Bergmann in der Oberpfalz:Vom alten Eisen

Fritz Raß war 34 Jahre lang Bergmann in Auerbach

Lärm, Staub, Dunkelheit: Fritz Raß, 79, schuftete 34 Jahre lang unter Tage. Heute ist sein ehemaliger Arbeitsplatz ein Museum.

(Foto: Sebastian Beck/oh)

Lärm, Staub, Dunkelheit prägten mehr als drei Jahrzehnte den Alltag von Fritz Raß. Er war Bergmann - ein Beruf, der in Bayern beinahe ausgestorben ist. Er kann aus der Zeit erzählen, als die Leute für diesen Job sogar Schlange standen.

Von Sebastian Beck, Auerbach

Zugegeben, ein Ausflug auf den Spuren des Erzabbaus in Bayern ist nicht gerade das naheliegende Programm fürs Wochenende. Gardaseesüchtigen Oberbayern dürfte der Nordkurs zunächst schwer fallen. Hinter Schwandorf aber verliert sich die Bundesstraße B 85 zwischen hübschen Hügeln und Herbstwäldern, bis nach 30 Kilometern kurz vor Auerbach ein Schild nach rechts zum Bergwerkmuseum weist. Dort wartet Fritz Raß am Eingang.

Sein Händedruck lässt immer noch erahnen, dass er früher mal gut mit Pressluftbohrern umgehen konnte. Er gehört einer Berufsgruppe an, die in Bayern inzwischen fast völlig ausgestorben ist: Raß war Bergmann, von 1955 bis 1989 schuftete er hier 137 Meter tief unter Tage. Lärm, Staub, Nässe, Kälte, Dunkelheit - all das prägte mehr als drei Jahrzehnte seinen Alltag. Und trotzdem würde er es noch mal genauso machen: "Die Kameradschaft, dass sich einer auf den anderen verlassen konnte, das war schon eine super Sache."

70 Jahre wurde in Auerbach Eisenerz abgebaut

Heute ist sein einstiger Arbeitsplatz ein Museum, und Raß, 79, führt die Besucher durch die Ausstellung: Zwei Fördertürme ragen über der Maschinenhalle in den Himmel und erinnern daran, dass hier in den Maffeischächten von 1908 bis zur Stilllegung 1978 etwa 16 Millionen Tonnen Eisenerz abgebaut wurden. Ein paar Kilometer entfernt in der Grube Leonie ging der Betrieb sogar bis 1987 weiter, dann machte das Stahlwerk Maxhütte als einziger Abnehmer erstmals Konkurs - und die fast 400 Kumpel von Auerbach verloren ihre Jobs. Raß ging bald darauf in Frührente.

Für Bayern bedeutete das Ende des Bergbaus eine epochale Zäsur. Jahrhundertelang hatten die Menschen vor allem in Nord- und Ostbayern nach Bodenschätzen gegraben. Braunkohle, Eisenerz, Gold, Uran, Graphit - die Liste ist lang. In der Oberpfalz wurden im 19. Jahrhundert die Grundlagen für die Industrialisierung Bayerns gelegt. Der Untergrund ist durchzogen von Stollen und Schächten, über der Erde sind nur noch wenige Zeugen erhalten, wie die Grube in Nitzlbuch, wo Anfang Dezember von den alten Kameraden noch immer das Barbarafest zu Ehren der Schutzheiligen gefeiert wird.

Obwohl sie sich kilometerweit durch den Berg sprengten und frästen, passierten nur selten schwere Unfälle. Den größten Aufruhr gab es in den 50er Jahren, als die Direktion das Biertrinken während der Arbeitszeit verbieten wollte. Die Belegschaft trat in den Streik und erkämpfte einen Kompromiss: eine Maß pro Mann und Schicht.

Maxhütte zählt zu den bedeutendsten Industriedenkmälern

Geschmolzen wurde das Erz aus Nitzlbuch in Sulzbach-Rosenberg. Dort rostet seit seiner Stilllegung 2002 das Stahlwerk Maxhütte vor sich hin. Oben auf dem Dach wachsen inzwischen Birken, das weitläufige Gelände gleicht einem Biotop. Dabei zählt die Maxhütte zusammen mit dem Walchenseekraftwerk und der Augsburger Kammgarnspinnerei zu den bedeutendsten Industriedenkmälern in Bayern.

Alleine der Rundgang durchs verlassene Stahlwerk mit seinen Dampfmaschinen wäre eine Reise wert, doch für Besucher ist die Anlage geschlossen - Einsturzgefahr. Somit bleibt nur der Blick über den Zaun auf den letzten von einst sechs Hochöfen, in denen pro Jahr 120 000 Tonnen Eisen produziert wurden. Auf einer Tafel erfährt man, dass Teile der Maxhütte denkmalgeschützt sind. In ein paar Jahren wird davon nicht mehr viel übrig sein. Langsam verlieren sich aber auch die kulturellen Spuren, die Bergbau und Industrie in der nördlichen Oberpfalz hinterlassen haben: Die Arbeiterschaft hier war politisch links, solidarisch - und selbstbewusst. Raß erinnert sich noch daran, wie ein Kumpel dem Auerbacher Pfarrer von der Empore herab in die Predigt fuhr: "Du bist ein Lügner!", schrie er.

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Die Jobs unter Tage waren hart, aber begehrt - und gut bezahlt: Nach dem Krieg gab es in Nitzlbuch eine Warteliste mit mehr als hundert Bewerbern. Für einen Wagen mit Erz bekam Raß anfangs 1,20 Mark bezahlt. Kein schlechter Lohn damals. In den 70er Jahren gingen die Vorkommen zur Neige, die Grube musste schließen. Kalksteine wurden in den Förderschacht gefüllt, darauf kam ein Betondeckel. Aus, Ende. Die Stollen unten sind längst im Grundwasser abgesoffen. Drüben in der Grube Leonie liegen noch 20 Millionen Tonnen Eisenerz im Boden, die niemand mehr braucht.

Für den Tipp bedanken wir uns bei Hubert Zaremba, Abteilung für Marketing und Tourismus des Landkreises Amberg-Sulzbach.

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