich notwendige Operationen verzichten.

Der Verteidiger des früheren Anästhesisten strebt eine Haftstrafe auf Bewährung an. Die Staatsanwaltschaft hat eher eine mehrjährige Freiheitsstrafe im Sinn, zumindest legen das Verständigungsgespräche nahe, die vor dem Prozess stattgefunden haben und von denen der Vorsitzende Richter zu Beginn des Prozesses berichtete. Das Landgericht Augsburg plant zwölf Verhandlungstage, zahlreiche Zeugen sind geladen, alle Geschädigten sollen aussagen. Ein Urteil könnte Mitte Juli folgen.

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