Das "Warum" ist die Frage, die so schwer zu beantworten ist. Fast alles andere war ja schnell geklärt bis zum Montag: Sieben junge Männer greifen am späten Freitagabend in der Augsburger Innenstadt zwei Männer an, ein 49-Jähriger stirbt nach einem Schlag. Die Kriminalpolizei richtet eine Ermittlungsgruppe mit 20 Fahndern ein. Die Polizisten arbeiten den ganzen Samstag, werten in der Nacht auf Sonntag weiter Bilder von Videokameras aus, dann greifen sie zu. Erst nehmen sie den Hauptverdächtigen fest, einen 17-Jährigen, dann fünf andere Verdächtige. Am Montag schließlich ist das siebte Mitglied der Gruppe in Gewahrsam. Recht viel reibungsloser kann Polizeiarbeit nicht laufen. Bleibt also die Frage: Wie kommt es zu so einem Gewaltausbruch?
Gerhard Zintl sitzt vor einer großen blauen Leinwand, das Polizeipräsidium Schwaben Nord hat am Montagnachmittag zu einer Pressekonferenz geladen. Zintl ist Chef der Augsburger Kriminalpolizei, er ist ein erfahrener Ermittler, einer, der den Tatverlauf nüchtern referieren kann. Die Videobilder von Überwachungskameras, sagt er, zeigen zwei Männer und die Gruppe der sieben Tatverdächtigen. Die Frauen der beiden Männer laufen voraus, das spätere Opfer und sein Bekannter passieren die sieben Männer zunächst. Der 49-Jährige dreht sich schließlich um, sagt offenbar etwas. "Die jungen Männer gestikulieren", sagt Zintl. Da geht der Mann auf die Gruppe zu, die ihn umringt. Plötzlich trifft ihn ein Schlag, sein Bekannter eilt herbei, will helfen, wird selbst geschlagen und erheblich im Gesicht verletzt.
"Der Schlag war unvermittelt, kam mit voller Wucht von der Seite und hat zum Tod geführt", sagt Zintl. Alles dauerte nur Sekunden. Der 49-Jährige, der bei der Berufsfeuerwehr arbeitete und eine Ehefrau und eine Tochter hinterlässt, habe sich allen Erkenntnissen nach ganz normal verhalten. Auf den Bildern ist nicht zu erkennen, dass die Aggression von ihm ausgegangen ist. Die Gruppe junger Männer habe sich "auffällig bewegt". Ob gepöbelt wurde, was der Auslöser für den Schlag war, warum es zu der tödlichen Attacke kam - auch Zintl kann sich dieser Frage nur annähern. "Alles Weitere wird sich im Laufe der Ermittlungen zeigen", sagt er. Die Zeugenbefragungen laufen noch, die Tatverdächtigen müssen ausführlich gehört werden. "Aus ermittlungstaktischen Gründen können wir noch nicht mehr sagen."
Auf diese "ermittlungstaktischen Gründe" gehen Zintl und auch der Präsident des Polizeipräsidiums, Michael Schwald, im Laufe der Fragerunde ausführlich ein. Nicht weil sie noch mehr Details preisgeben, sondern weil die Polizei laut Schwald seit dem Wochenende "in den sozialen Medien unerträgliche Anfeindungen hinnehmen muss". Gerade was die Nationalität der mutmaßlichen Täter anbelangt, ist die Öffentlichkeitsarbeit in solchen Fällen für die Polizei heikel. Der Hauptverdächtige sei ein 17-jähriger Augsburger mit mehreren Staatsangehörigkeiten, hieß es nur nach der Festnahme am Sonntag. Er hat die deutsche, die türkische und libanesische Staatsangehörigkeit. Am Montag steht also fest: Sechs der sieben mutmaßlichen Täter sind Deutsche, fünf mit Migrationshintergrund, einer ist Italiener.
Wütende Fragen musste die Polizei sich auch gefallen lassen, weil sie während der Fahndung keine Fotos und auch keine Täterbeschreibung herausgab. Die einen haben krakeelt, dass das doch Flüchtlinge gewesen seien und die Ermittler alles vertuschen wollten. Doch auch andere Beobachter, die ehrlich bestürzt sind, interessieren sich für den Hintergrund der Täter, allein wegen der politischen Diskussion um Präventionsmöglichkeiten: Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen haben ein höheres Risiko, straffällig zu werden. Jugendliche mit Migrationshintergrund wachsen besonders oft in solchen Verhältnissen auf.
"Wir haben kein Interesse, etwas zu vertuschen", stellte Polizeipräsident Schwald klar. "Wir ordnen in so einem Fall aber alles dem Ermittlungserfolg unter." Eine Öffentlichkeitsfahndung, gar mit Fotos der Verdächtigen, sagt auch Zintl, hätte die Ermittlungen gefährden können. Der Chef der Kriminalpolizei gibt einen Einblick, womit die Polizei in solchen Fällen konfrontiert ist: mit einem äußerst diffusen Bild. Die Aufnahmen der Kameras zeigten junge Männer, mehr nicht. Die Gesichter konnten die Fahnder erst spät deutlich aus dem Bildmaterial herausarbeiten. Die einen Zeugen, erläutert Zintl, ordneten die Tatverdächtigen "Sinti und Roma zu, was überhaupt nicht der Fall ist". Die anderen redeten von Deutschen, wiederum Dritte wollten einen osteuropäischen Dialekt gehört haben. Die Ermittler wären also zunächst gar nicht in der Lage gewesen, eine vernünftige Öffentlichkeitsfahndung herauszugeben - sie wussten schlicht zu wenig. Außerdem, sagt Schwald, würden Täter durch die Veröffentlichung von Bildern gewarnt. Sie könnten untertauchen, sie könnten Beweismittel vernichten.
Und dann hatte die Polizei ja keine Not. Der Königsplatz ist einer der belebtesten Orte in Augsburg, Bayerns drittgrößter Stadt, aber auch als Treffpunkt der Alkohol- und Drogenszene bekannt. Deshalb hängen dort seit Ende letzten Jahres 15 Videokameras, deshalb hatte die Polizei die für den Ermittlungserfolg so wichtigen Bilder, auf denen Jugendbeamte des Präsidiums schließlich Tatverdächtige identifizierten. Unter anderem der Hauptverdächtige ist bereits polizeibekannt, auch wegen Körperverletzung. Die Öffentlichkeitsfahndung war also schlicht nicht mehr nötig. "Der Erfolg gibt uns recht", sagt Schwald.
Was die Menschen bei dieser Tat über Augsburg hinaus so fassungslos macht, ist die Nichtigkeit, aus der heraus plötzlich ein Mann tot auf dem Asphalt liegt. Eine Zufallsbegegnung, ein verbaler Schlagabtausch. Der Leiter der örtlichen Staatsanwaltschaft, Rolf Werlitz, kann die Frage nach dem Warum auch nicht abschließend beantworten. Er kann die Tat aber juristisch einordnen. Alle sieben Tatverdächtigen im Alter zwischen 17 und 20 Jahren befinden sich nun in Untersuchungshaft. Der Hauptverdächtige wird sich wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung verantworten müssen, die anderen wegen Beihilfe zum Totschlag und gemeinschaftlich begangener Körperverletzung.