Süddeutsche Zeitung

Naturschutz:Augsburg will mehr Bäume erhalten

Die Umbaumaßnahmen am Vorplatz des Hauptbahnhofs zwingen die Stadt, über den Baumbestand zu entscheiden. Mit möglichst wenig Fällungen wollen die Verantwortlichen großem Protest zuvorkommen.

Von Florian Fuchs, Augsburg

Erst vor Kurzem hat die Stadt Augsburg den Titel "fahrradfreundliche Kommune" für sieben weitere Jahre verliehen bekommen. Es kann sein, dass die Bewertungskommission, die vor Ort geprüft hat, die Viktoriastraße vor dem Hauptbahnhof nicht ganz so genau in Augenschein genommen hat. Dass der Streifen für Radfahrer dort "absurd schmal" ist, sagt genau so sogar der Baureferent Gerd Merkle. Das liegt daran, dass dort mit jeweils ein paar Metern Abstand in einer Reihe Robinien stehen, den Fahrradweg hat man irgendwann einfach knapp daran vorbeigeführt, die Fußgänger müssen ja auch irgendwo hin - teils ist der Radweg bucklig und wellig, weil die Wurzeln der Bäume nach oben drücken. Merkle würde hier gerne einen Radweg nach modernen Standards errichten, aber jetzt muss erst einmal ein Baumgutachten her.

Der gesamte Bahnhofsvorplatz wird im Zuge der Mammutsanierung am Bahnhof neu geplant, viel wichtiger als der Fahrradstreifen an der Viktoriastraße ist in Augsburg aber momentan die Frage, was mit den Bäumen auf dem Vorplatz geschieht. Denn die sollten in möglichst großer Zahl erhalten bleiben, von diesem Vorhaben ist in aktuellen Planungen allerdings nicht mehr so viel übrig. Der Protest formiert sich, weshalb die Stadtregierung aus CSU und Grünen das Bauvorhaben noch einmal neu bewerten will: Gibt es Möglichkeiten, mehr Bäume zu erhalten?

Die Frage ist in Augsburg aus mehreren Gründen hochpolitisch. Zum einen ist hier das Klimacamp so aktiv wie in kaum einer anderen großen Stadt: Aktivisten hatten erst vor Kurzem Bäume in einem Wohnbauareal besetzt. Für kurze Zeit zwar nur, dann begannen die Fällarbeiten. Ein solches Szenario am Hauptbahnhof käme der Stadt allerdings wenig gelegen, unter anderem weil sie erst Anfang des Jahres ein Baumkonzept für die nördliche Innenstadt formuliert hat. "Jeder Baum in der Stadt ist ein kleiner Beitrag für gutes Stadtklima", ist darin zu lesen.

Da wäre es seltsam, ausgerechnet am zentralen Hauptbahnhof kurzerhand zu roden. Und dann ist auf der Südhälfte des Bahnhofsvorplatzes vor ein paar Jahren ohnehin schon so gut wie alles schiefgegangen: Da war laut Umweltreferent Reiner Erben nach einer DIN-Norm eigentlich festgelegt, dass die dortigen Bäume erhalten bleiben. Das war bloß offenbar der Deutschen Bahn egal, die bis auf drei Exemplare alles plattmachte und Ausweichcontainer für die Bahnhofsgastronomie errichtete.

CSU und Grüne haben nun also einen Antrag gestellt, wie die Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes umgeplant werden kann, um mehr Bäume zu erhalten. Die aktuelle Entwurfsplanung sieht dort 42 Bäume vor. Übrigens mehr als vor den Bahnhöfen in München, Nürnberg, Hamburg, Wien und Oslo, wie die Verwaltung betont. Es sind auf einem Kiss&Ride-Parkplatz aber halt auch 34 Pkw-Kurzzeitstellplätze sowie Platz für Taxis und 466 Fahrräder vorgesehen - und ein großer Vorplatz ist geplant, der mit etwa 43 000 Pendlerbewegungen pro Tag hochfrequentiert sein wird. Die Grünen könnten sich unter anderem vorstellen, diese Freifläche zu verkleinern. Bei der CSU klingt der Antrag schon weniger enthusiastisch, sie zieht aber mit, soweit der Erhalt von mehr Bäumen irgendwie mit den Planungszielen vereinbar ist.

Ein erstes Baumgutachten soll nun also zum Beispiel klären, welche Bäume überhaupt erhaltenswert sind. Einige, zählen Bau- und Umweltreferent auf, seien ohnehin krank, beschädigt oder unterständig, bekämen also durch umstehende größere Exemplare zu wenig Licht. Wieder andere sind schlicht mit den Baumaßnahmen nicht zu vereinbaren, weil die Wurzeln jetzt schon gegen die Oberfläche drücken. Aus Sicht der Verwaltung würden Neupflanzungen in solchen Fällen mehr Sinn haben, um Bodenschäden zu vermeiden. "In den Achtzigerjahren hat man halt ein Loch gegraben und einen Baum eingesetzt. Das geht so heute nicht mehr", sagt Merkle.

Zeit für Diskussionen und Proteste ist allerdings noch reichlich vorhanden. Der Umbau des Bahnhofs wird wohl etwa 250 Millionen Euro kosten, im August 2023 sollen die neue Verteilerebene und die Empfangshalle fertig sein, im Frühjahr 2024 könnte dann die neue Straßenbahnhaltestelle im zweiten Untergeschoss stehen. Frühestens von Mitte 2026 an wird dann der Bahnhofsvorplatz neu gestaltet.

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