In einer ungewöhnlichen Inszenierung sind die Verteidiger der unter Misshandlungsverdacht geratenen Vize-Chefin der Justizvollzugsanstalt Gablingen in die Offensive gegangen. Bei einer Pressekonferenz im Meetingraum eines Münchner Hotels erhoben die Strafanwälte Alexander Stevens, Holm Putzke und Thomas Krimmel am Dienstag Vorwürfe gegen das bayerische Justizministerium. Ihre Mandantin werde zu Unrecht „für strukturelle Mängel“ im bayerischen Justizvollzug verantwortlich gemacht, die das Ministerium zu verantworten habe. Das sei „eine schmutzige Nummer“. Putzke ergänzte: „Sie hat geltendes Recht umgesetzt. Sie hat sich korrekt an Vorschriften gehalten.“
Ende Oktober hatte die ehemalige Gefängnisärztin Katharina Baur Vorwürfe öffentlich gemacht, wonach Häftlinge in der JVA misshandelt worden seien. Demnach seien Gefangene zum Teil nackt und ohne Matratze in einen sogenannten besonders gesicherten Haftraum (BgH) gesperrt worden, tage- oder gar wochenlang. Niemand sei eingeschritten. „Ein Tier darf auf Stroh schlafen, ein Mensch muss nackt auf Betonboden schlafen“, sagte Baur im SZ-Interview und nannte die Zustände unzumutbar. „Ich sehe das als Folter.“
Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Augsburg gegen insgesamt 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der JVA, darunter die ehemalige Vize-Chefin der Anstalt. Sie trat bei der Pressekonferenz ihrer Verteidiger nicht persönlich in Erscheinung. Bislang habe die Staatsanwaltschaft noch keine Details zum vorgeworfenen Sachverhalt genannt, sagten die Verteidiger und präsentierten ein Schreiben der Behörde: „Akteneinsicht kann derzeit nicht erteilt werden“, heißt es da, da dies die Ermittlungen gefährden könnte. Das sei ein „wahnsinniges Problem“, sagte Putzke. Es sei nicht einmal klar, ob gegen seine Mandantin als Täterin, Mittäterin oder lediglich wegen Beihilfe zu einer Straftat ermittelt werde.
Fest steht bislang: Bei 13 Beschuldigten geht es um den Verdacht der Körperverletzung im Amt. Drei weiteren Gefängnisangestellten wird vorgeworfen, sie hätten zur Strafvereitelung Beweismittel geschreddert. In allen Fällen gilt die Unschuldsvermutung. Die Beschuldigten sind vorläufig suspendiert und dürfen die JVA nicht betreten. Die Gefängnisleiterin, gegen die nicht ermittelt wird, ist ebenfalls freigestellt worden. Eine neue Leitung führt die Anstalt derzeit kommissarisch.
Das Verteidiger-Trio versuchte am Dienstag, die ehemalige Vize-Chefin aus der Schusslinie zu nehmen. Sie sei erst 2023 ins Amt gekommen, schon zuvor habe es in Gablingen Missstände gegeben. „Warum wird nicht gegen alle Verantwortlichen ermittelt?“, fragten die Juristen und nahmen neben der JVA-Chefin („nichts geschah ohne Wissen der Leiterin“) auch das Justizministerium als Aufsichtsbehörde ins Visier. Es dulde gravierende Missstände in bayerischen Gefängnissen. Zum Beispiel, dass ein großer Anteil der Häftlinge psychische Störungen oder Drogenprobleme habe und sich dadurch unberechenbar und gefährlich verhalten könnte. „Diese Gefangenen gehören genau genommen gar nicht in die JVA“, so Putzke. Dass solche Menschen in Extremsituationen aus Sicherheitsgründen in besonders gesicherte Hafträume gesperrt werden, sei „gelebte Praxis“ in Bayern. „Das weiß die Politik und sie tut schlichtweg nichts“, sagte Putzke und griff dabei auch Justizminister Eisenreich an. Dieser habe „gar kein Interesse“ an den Zuständen in den Gefängnissen.
Der Gefängnisskandal hat längst eine politische Dimension. So hatte die Ärztin bereits im Oktober 2023 in einem Brief ans bayerische Justizministerium über die Missstände berichtet. Zwar hatte das Ministerium das Schreiben an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, die zunächst kein strafrechtlich relevantes Verhalten erkennen konnte. Doch darüber hinaus unternahm das Ministerium keine weiteren Schritte. Ein Fehler, wie Minister Georg Eisenreich (CSU) zuletzt einräumte. „Möglicherweise hat man in der Vergangenheit auch hier im Haus die Dimension der Vorfälle unterschätzt. Rückblickend muss man sagen, dass bei der Kontrolle von Gablingen noch mehr hätte passieren sollen.“ Eisenreich selbst, das betonte er mehrmals, sei damals nicht über die Vorwürfe informiert worden. Er hat eine „rückhaltlose Aufklärung“ versprochen.
Im Landtag kündigte er jüngst eine strengere Überwachung „in besonders grundrechtssensiblen Bereichen“ an. Eine Kommission aus Juristen, Ärzten und Praktikern aus dem Strafvollzug soll Regeln für Unterbringungen in speziellen Hafträumen erstellen. „Wir brauchen einheitliche Leitlinien“ – auch weil der Anteil von psychisch kranken Gefangenen steige.
Für die Anwälte der Vize-Gefängnischefin ist das nicht genug. Sie halten es für problematisch, dass die Staatsanwaltschaft, rechtlich an Weisungen des Justizministeriums gebunden, den Fall aufklären soll. Sie schlagen einen Sonderermittler aus einem anderen Bundesland vor. Das Ministerium teilt auf SZ-Anfrage mit, dass die Staatsanwaltschaft selbständig ermittle. „Staatsminister Eisenreich hat von diesem Weisungsrecht in seiner Amtszeit als Justizminister keinen Gebrauch gemacht. Dies gilt auch in diesem Fall.“