Der Fahrgastverband Pro Bahn hat gerade wieder einmal Alarm geschlagen. Die Züge von Augsburg nach München seien im Berufsverkehr dermaßen überfüllt, dass an den Haltestellen Pendler einfach stehen gelassen werden müssten, zum Beispiel in Mering im Landkreis Aichach-Friedberg. Diese Situation ist für die Betroffenen einerseits extrem ärgerlich, sie sollte andererseits aber ein Beleg sein für die wirtschaftliche Kraft der Metropolregion, die weite Teile des südbayerisches Raumes umfasst und damit auch Augsburg.
Tatsächlich ist die Arbeitslosigkeit niedrig, im Arbeitsamtsbezirk herrscht mit einer Quote von 3,2 Prozent beinahe Vollbeschäftigung. Es stellt sich derzeit aber wieder einmal die Frage, ob die schwäbische Bezirkshauptstadt langfristig nicht nur als günstigere Wohnortalternative im Vergleich zu München punkten, sondern sich auch selbst als attraktiver Wirtschaftsraum etablieren kann.
Nach der jüngsten Ankündigung des japanischen Konzerns Fujitsu, sein Computerwerk mit 1800 Beschäftigten bis September 2020 zu schließen, sehen sich die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaftskammern, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften nun zu einer kritischen Analyse zur Zukunft der Region Augsburg gezwungen. "Wir müssen neue Akzente setzen", fordert etwa der Hauptgeschäftsführer der schwäbischen Industrie- und Handelskammer, Peter Saalfrank.
Auf den ersten Blick stimmen die Rahmenbedingungen für eine prosperierende Entwicklung. Mit der Autobahn A 8 im Norden und der Verbindungsachse B 17 Richtung Süden zur A 96 ist die Stadt besser und störungsfreier an das Verkehrsnetz angebunden als die Landeshauptstadt. Mit dem derzeit laufenden Umbau des Hauptbahnhofs in Augsburg wird zudem das Schienennetz auf der Achse Paris-Wien optimiert. Ein Technologiezentrum ist entstanden, die außeruniversitäre Forschung floriert. "Augsburg ist stark in der Umwelttechnologie, in der Luft- und Raumfahrt und im Bereich der neuen Materialen wie Carbon", konstatiert Bayerns Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer. Weshalb wenden sich dann Unternehmen von Augsburg ab? "Es ist schon auffällig, dass wir diese Entwicklung haben", sagt Saalfrank.
Zerschlagungen der Firmen schürten "die Angst in der Bevölkerung"
Wegen des Strukturwandels vom klassischen produzierenden Gewerbe hin zur Hochtechnologie kam es in den vergangenen Jahren zu Werksschließungen und Insolvenzen. Der Weltbild-Verlag, der Autozulieferer Wafa, die kurzzeitig wiederbelebte Motorradmarke Horex sind einige Beispiele. Die Turbulenzen um den Druckmaschinenhersteller Manroland mit anschließender Aufsplittung haben auch aufgezeigt, wie fragil der Wirtschaftsstandort ist. Und zuletzt der Lampenhersteller Ledvance, ein ehemaliges Osram-Unternehmen, das seine Produktion schließen wird. Zum 1. November wurden die meisten der 700 Mitarbeiter freigestellt. Damit geht eine 100-jährige Tradition der Leuchtenherstellung in Schwaben zu Ende.
Es sind die Folgen der Globalisierung, die die Menschen umtreiben. Die Zerschlagungen der Firmen schürten "die Angst in der Bevölkerung", so fasst die SPD-Vorsitzende in Augsburg, Ulrike Bahr, die Stimmung zusammen. Die Ursache für diese Entwicklung liegt für IHK-Geschäftsführer Saalfrank auf der Hand: Der Standort Augsburg sei gekennzeichnet durch große Konzerne, deren Geschäftsführung nicht vor Ort sitze. Damit besteht für Konzerne wie Fujitsu in Japan und Ledvance in China keine emotionale Bindung zu ihren Werken in Bayern.
Aus ihrer Sicht besteht kein Anlass, die Arbeitnehmer in der Region bei ihren unternehmerischen Überlegungen zur Kostenersparnis im Vergleich mit anderen Werken rund um die Welt bevorzugt zu behandeln. Auch andere große Betriebe in Augsburg seien längst fremdbestimmt, sagt Saalfrank. Der Roboterhersteller Kuka ist ein Aushängeschild der Maschinenbaubranche. Auch dieses Unternehmen, längst in chinesischer Hand, sorgte in diesen Tagen für Aufsehen, weil es seine Umsatzprognose nach unten korrigierte. Das ist angesichts der abkühlenden Konjunktur nicht ungewöhnlich, schürt aber in Augsburg Befürchtungen.
Saalfrank fordert die Politik auf, sich zu wappnen. Man müsse auf die Konzernzentralen zugehen, um die Verantwortlichen in "präventiven Dialogen" stärker an die Region zu binden. Inwieweit solch eine Charmeoffensive Konzernlenker in Fernost tatsächlich beeindrucken würde, dass weiß auch Saalfrank nicht. "Die endgültige Lösung haben wir noch nicht."
Nach der angekündigten Werksschließung von Ledvance im vergangenen Jahr hatte die Stadtspitze an einem runden Tisch um Lösungen für die betroffenen Arbeitnehmer gerungen. Nun wird es Ende des Monats eine Jobbörse für sie geben, viel mehr kam am runden Tisch nicht heraus. Mit Verweis auf die gute Lage am Arbeitsmarkt geben sich die Beteiligten aus Politik und Wirtschaft aber optimistisch, dass die entlassenen Mitarbeiter neue Stellen finden werden. Allerdings sind Forscher und Entwickler deutlich mehr gefragt als Arbeiter am Fließband.
Ähnlich wird es bei Fujitsu kommen, auch hier hat die Stadt bereits zu einer Krisensitzung geladen. Wieder fiel das Stichwort Jobbörse, doch ist das die Lösung? Die stellvertretende Vorsitzende der SPD Augsburg, Anna Rasehorn, fordert vielmehr eine "starke arbeitsplatzorientierte Wirtschaftsstrategie". Runde Tische könnten dies alleine nicht leisten. Jetzt seien das Wirtschaftsreferat der Stadt und die bayerische Staatsregierung gefordert. Allerdings kommt schon einiges Geld aus München.
Die Stadt Augsburg hängt am finanziellen Tropf der Staatsregierung. Der Freistaat hat das Augsburger Klinikum übernommen und wertet es zu einer Uniklinik mit geschätzten 6000 neuen Arbeitsplätzen auf. Auch die millionenteure Sanierung des Großen Theaters finanziert das Land zu einem Gutteil mit, um es als Staatstheater weiter zu führen. Noch kann sich Augsburg auf die finanziellen Hilfen aus München verlassen. Auch im Fall Fujitsu. Nach der jüngsten Hiobsbotschaft stellte das Wirtschaftsministerium umgehend "Fördermittel für kleine und mittelständische Unternehmen in Aussicht".
Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) lobt die "tatkräftige Unterstützung". In einer Stellungnahme zur angekündigten Werksschließung zeigt er sich aber auch verärgert über die Strategie des Technologieunternehmens. Es handle sich freilich um eine Konzernentscheidung, so der OB. "Die sachliche Grundlage dafür erschließt sich mir und vor allem den direkt betroffenen Beschäftigten von Fujitsu aber nicht ohne weiteres."
Die Infrastruktur in der Region sei sehr gut, Fachkräfte seien verfügbar und Angebote zur Innovationsförderung zahlreich vorhanden. Auch deshalb habe er kein Verständnis für diesen radikalen Schnitt, so Gribl weiter. Die zweite Bürgermeisterin und Wirtschaftsreferentin, Eva Weber (CSU), bezeichnet es als geradezu "bizarr", dass nur einen Steinwurf von Fujitsu entfernt im Augsburger Innovationspark an neuen Technologien und Wissenstransfer mit Hochdruck gearbeitet werde, während nebenan ein Werk geschlossen werde.
Während also nach neuen Strategien für den Wirtschaftsstandort gesucht wird und der Freistaat der Stadt mit Fördermitteln weiter unter die Arme greifen muss, hat die IG Metall das Fujitsu-Werk noch nicht aufgegeben. "Wir werden das nicht einfach akzeptieren, sagt die Unternehmensbeauftragte der Gewerkschaft, Angela Steinecker. IG-Metall-Bezirksleiter Jürgen Wechsler fordert die Staatsregierung auf, gegen die Schließungspläne zu intervenieren. Für Augsburg gehe es "um die Substanz", mahnt Wechsler.