Der Schnabel der Ente ist orange, wie bei einem Weibchen, auch das Gefieder am Kopf ist leicht braun gefärbt. Allerdings gleicht der restliche Körper einem Erpel: grauer Rücken, graue Flanken, eine typische Erpellocke hinten am Bürzel, also kleine gebogene Schwanzfedern. Doch wäre die Stockente ein Männchen, hätte sie einen grün schillernden Kopf. „Hahnenfedrigkeit“ nennen Experten dieses Phänomen, mal weibliche, mal männliche Merkmale im Gefieder. Philipp Kraemer vom Naturwissenschaftlichen Verein Schwaben ist sich jedenfalls sicher: Im Augsburger Stadtgraben hat er eine intersexuelle Ente entdeckt.
Kraemer ist Ornithologe, gerade schreibt er an seiner Doktorarbeit. Bei der Ente im Stadtgraben hat er aber selbst ein wenig gebraucht, um zu begreifen, wie das Tier einzuordnen ist. Gemeinsam mit einem Kollegen ist er in der Mittagspause öfter zum Stadtgraben gelaufen, Enten zählen. Etwa 50 Exemplare leben dort, die Stockente mit dem weiblichen Schnabel und dem männlichen Gefieder ist ihnen bald aufgefallen. Zuerst aber dachte Kramer an einen Hybriden, also einen Nachkommen verschiedener Entenarten. „Irgendwann bin ich darauf gestoßen, dass es eine intersexuelle Ente sein muss.“ Das hat ihn interessiert, also hat sich Kraemer eingelesen – obwohl er als Ornithologe Experte ist, musste er zu diesem Phänomen erst selbst recherchieren. „Intersexuelle Enten“, sagt nämlich Kraemer, „sind extrem selten.“ Vor allem sind solche Tiere bisher wenig dokumentiert.
In einem Vogelzoo in Asien, erläutert Kraemer, habe man einmal über lange Zeit untersucht, wie oft das Phänomen der Intersexualität bei gefangenen Spießenten vorkomme. Nur bei 0,07 Prozent der Tiere konnten die Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig als weiblich oder männlich identifiziert werden. Umso erstaunter war der Ornithologe, solch ein Tier in Augsburg ausgemacht zu haben.
Kraemer erklärt das Phänomen so: Weibliche Enten haben in der embryonalen Anlage zwei Eierstöcke. Im Lauf der Entwicklung verkümmert einer davon, der andere dagegen produziert Östrogen. Das weibliche Hormon wiederum unterdrückt die Ausbildung eines männlichen Gefieders. Wenn nun ein Weibchen relativ alt ist oder von Geburt an einen Fehler am Eierstock hat oder eine Krankheit, funktioniert die Hormonproduktion nicht mehr richtig. Aus dem ursprünglich verkümmerten Eierstock entwickeln sich im extremsten Fall Hoden, zumindest aber produziert die Ente dort plötzlich Testosteron – und bildet dementsprechend ein männliches Gefieder aus. Anfang des vergangenen Jahrhunderts, erläutert Kraemer, sei in der Literatur einmal beschrieben worden, dass eine weibliche Ente Hoden entwickelt habe, die Spermien produzierten.
Generell beobachtet man Intersexualität bei Vögeln vor allem bei Enten und Hühnern. Ansonsten aber gibt es zahlreiche Tiere, die intersexuell sind, Zwitter oder Hermaphroditen. Korallen lassen sich nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen. Der Clownfisch wandelt sein Geschlecht im Laufe seines Lebens durch hormonelle Änderungen, ein Männchen wird dann zu einem Weibchen. Regenwürmer sind Zwitter, jeder von ihnen hat also Hoden und Eierstöcke – sie befruchten sich gegenseitig. Auch Seepocken können befruchten oder sich selbst befruchten lassen. Da sich die erwachsenen Tiere nicht bewegen können, müssen sich Partner in unmittelbarer Nähe befinden: Männchen tasten dafür mit ihrem Penis, der bis zu acht Mal so groß wie die Körperlänge werden kann, die Umgebung ab, um so nach anderen Seepocken zu suchen.
Die Stockente im Augsburger Stadtgraben lebt ein völlig unbehelligtes Entenleben. Offenbar, so hat es Ornithologe Kraemer beobachtet, lebt das Tier sogar in einer Paarbindung mit einem Erpel. Allerdings ist nicht klar, ob es mit der Fortpflanzung klappen könnte. Beim Studium der Literatur ist Kraemer und seinem Kollegen noch eine Arbeit aus dem „Bulletin of The British Ornithologists’ Club“ aufgefallen. Der Autor James Harrison schreibt im Jahr 1968, dass intersexuelle Vögel bereits im Mittelalter bekannt waren. Den Tieren erging es allerdings nicht so gut wie dem Augsburger Exemplar, das Kraemer nur von Weitem studiert. Harrison schreibt, dass die Menschen solche Anomalien früher als Hexenkunst identifizierten – und die Tiere somit brennen mussten.