Süddeutsche Zeitung

Aufregung um Restaurant:Augsburg verpachtet Schwarzbau

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Die Kahnfahrt, eine touristische Attraktion der Stadt, muss teils abgerissen werden, weil Jahrzehnte lang niemand in die Akten geschaut hat. Bert Brecht dreht sich mutmaßlich im Grabe um.

Von Florian Fuchs

Vielleicht sollten sie in der Augsburger Stadtverwaltung jetzt besser alles auf die Probe stellen. Akten wälzen. Ins Archiv steigen. Wer sagt denn zum Beispiel, dass bei der Fuggerei alles seine Ordnung hat? Könnte ja sein, dass 500 Jahre keiner mehr nachgesehen hat und sich plötzlich aufgrund alter Schriftstücke herausstellt, dass die Wohnhäuser für bedürftige Augsburgerinnen und Augsburger Schwarzbauten sind. Das wäre misslich, vor allem für die Bewohner. Aber schon auch für die Stadt: So viele touristische Highlights hat Augsburg nun auch wieder nicht.

Vielleicht ist deshalb die Aufregung so groß um die Kahnfahrt. Die ist kein Anlaufpunkt für Besuchermassen wie die Fuggerei, die Puppenkiste oder der Goldene Saal im Rathaus. Aber trotzdem: Die Gastronomie am Stadtgraben mit dem Ruderbootverleih steht in jedem Reiseführer und ist auch bei den Augsburgern höchst beliebt. Die Kahnfahrt hat nun allerdings ein ziemlich großes Problem: Es fehlt ein Fluchtweg, vor allem aber hat die Verwaltung festgestellt, dass das Restaurant ein Schwarzbau ist. Dabei gehört der Grund der Stadt, die seit Generationen an die Gastronomenfamilie verpachtet. Nur hat nie jemand in die Akten geschaut.

Nun ist - reichlich spät - Hektik ausgebrochen. "Die Sommersaison für die Kahnfahrt ist gesichert! Sowohl die Außengastronomie als auch der Bootsverleih können in dieser Saison betrieben werden", verkündete Oberbürgermeisterin Eva Weber am Dienstagabend. Die Sache mit dem Fluchtweg bekommen sie behelfsmäßig hin, das tatsächlich arg in die Jahre gekommene Restaurantgebäude aber muss abgerissen werden. Womit allerdings fraglich ist, ob der Betrieb diesen Sommer wirtschaftlich sein kann. Die Stadt will nun einen Plan entwerfen, wie die Gastronomie, zum Beispiel durch einen Neubau, langfristig erhalten werden kann. "Was klingt wie ein mittelmäßiges Drehbuch für eine Behördenposse, ist in Augsburg bittere Realität", beschwert sich die Opposition von der "Bürgerlichen Mitte".

Dabei haben die Augsburger schon Erfahrung damit, dass nicht alles rund um die Kahnfahrt so richtig seriös ist. Der große Sohn der Stadt, der Dramatiker Bert Brecht, hat gegenüber des Bootsverleihs einen Teil seiner Kindheit verbracht. Touristen wird gerne erzählt, dass er an der Kahnfahrt das erste Mal seine Jugendliebe geküsst und sich ein Taschengeld verdient hat. Brecht-Experten sind dazu schon lange ins Archiv gestiegen: Hübsche Geschichte - stimmt so aber nicht.

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