Augsburg:Wenn Kinder erst in der Kita Deutsch lernen

Kindertagesstätte

Namen aus aller Welt zeugen in den Kindertagesstätten von der unterschiedlichen Herkunft der Kinder.

(Foto: Uwe Zucchi/dpa)
  • 52 Prozent der Kita-Kinder in Augsburg kommen aus Familien, in denen ein Elternteil oder beide im Ausland geboren sind.
  • Dieser hohe Anteil von Kindern, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen, erfordert neue Unterrichtsformen bei den Kitas.
  • Bis 2019 will der Bund jährlich 100 Millionen Euro für Spachförderung zur Verfügung stellen.

Von Johann Osel

Der süße Duft aus dem Milchreistopf zieht durch die ganze Etage, am Herd selbst wird gekocht, aber auch gesungen und geredet. "Lirum Larum Löffelstiel", damit fängt Anita Loider an. Der Bub mit den schwarzen Haaren schaut abwechselnd in den riesigen Topf und zur singenden Erzieherin, rührt um, hört zu. Dann probiert er. "Pusten, sonst verbrennst du dir die Zunge", sagt Loider und deutet auf ihre Zunge. Und nochmals: "Diiiee Zunge".

Es entsteht ein Dialog, irgendwann sagt der Junge, als der Holzlöffel quer über dem Topf liegt: "Sieht aus wie eine Brücke." Loiders Job im Kindernest in Augsburg-Pfersee ist es, die Dinge beim Namen zu nennen und Kinder zum Sprechen zu bringen. "Alltagsintegrierte sprachliche Bildung". Kinder - zumal, wenn in ihren Familien nicht Deutsch gesprochen wird - sollen beiläufig Wörter kennenlernen und üben. Beim Spielen und Basteln, Zähneputzen und Schuhzubinden. Oder beim Kochen.

"Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist" - es ist ein etwas umständlicher Name für ein politisches Projekt. Aber Treffenderes hätte sich das Bundesfamilienministerium wohl kaum ausdenken können. Bis 2019 stellt der Bund jährlich 100 Millionen Euro bereit, Tausende Stellen für Sprachförderung. 13 Kitas sowie eine übergreifende Beratungsstelle nehmen in Stadt und Landkreis Augsburg teil, mindestens zwei Dutzend weitere Kitas aus der Region dürften in der nächsten Programmrunde noch dazu kommen. Weitere "Sprach-Frauen", so nennt sich Anita Loider selbst. Sie legt dazu keinen gesonderten Lernplan auf, sondern beobachtet Kinder und ihre Kolleginnen, gibt Tipps - um die Sprachvermittlung in Alltagssituationen zu verbessern.

Auch wenn an der Pforte zur Elterninitiative Kindernest die Plakette "Sprach-Kita" hängt, wie an mehr als 500 Kitas in Bayern, so macht sich das auf den ersten Blick nicht bemerkbar. Die Jungs toben in einem Raum auf Matten, spielen mit Geschrei Superheld; zwei Mädchen nebenan versinken still in Bilderbüchern. Loider achtet dennoch manchmal auf die Zusammensetzung der Grüppchen - dass nämlich nicht nur deutsche Kinder unter sich sind.

Hier in der Kindergartengruppe spielen miteinander: Aybüke und Justus, Mustafa und Lars. Die Eltern der Kindern stammen aus Deutschland, aber auch aus Afghanistan, Syrien, aus der Türkei, China und Kamerun, gut 40 Prozent der Gruppe hier haben ausländische Wurzeln. Da liegt sie noch unter dem Augsburg-Schnitt: 52 Prozent der Kita-Kinder in der Stadt kommen aus Familien, in denen ein Elternteil oder beide im Ausland geboren sind. Somit gehört Augsburg zu den Städten im Freistaat mit der höchsten Quote.

Kita-Besuch als Schlüssel zum Erfolg

Dass Kinder mit Zuwanderungshintergrund eine Kita besuchen, gilt als Weichenstellung für den späteren Erfolg. Kitas haben sich in den vergangenen Jahren gehörig verändert, sie gelten schon längst nicht mehr als Aufbewahrungsstätten, sondern als erste Bildungseinrichtungen. Sprach-Frau Loider überträgt die Theorie aus Fortbildungen in die Praxis, filmt ihre Kolleginnen im Job. Gemeinsam beraten sie, wo zu beiläufig mit Kindern gesprochen wird, wie sich Ideen einbinden lassen, Aktionen mit ersten Buchstaben und Zahlen.

Das ist kein Hexenwerk, aber man müsse sich "bewusst werden, dass es im Alltag 1000 Lernmöglichkeiten gibt". Beispiel Werkatelier. "Ah, du nimmst den Pinsel und die Farbe Blau", hört man demonstrativ, wenn ein Kind sich zum Malen anschickt. "So kriegen die Kinder Wörter", weiß Loider. Oder beim Spielen im Kaufmannsladen. Der aber, so bemerkt die Erzieherin, "ist heute wohl ausverkauft". Leere Theke, alles weg.

Es bleibe Kitas vor allem in Städten keine andere Wahl, als Sprache in den Fokus zu rücken, meint Kathrin Göckeler von der Fachberatungsstelle in Augsburg, sie koordiniert die örtlichen Sprach-Kitas. "Der Bund hat viel Geld in die Hand genommen, gut durchdacht. Aber das Programm ist keine eierlegende Wollmilchsau". Die Umsetzung müsse bei jeder Kita-Gruppe passen, auch müsse man Abläufe nachhaltig verändern - denn in ein paar Jahren läuft die Förderung wohl wieder aus. Das Programm zielt auch auf den Kontakt mit Eltern, Erzieher werden geschult für diese Gespräche.

Manche Eltern haben Angst, dass das Lern-Niveau gedrückt wird

Schon beim Procedere: Wie erhält man jemanden aus dem Dolmetscher-Pool? Aber auch im Grundsatz: Wie reagiert man auf skeptische Eltern, die nicht wissen, wie Bildung und Betreuung hierzulande ablaufen? "Man kann verstehen, wenn Flüchtlinge, die ihre Kinder gerade aus der Gefahrenzone raus haben, sie ungern gleich weggeben", sagt Göckeler. Der Wert des Kita-Besuchs für diese Kinder liegt jedoch auf der Hand - hier und nur hier kommen die meisten in Kontakt mit der deutschen Sprache. Das bayerische Sozialministerium hat Kita-Informationen für Flüchtlingsfamilien gedruckt, auf Arabisch und Somali.

Im Kindernest scheint die Integration gut zu funktionieren. Sorgen wegen der Klientel oder des Prädikats "Sprach-Kita" habe sie noch nie gehört, sagt Loider. Derlei hört man andernorts schon: die Angst mancher deutscher Eltern, wonach hohe Ausländeranteile das Lern-Niveau drückten. Auch beklagt eine Mehrheit der Kita-Leitungen in Umfragen, dass sie sich beim Thema kulturelle Vielfalt im Stich gelassen fühlten. Nicht überall geschieht etwas, wie hier im Kindernest. Von der Sensibilität für Sprache, sagt Loider, profitieren ja letztlich alle - auch die deutschen Kinder. Der Milchreis wird nun verteilt. "Eine Schüssel, zwei Schüsseln, drei Schüsseln." Viele Kinder zählen mit. Loider sammelt die letzten tobenden Jungs ein, im Raum nebenan. Da übrigens findet sie die Plastikteile des Kaufmannsladens. Verstreut am Boden, "die Kasse", "der Apfel", "der Käse".

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