Uni Augsburg:Lebensmittel aus dem "Fairteiler"

Augsburg: Studenten organisieren FAIRteiler-Raum

Gegen Verschwendung: Elke Thiergärtner von Foodsharing Augsburg mit den Studenten Andreas Scherer, Franziska Kreß, Johanna Thebe und Karl Geller (v. l.).

(Foto: Johannes Simon)

In einem Kabuff haben Augsburger Studenten einen Kühlschrank aufgestellt: Hier kann jeder Lebensmittel herausnehmen oder hineinlegen. Die Box ist ein Zeichen gegen Verschwendung - und für mehr Mitbestimmung.

Von Anne Kostrzewa, Augsburg

Es riecht streng in dem kleinen Raum gegenüber der Alten Cafeteria an der Uni Augsburg. Jemand hat Raclette-Käse vorbeigebracht. Er liegt im Kühlschrank neben einer halben Orange, einem Becher Dickmilch und einem Mikrowellengericht mit Reis. Daneben, auf einem schwarzen Metallregal, lagern Schokoladentafeln, Süßstoff, eine Kokosnuss. Knurrt einem Studenten der Magen, kann er hier einfach vorbeikommen und sich mitnehmen, was er braucht.

"Es werden so unnötig viele Lebensmittel weggeworfen, dagegen wollen wir mit diesem Projekt ankämpfen", sagt Karl Geller und fischt sich ein Milchbrötchen aus einem abgegebenen Plastikbeutel. Der Lehramtsstudent kommt regelmäßig in das kleine Kabuff im Gebäude D, zum "Fairteiler". So nennen die Studenten ihren Kühlschrank, der ein Zeichen setzen soll gegen die Wegwerfkultur. Willkommen ist hier jeder, sagt Geller. Abgeschlossen wird nie.

Der Raum, in dem der Kühlschrank seit einem halben Jahr steht, wird von den Studenten in Eigenregie verwaltet - und steht an der Uni Augsburg damit wie ein trotziges Symbol für ein viel größeres Projekt der Studenten: Sie kämpfen für mehr Mitbestimmung. Denn Bayern ist das einzige Bundesland ohne verfasste Studierendenschaft, also ohne öffentlich-rechtliche Interessensvertretung.

In Augsburg wollen die Studenten das ändern. Ihr kleiner Raum in Gebäude D ist ihre erste gewonnene Schlacht. Ursprünglich gehörte er dem Frauenreferat, wurde aber kaum genutzt, erinnert sich Johanna Thebe. Deshalb kam ihr und ihrer Kommilitonin Franziska Kreß die Idee, das Zimmer nutzbar zu machen. Die beiden sind die Referentinnen des Freiraum-Referats, das seine Aufgabe bereits im Namen trägt und ebenfalls in Richtung Mitbestimmung strebt.

Gemeinsam mit Karl Geller und ein paar anderen schleppten die Studentinnen im vergangenen Herbst Sofas und Regale herein, putzten die Fenster, organisierten schließlich den Kühlschrank. "Wir hatten schon länger vor, diesen Raum nutzbar zu machen", sagt Thebe. "Er sollte für alle Studenten offen sein." Eine Art "soziales Experiment" sei das, einfach einen Raum zu schaffen, in den jeder ohne speziellen Grund kommen könne. Während sie das erzählt, kommt Andreas Scherer vorbei, noch ein Kommilitone. Er hat Kaffee gekocht, eine große Thermoskanne voll, und schenkt allen ein, die gerade da sind.

Engagement von zwei Studentinnen

Bevor der Raum zur Anlaufstelle für Lebensmittel wurde, durfte zwischenzeitlich für mehrere Wochen ein Student hier übernachten, weil er zum Semesterstart keine Wohnung gefunden hatte. Richtig klar definiert werden soll die Aufgabe des Raums auch jetzt nicht. Es solle ein "Zwischenraum" sein, sagt Johanna Thebe, "ein winzig kleines Dazwischen in den feststehenden Strukturen". Bis der Kühlschrank kam, waren auch eine Kleiderspende, eine Fahrradwerkstatt und ein Getränkeausschank auf Spendenbasis im Gespräch.

Dass am Ende das kostenlose Teilen von Lebensmitteln das Rennen machte, sagt Karl Geller, habe wohl auch an einer anderen Beschäftigung gelegen, der einige seiner Kommilitonen regelmäßig nachgehen: Sie "containern", durchsuchen also nach Ladenschluss die Müll-Container von Supermärkten nach Produkten, die zwar abgelaufen, aber noch genießbar sind. Bei dieser vor allem unter Studenten verbreiteten Jagd nach Gratis-Mahlzeiten geht es nicht immer um Bedürftigkeit. Neben der Kostenersparnis sei es oftmals Überzeugung, die dahinter stecke, sagt Geller: "Es widerstrebt mir einfach, dass Essen verschwendet wird, wenn es doch noch gut ist."

Foodsharing ist eine Lebenseinstellung

Er würde sich wünschen, dass der Raum bei noch mehr Studenten dieses Bewusstsein weckt, sagt Geller. Dass noch mehr Studenten einfach mal vorbei kommen und gucken, sich vielleicht für ein paar Minuten zum Quatschen auf eines der bunten Sofas setzen. "Wenn sie dazu noch etwas in den Kühlschrank legen oder sich herausholen: umso besser."

Damit im Kühlschrank nichts verdirbt, kontrollieren die Studenten täglich alle Vorräte. Ist etwas nicht mehr genießbar, entsorgen sie es schweren Herzens doch. Zwischen "Refugees welcome"-Stickern hängen deshalb überall selbstgemalte Plakate. "Feel free to come in", hat jemand mit Filzstift auf ein Poster vor der Tür geschrieben. Über dem Kühlschrank hängt: "Essen für lau - aber mit Verantwortung" und "Nimm mit, was du brauchst!".

"Momentan kommen vor allem Leute, die uns persönlich kennen", sagt Karl Geller. Viele, die regelmäßig Essen abgeben, seien bereits für das Thema sensibilisiert - weil sie auch bei der Initiative "Foodsharing" aktiv sind, wie Geller sagt. Seit etwa drei Jahren gründen sich über diese online-basierte Plattform in immer mehr Städten und Gemeinden Gruppen, die einen öffentlich zugänglichen Kühlschrank aufstellen, an dem sich andere bedienen können.

Augsburg: Studenten organisieren FAIRteiler-Raum

Freie Wahl: Im "Fairteiler" gibt es Dickmilch, eine halbe Orange, ein Fertiggericht und "feinsten Käse".

(Foto: Johannes Simon)

Auch Augsburg hat eine - wenn auch kleine - Foodsharing-Gruppe. Elke Thiergärtner von Foodsharing Augsburg kommt regelmäßig auf einen Kaffee in dem Studentenzimmer vorbei, oft bringt sie auch Lebensmittel vorbei. Dass das Projekt an der Uni so gut anläuft, freut sie. Eine ähnlich gute Resonanz, sagt Thiergärtner, würde sie sich für den Rest der Stadt auch wünschen: "Viele denken sich: ,Wer weiß, wo das herkommt' oder: ,Ich hab doch Geld, mir das selbst zu kaufen'."

Beim Teilen von Lebensmitteln gehe es aber nicht um reich oder bedürftig, sondern um Nachhaltigkeit. "Wir verstehen uns auch nicht als Konkurrenz zu den Tafeln", sagt Thiergärtner. "Wenn die Tafeln das Essen nehmen, ist das toll. Uns geht es nur darum, dass möglichst wenig Lebensmittel im Müll landen." Anders als bei den Tafeln kann beim Foodsharing deshalb jeder Essen mitnehmen, egal, was er verdient.

Der Kühlschrank soll nur der Anfang sein

Und noch einen Unterschied gibt es beim Foodsharing: Auch angebrochene und verderbliche Lebensmittel können abgegeben werden, das gehört zum Konzept. Ausnahmen gibt es bei schnell Verderblichem wie Eiern oder rohem Fleisch. Einigen Lebensmittelbehörden geht der Verbraucherschutz dennoch nicht weit genug - im Januar machte Berlin Schlagzeilen. Dort stehen wegen verschärfter Auflagen viele Fairteiler-Standorte vor dem Aus.

An der Uni Augsburg dagegen soll der Kühlschrank nur der Anfang sein. "Wir wollen hier nicht nur studieren, sondern auch leben", sagt Johanna Thebe. "Dieses Zimmer ist ein Schritt in diese Richtung." Wenn es gut läuft, sollen weitere selbstverwaltete Räume folgen. Und mit ihnen mehr studentische Mitbestimmung.

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