Süddeutsche Zeitung

Klimacamps:Schandfleck oder berechtigter Protest?

In Augsburg und Nürnberg setzen sich Aktivisten seit mehr als einem Jahr für mehr Umweltschutz ein. Nun gibt es Kontroversen mit den Behörden.

Von Olaf Przybilla und Thomas Stöppler, Augsburg/Nürnberg

"Schandfleck ist wirklich der häufigste Begriff, den ich als Kritik höre", sagt Janika Pondorf. Die 17-Jährige sitzt an dem runden Tisch im Augsburger Klimacamp. Trotz des kalten Wetters ohne Mütze, ohne Schal und ihre Hose endet deutlich oberhalb der Knöchel. Aber für die Gymnasiastin ist das nicht der erste Winter hier neben dem Augsburger Rathaus. Schön findet sie das Camp selbst nicht. Drei Zelte, einige davon sehr provisorisch, blaue Plastikplanen, alles im wahrsten Sinne des Wortes windschief und recht chaotisch. "Wir würden das auch gerne schöner machen", sagt Pondorf, aber sie hätten halt Auflagen.

Und außerdem müssten sie ständig umziehen. Eine Feuerwehrzufahrt hier, die Sanierung des Perlachturms da, Fahrradständer mussten gebaut werden und jetzt kommen die Toiletten des Christkindlmarkts. Die Aktivisten ziehen dann mit den Zelten ein paar Meter nach vorne Richtung Marktplatz und die Toiletten kommen hinter sie. Schön wird das für keinen Beteiligten: Wenn die Besucher vom Glühweinstand durch das Camp hindurch laufen müssen, um ihre Blasen zu entleeren. Aber es geht halt nicht anders, die Kanalanschlüsse sind, wo sie sind. Ob der Christkindlmarkt überhaupt stattfinden kann, steht angesichts der Infektionszahlen zwar in den Sternen, aber umgezogen wird trotzdem.

Seitdem Janika Pondorf und ihre Mitstreiter am 1. Juli 2020 neben das Rathaus gezogen sind, herrscht ein zumindest angespanntes Verhältnis zwischen Stadt und Aktivisten. Nach ein paar Tagen stand Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) vor den Aktivisten und soll gesagt haben: "Bis 18 Uhr seid ihr hier weg, sonst wird es hässlich", so jedenfalls will sich einer erinnern. Die grüne Bürgermeisterin Martina Wild stand direkt daneben. Der Räumungsbescheid wurde allerdings vom Augsburger Verwaltungsgericht gekippt. Die Verwaltung ging in Berufung. Das Verfahren steht noch aus.

In Nürnberg, wo das Klimacamp ähnlich prominent am Sebalder Platz steht, war man da am Anfang entspannter: "Unsere Stadtjuristen haben gesagt, dass das Camp eine ziemliche gute Rechtsgrundlage hat", erklärte etwa ein Stadtsprecher zu Beginn des Camps. Zwischenzeitlich aber ist auch hier der Ton rauer, die Szenerie unfriedlicher geworden, und das liegt ausgerechnet am Christkindlesmarkt, der ja, sollte man meinen, eigentlich für Frieden auf Erden steht. Die Stadt erklärt, sie brauche den Sebalder Platz für Rettungskräfte, "spätestens am Tag vor Beginn" des Marktes müsse dieser freigeräumt sein. Sogar vor Gericht haben sich Stadt und Klimacamper schon duelliert; es ging darum, ob die Aktivisten Lebensmittel im Camp lagern, Kühlschrank und Wasserkocher in Betrieb haben und Fahrräder reparieren dürfen auf diesem touristisch nicht irrelevanten Platz.

Lange war das kein Problem. Nun zoffte man sich vor Gericht, die Aktivisten zogen den Kürzeren, wollen auf eine zweite Instanz nun aber doch verzichten - anders als zunächst geplant. "Gewissermaßen ein bisschen Weihnachtsfrieden", sagt Aktivistensprecher Markus Feuerlein.

In Augsburg tun sich die Behörden schwer mit den Aktivisten

In Augsburg erklärte die Oberbürgermeisterin zum Berufungsverfahren, es gehe um Grundsätzliches beim Versammlungsrecht. Wie lange dürfen Versammlungen dauern? Man wolle verhindern, dass andere, etwa rechte Gruppen, irgendwo campieren. Abgesehen davon, dass rechte Gruppen das bisher nicht versucht hätten, erklärt Janika Pondorf dazu, dass sie dann die Erste sei, die das Protestcamp aufbaut. An dem Tisch im Camp, an dem freudiges Kommen und Gehen herrscht, signalisieren sie Zustimmung.

Laut Ordnungsreferent Frank Pintsch (CSU) gibt es weitestgehend einen guten Dialog mit den Aktivisten. Und der Brandschutz müsse eben gewährleistet sein und Fahrradständer müssten gebaut werden. Das sei ja auch ein Anliegen der Aktivisten. Sowieso setzten diese sich ja "für ein wichtiges Thema ein, das ist uns ja klar". Aber er nehme schon "antidemokratische Impulse" wahr. Schließlich gebe es ja gewählte Mehrheiten, außerdem sei Politik ein Aushandlungsprozess und sowieso könne man als Kommune halt nur so viel machen.

Klar ist, dass die Aktivisten ihre Forderungen nicht an verwaltungsrechtlichen Grenzen festmachen, aber viele ihrer Forderungen wären durchaus umsetzbar. Etwa mehr potenzielle Standorte für Windräder zu prüfen oder bei städtischen Bauvorhaben vor allem Holz zu verwenden.

Grünen-Fraktionsvorsitzender Peter Rauscher weiß schon, was Pintsch mit "antidemokratischen Impulsen" meint. "Das Klimacamp ist sehr divers, da gibt es auch Linke, die sich mit unserem System eher schwertun." Aber das gehöre eben zu sozialen Protestbewegungen dazu und das ändere ja auch nichts am Anliegen der Aktivisten. Außerdem: "Auch wenn es mal nicht zu unseren Vorstellungen passt, setzen wir uns für das Versammlungsrecht ein." Die Grünen ziehen bei der Berufungsklage nicht mit.

Zum Politikum ist der Zoff längst auch in Nürnberg geworden. Seit die CSU eine Erklärung abgegeben hat, das Ansinnen der Aktivisten sei nun aber mal "durchkommuniziert", fühlten sich die Klimacamper von der Stadt mit "Schikanen" überzogen. Zwischendurch prangte am Brettereingang des Camps sogar ein Aufkleber mit dem Schriftzug FCK CSU - was eher kein Hinweis gewesen sein dürfte, dass sie es im Camp mit dem 1. FC Kaiserslautern halten. Immerhin hat man sich nun, am 432. Tag des Klimacamps, offenkundig auf einen Kompromiss einigen können, was die Orte des Camps betrifft: Kurz vor Beginn des Christkindlesmarktes wollen die Aktivisten auf einen Parkplatz neben dem Rathaus umziehen - nach dem Markt aber gleich wieder zurück auf den Sebalder Platz. Eine "Resthoffnung" aber, dass der Christkindlesmarkt angesichts steigender Inzidenzen abgesagt wird, habe man noch, sagt Feuerlein.

In Augsburg sieht Janika Pondorf die Klage ganz entspannt. "Wir haben bisher immer recht bekommen, warum sollte sich das jetzt ändern. Aber klar: Wir sind halt nervig." Und für den Winter seien sie gerüstet. "Wir sind stärker geworden", erklärt sie. Einmal die Woche übernachtet sie im Camp, denn um eine Versammlung darzustellen, muss das Camp 24 Stunden am Tag mit zwei Menschen besetzt sein. Die Zahl der regelmäßigen Teilnehmer am Camp habe sich aber seit Beginn verdoppelt: "Unser Schichtplan ist gut gefüllt."

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