Es ist Hochsommer, da ist es vergleichsweise angenehm für die Aktivisten, in ihrem Klimacamp zu sitzen. Seit Jahren harren sie hier aus neben dem Augsburger Rathaus, bei Stürmen, bei Schnee, bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt. Sie protestieren für Klimagerechtigkeit, und – das betonen sie – das wollen sie auch weiterhin tun. Das Klimacamp aber geben sie Ende Juli nach mehr als vier Jahren auf. Die Augsburger Klimacamper wollen sich stattdessen auf punktuelle Proteste konzentrieren. Sie wollen ab und an ein Pop-up-Klimacamp aufbauen, nicht nur in Augsburg, auch darüber hinaus, zum Beispiel in Reichling bei Landsberg am Lech, wo sie in den kommenden Wochen gegen Probebohrungen zur Gasförderung demonstrieren.
In Augsburg waren die Reaktionen immer zwiegespalten: Die einen nannten das nicht direkt ordentlich anmutende Protestcamp am Rathausplatz einen Schandfleck für die Stadt. Die anderen waren stolz, dass vor allem junge Augsburgerinnen und Augsburger aus der „Fridays for Future“-Bewegung eine Protestform etabliert hatten, die weit über die Stadt hinaus Beachtung und Nachahmer fand.
Nach eigenen Angaben diente das Augsburger Klimacamp in mehr als 50 deutschen Städten als Vorbild für ähnliche Protestformen, ob in Bayern in Regensburg oder Nürnberg oder darüber hinaus in Hannover, Wolfsburg, Dresden, Bremen oder Köln. Es sei auch deutschlandweit ein wichtiger Anlaufpunkt für die Klimaprotestbewegung gewesen und habe überregional erfolgreich zur Vernetzung gedient. Wenn die Aktivisten zum 31. Juli ihren Platz räumen, ist das Augsburger Lager mit 1492 Tagen Dauerprotest wohl das Klimacamp in Deutschland, das am längsten Bestand hatte.
„Durch uns war die Klimapolitik an jedem Esstisch Augsburgs Thema“, resümiert etwa Aktivistin Stefanie Metzger in einem Statement zur Auflösung des Klimacamps. Tatsächlich gingen täglich Tausende Passanten am Klimacamp in Augsburg vorbei. Und tatsächlich haben die Klimacamper politisch einiges bewegt: Sie schreiben sich auf die Fahnen, den Augsburger Radentscheid, ein CO₂-Restbudget für die Stadt oder einen städtischen Bürgerrat für Klimafragen mit auf den Weg gebracht und Bäume am Hauptbahnhof gerettet zu haben, sodass sie nicht gefällt wurden.
Der größte Erfolg aber war wohl, dass die Klimacamper schon bald nach der Gründung das Augsburger Rathaus juristisch düpierten und so Strahlkraft in die gesamte Bundesrepublik hinein entwickelten. Die Augsburger Oberbürgermeisterin, darüber beschweren sich die Aktivisten noch heute, sei nur einmal zu Besuch ins Camp gekommen – in der ersten Woche, um die Räumung anzukündigen. Die Aktivisten wehrten sich, ein langer Rechtsstreit folgte, in dem der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die städtischen Juristen für ihren aus Sicht der Richter unrechtmäßigen Räumungsbescheid schließlich ordentlich abwatschte.
In Nürnberg gaben die Klimacamper schon vor zwei Jahren auf
Für die Rathaus-Koalition war der Umgang mit dem Klimacamp ein fortwährendes PR-Desaster, und genau das war das Ziel der Klimacamper: Die Politik vor sich herzutreiben und sie so zu einer aus ihrer Sicht klimagerechteren Politik zu zwingen. Auch deshalb ist das Augsburger Klimacamp zum Vorbild vieler Aktivisten anderer Städte geworden, weil hier – unter anderem mit dem Rechtsstreit – medien- und öffentlichkeitswirksame Auftritte entstanden. In anderen Städten wie Nürnberg ließen sich Politiker mit den jungen Demonstranten ablichten oder ignorierten sie schlicht: Die Nürnberger Aktivisten waren davon so entnervt, dass sie bereits vor zwei Jahren aufgaben.
Protest:Der Mathematiker und die Klimakrise
An der Uni forscht Ingo Blechschmidt an komplexen Theorien. Als Klimaaktivist besetzt der Augsburger Bäume, ärgert Bürgermeister und lässt sich einsperren. Ob die Rechnung aufgeht?
In Augsburg eignete sich vor allem Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) diesen Stil nach dem verlorenen Rechtsstreit an, die Aktivisten machten sich aber auch mit einzelnen Protestaktionen das Leben schwer, die teils Gerichtsverfahren und Verhaftungen nach sich zogen – und bei weiten Teilen der Öffentlichkeit nicht gut ankamen. Schon seit längerer Zeit verlor der Protest deshalb an Wucht, zumal das Camp dauerhaft besetzt sein musste, sonst wäre eine Räumung juristisch möglich gewesen. Das kostete die Aktivisten viel Kraft und Ressourcen.
Auslöser für den Abbau des Klimacamps Ende Juli ist nun die Sanierung des Rathauses, die ein Fortbestehen dort unmöglich macht. Die Aktivisten hätten umziehen können an andere Orte der Stadt, wie sie es schon einmal zeitweise gemacht haben, entschieden sich aber dagegen. Die Energie, die bisher in den Dauerprotest floss, werde für zukünftige Aktionen frei. Denn „Aufklärungsbedarf in Sachen Klimagerechtigkeit“ sehen die Klimacamper weiterhin.
Auch wenn die Aktivisten nun Protestformen organisieren wollen, die sie während der Sanierung des Rathauses für zielführender halten als einen Dauerprotest in einem Camp und auch wenn Bauteile des Camps nun vorerst zum Protest gegen Gasförderungen nach Reichling ziehen – abgemeldet wird das Klimacamp offiziell nicht. Ingo Blechschmidt, einer der Initiatoren der ersten Stunde, kündigt an, das Camp beim Ordnungsdienst nicht für beendet, sondern für unterbrochen zu erklären. Eine Hintertür für eine Rückkehr halten sich die Aktivsten also offen.