Wirtschaft:Ingolstadt und Audi bauen Entwicklungszentrum

Wirtschaft: Noch steht erst der Rohbau, doch bis Ende 2020 sollen 1400 Entwickler auf dem neuen Forschungscampus in Ingolstadt einziehen.

Noch steht erst der Rohbau, doch bis Ende 2020 sollen 1400 Entwickler auf dem neuen Forschungscampus in Ingolstadt einziehen.

(Foto: Audi AG)
  • Audi und die Stadt Ingolstadt wollen in einen Campus fast eine halbe Milliarde Euro investieren.
  • Tausende Tüftler sollen dort künftig an neuen Technologien forschen.
  • Auf dem Gelände des Entwicklungszentrums stand bis 2008 eine Raffinerie von Bayernoil, die Industriebrache muss zunächst wiederaufbereitet werden.

Von Maximilian Gerl, Ingolstadt

Während draußen ein Bagger schaufelt, werden im Festzelt Superlative beschworen. Von einem "Spielplatz für smarte Querdenker" ist die Rede, "einer Ideenschmiede", gar von einem historischen Moment, wenn gleich der Grundstein für das neue Viertel gelegt werde. "Ein cooles Projekt", sagt Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Hinter ihm auf der Leinwand ragen blaue Würfel auf. Arbeitsplätze der Zukunft.

In ein paar Jahren sollen aus einigen blauen Würfeln echte Gebäude geworden sein. Fast eine halbe Milliarde Euro wollen Audi und die Stadt Ingolstadt investieren, um eine Industriebrache in ein Entwicklungszentrum umzugestalten. 75 Hektar umfasst der künftige "In-Campus" im Osten der Stadt. Tausende Tüftler sollen hier mal an neuen Formen der Mobilität forschen - und damit letztlich an neuen Formen des Geldverdienens. Denn die Beteiligten bauen hier an mehr als einer Vision. Auch ihre Zukunft hängt davon ab.

Noch ist diese Zukunft nur zu erahnen. Außer einem Rohbau besteht die Fläche hauptsächlich aus Kies fast bis zum Horizont. Das Stadion des FC Ingolstadt nebenan wirkt fast verloren. Trotzdem zeigen sich am Montag alle Beteiligten vor allem stolz: auf das Erreichte und auf das Erreichbare. Vor drei Jahren beschloss der Stadtrat, auf dem Gelände der ehemaligen Bayernoil-Raffinerie ein Entwicklungszentrum zu errichten, gemeinsam mit Audi. Jetzt ist ein Teil der Fläche so weit vorbereitet, dass sie bebaut werden kann. "Wir möchten die Region Ingolstadt zu einem Standort für die digitale Mobilität von morgen entwickeln", sagt Oberbürgermeister Christian Lösel. "Der In-Campus ist ein wichtiger Baustein."

Der erste Bauabschnitt soll bis 2023 fertig sein. Unter anderem entsteht ein Rechenzentrum mit Platz für 8000 Server - viel Speicher für Software und Daten. In einem Sicherheitszentrum werden mal Autounfälle bei 120 Stundenkilometern simuliert. Und in einem "Projekthaus" werden - pünktlicher Bauabschluss vorausgesetzt - bis Ende 2020 rund 1400 Entwickler von Audi und Partnerfirmen einziehen, um über neue Technologien nachzudenken. Wie der Rest der Fläche aufgefüllt werden könnte, steht offenbar noch nicht ganz fest: Man will sich Spielraum lassen, um auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren.

Die Verantwortlichen verbinden mit dem Projekt große Hoffnungen. Ingolstadt ist abhängig davon, dass es Audi gut geht. Doch der Autobauer steht unter Druck, wie so viele in der Branche: Der Gewinn im ersten Quartal war rückläufig, die Diesel-Krise hält an. Alternative Antriebe sind auf dem Vormarsch, neue Technologien gefragt, etwa beim autonomen Fahren. "Heute geht's uns gut", sagt Söder, aber: "Es muss sich viel ändern, damit es so bleibt." Von Audi-Verantwortlichen kommen dazu etwas klausulierte Formulierungen. Der In-Campus sei von "zentraler Bedeutung" für die Transformation des Konzerns, sagt Vorstandsmitglied Peter Kössler. An der Vertrauenswürdigkeit von Audi dürfe es "keinen Zweifel mehr" geben.

Der neue Standort steht sinnbildlich dafür, wie viel Fahrt die Digitalisierung inzwischen aufgenommen hat, wie sie das Gesicht der bayerischen Industrie verändert. Wo bald Entwickler grübeln sollen, stand bis 2008 eine Raffinerie von Bayernoil. Eine von vielen, die Ingolstadt einst mit groß gemacht haben. Von denen haben etliche längst dichtgemacht. Auch von der Bayernoil-Anlage ist kaum etwas zu sehen, sie wurde rückgebaut.

Noch läuft auf Teilen des Geländes die Sanierung. Jahrzehnte von Schwerindustrie haben den Boden verseucht; ihn wiederaufzubereiten, ist eines der größten Projekte dieser Art in Deutschland. Unter anderem 900 Tonnen Schweröl müssen aus der Erde gefiltert werden. Bis Ende 2022 will man das geschafft haben. 15 Hektar des Geländes sollen dann an die Natur zurückgegeben werden. In den 1960er-Jahren, sagt Kössler, sei er als Kind im nahen Wald mit den Eltern spazieren gegangen, vorbei an dem "gewaltigen Gewirr" aus Stahlrohren. Wie viele Ingolstädter habe er geglaubt, diese Fläche unwiderruflich verloren zu haben. "Schön, dass wir uns geirrt haben."

Der historische Moment ist schnell vorüber. Söder verstaut eine Silbermünze in einer Zeitkapsel, Lösel legt alte Pläne der Raffinerie dazu, Kössler eine Audi-Broschüre. Die Kapsel wird in einem Betonblock versenkt. Wenn alles laufe wie geplant, hatte Lösel zuvor gesagt, werde man sich in drei Jahren zur Eröffnung des Forschungszentrums hier wiedertreffen. "Glück auf und Gottes Segen."

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