Architektur:"Es war ein hilfloses Gefühl"

Architektur: Die Auferstehungskirche in Sailauf war ein schroffer Bau, dessen Aussehen wenig mit klassischen Gotteshäusern zu tun hatte.

Die Auferstehungskirche in Sailauf war ein schroffer Bau, dessen Aussehen wenig mit klassischen Gotteshäusern zu tun hatte.

(Foto: Karl-Heinz Liebler; Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg)

Die Auferstehungskirche in Sailauf war ein typischer Bau des Brutalismus, schroff, aus Sichtbeton. Statt sie zu sanieren, wurde sie abgerissen. Ein Drama, sagt der Architekt Peter Wohlwender.

Interview von Olaf Przybilla, Sailauf

Vor zehn Jahren wurde in der Gemeinde Sailauf im Vorspessart nahe Aschaffenburg ein außergewöhnliches Bauwerk abgerissen: die Auferstehungskirche, der nur 38 Jahre beschieden waren. Der Fall darf als exemplarisch gelten: Der architekturhistorische "Brutalismus" - wie auch die Universität Regensburg oder das Stadtarchiv Nürnberg - hatte und hat bis heute wenig Fürsprecher. Der Berliner Architekt Peter Wohlwender hat dem zerstörten Gotteshaus in einem Buch ("Auferstehungskirche zu Sailauf", Verlag Dreiviertelhaus, Berlin 2019) ein Denkmal gesetzt.

SZ: Herr Wohlwender, Sie haben eine persönliche Geschichte mit diesem Bauwerk.

Peter Wohlwender: Ich habe die längste Zeit meiner Jugend in Sailauf verbracht, ja. Dieser Kirchenraum hat auf mich einen enormen Eindruck gemacht als Kind. Ich kannte das nur von großen Kathedralen, die ich in Urlauben mit meinen Eltern besucht hatte. Als Kind hat man einen direkten sinnlichen Zugang zu so einem Gebäude; ich glaube fast, ich habe es in ganz jungen Jahren besser verstanden als später.

Gab es nur Befürworter der Kirche in der 3000-Einwohner-Gemeinde Sailauf?

Natürlich gab es auch Leute, die die Kirche schlimm fanden. Die sagten: Betonklotz und solche Klischees. Ich fürchte fast, als Jugendlicher stand ich schon unter dem Eindruck davon. Als Kind aber? War das ein famos meditativer und sakraler Raum.

Wie haben Sie den Abriss 2009 erlebt?

Damals habe ich schon Architektur in Berlin studiert, habe es also nur aus der Ferne mitbekommen. Es war ein hilfloses Gefühl. Und es ging auch alles sehr schnell. Man wollte dieses Bauwerk nicht sanieren. Innerhalb eines halben Jahres war es weg.

Unter Denkmalschutz stand es nicht?

Nein. Erst vor zehn Jahren begann man sich auch für den Brutalismus als architekturhistorisches Phänomen zu interessieren. Als es im Ort Widerstand gab nach dem Abriss-Beschluss der Kirche und die obere Denkmalschutzbehörde von dem Fall Wind bekam, war's schon zu spät. Da war die Inneneinrichtung schon ausgebaut. Die untere Denkmalschutzbehörde hatte das einfach verschlafen. Ein Drama.

Und am Ende war die Kirche weg, nach 38 Jahren. Deren Architekt Emil Mai war ein Schüler von Sep Ruf, einer Ikone der Nachkriegsarchitektur in Deutschland.

Richtig. Und dass ein solches Bauwerk renovierungsbedürftig ist nach knapp 40 Jahren, ist völlig normal. Sailauf hatte ja noch eine alte, deutlich kleinere Kirche. Beide Kirchen zu sanieren, dafür glaubte man kein Geld zu haben. Das war der Anfang vom Ende.

Merkwürdig. Zumal sich die Sailaufer ehrenamtlich ja sehr engagiert hatten beim Bau ihrer neuen, großen Kirche.

Es kam da viel zusammen, auch der Rückgang der Kirchenbesucher. Am Ende war es wohl das Hauptproblem, dass die Entscheidung für den Abriss in den Kirchengremien getroffen wurde. Die Dorfbevölkerung, die so sehr beim Kirchenbau mitgeholfen hatte, wurde da nicht einbezogen.

Toll immerhin, wie viele Sailaufer sich mit dem schroffen Bau identifiziert hatten.

Es gab einen Pfarrer, der hat es ihnen erklärt: das Raue, nicht nur Heimelige des Spessarts - dazu passt schroffes Material, unverputzter Sichtbeton. Zumal sich die Kirche ja einfühlsam in die Landschaft einfügte. Im Spessart was das Leben immer karger als im barocken Würzburg. Was mich fasziniert: Bei der Buchvorstellung in Sailauf gab es keinen, der den Abriss nicht bedauert hätte. Ich glaube, man kann Menschen mit Avantgarde gar nicht überfordern. Man muss es ihnen nur erklären.

Man muss aber auch sagen: "Brutalismus" klingt schon erst mal uncharmant.

Klar. Und trotzdem spüren die Leute den Wert. Ein älterer Mann hat mir erzählt: So gut meditieren wie einst in diesem Bau kann er bis heute in keiner Barockkirche.

Architektur: Der Architekt Peter Wohlwender, 30, hat seine Jugend im unterfränkischen Sailauf im Kreis Aschaffenburg verbracht. 1999 zog er mit seinen Eltern in den Ort mit der ungewöhnlichen Kirche. Heute lebt und arbeitet er in Berlin.

Der Architekt Peter Wohlwender, 30, hat seine Jugend im unterfränkischen Sailauf im Kreis Aschaffenburg verbracht. 1999 zog er mit seinen Eltern in den Ort mit der ungewöhnlichen Kirche. Heute lebt und arbeitet er in Berlin.

(Foto: privat)

Ist der Fall Sailauf exemplarisch?

Ich hoffe es nicht. Wir müssen aber weiter den Blick auf diese Bauten lenken. Die Kirche in Sailauf, das war große Architektur.

Was sieht der Abrissplatz heute aus?

Es bietet sich ein trauriges Bild. Bis jetzt ist das eine Kiesfläche. Der Blitzschutz ragt noch raus, als wäre die Kirche gestern abgerissen worden. Gespenstisch. Inzwischen gibt es Pläne, dort eine Kita zu bauen.

Sie sind heute Architekt. Hat da eine Kirche Interesse für Architektur geweckt?

Unterbewusst kann ich mir das vorstellen. Natürlich ist es eine prägende Erfahrung, in jungen Jahren mit so einem Bauwerk in der Nachbarschaft konfrontiert zu sein.

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Brutalismus

Der Begriff Brutalismus steht für eine Architekturströmung, die vor allem in der Zeit zwischen 1950 und 1980 ihren Niederschlag fand. Eingesetzt wurde vor allem Sichtbeton, auch die sichtbare Konstruktion der Gebäude war dominierendes Stilelement. Der Architekt und Architekturtheoretiker Le Corbusier hatte den von ihm präferierten Werkstoff als "beton brut" - gewissermaßen roher Beton - beschrieben. Davon leitet sich der Name dieses Stils ab. In Deutschland ist vor allem das Corbusierhaus in Berlin bekannt, die Kirche Sankt Paul in Wuppertal und etliche in der Nachkriegszeit errichtete Unis, darunter die Ruhr-Universität in Bochum. Olaf Przybilla

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