Auch Unis:Sibler träumt vom digitalen Prüfungsraum

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Auch ohne Prüfungsstress erfordert es schon Geschick, an einer Universität Abstandsregeln einzuhalten. (Foto: U. Zucchi/dpa)

Bayerns Wissenschafts­minister stellt eine neue Rechtsverordnung vor - die soll Examen im Internet ermöglichen

Von Anna Günther, München

Das Sommersemester an den bayerischen Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HaW) ist quasi digital gelaufen, aber im Gegensatz zu den Schulen waren kaum Klagen zu hören. Dozenten lobten Tipps digitalaffiner Kollegen. Studenten vermissten zwar ihre Freunde und beklagten die Unsicherheit beim Bafög, aber freuten sich über frische Lehre. Nur eines bereitete allen Sorgen: Für digitale Prüfungen gab es keine Rechtsgrundlage, die meisten Hochschulen riefen ihre Studenten im Sommer zurück und mieteten Hallen an, um irgendwie Abstand halten und zugleich wie üblich beaufsichtigen zu können. Eine Uni gewann sogar ein befreundetes Institut in Asien als Aufsicht, weil die Prüflinge nicht einreisen konnten. Massentauglich ist das nicht. Eine Lösung musste her, datenschutz- und grundrechtskonform.

Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) will eine Lösung gefunden haben. Er stellte am Montag in München die neue Rechtsverordnung zur "Erprobung elektronischer Fernprüfungen an den Hochschulen in Bayern" vor. Und lobte den Freistaat als "Pionier", der bundesweit vorangeht. Mit dieser Rechtsverordnung betrete Bayern Neuland, sagte Sibler. Auch der Terminus "elektronische Fernprüfung" sei neu. Bisher sind analoge Prüfungen, zu denen Studenten persönlich erscheinen müssen und in der Hochschule Aufgaben unter Aufsicht bearbeiten, Standard in Deutschland. Corona brachte auch hier einen Schub. Mit der neuen Verordnung will Sibler einen klaren rechtlichen Rahmen für Studenten und Prüfer schaffen - und die Prüfungen aus dem Sommersemester nachträglich legitimieren. Vier Jahre lang sollen die Hochschulen elektronisches Prüfen testen. Davon könnten künftig auch unabhängig von Corona Studenten aus Übersee profitieren: Sie nicht für jede Prüfung einzufliegen, sieht Sibler als "Beitrag fürs Klima".

Bietet eine Fakultät elektronische Prüfungen an, dürfen Prüflinge wählen. Niemand darf gezwungen werden, Hochschulen müssen weiter analoge Prüfungen durchführen. Aber vielleicht für weniger Studenten, was coronabedingte Platzprobleme bei Massentests wie Jura lösen könnte. Prüfungsformate oder Software gibt das Wissenschaftsministerium nicht vor. Das falle unter die Autonomie der Hochschulen, sagte Sibler. Elektronische Prüfungen sind Fernklausuren zu einem bestimmten Zeitpunkt mit Videoaufsicht, aber auch Videokonferenzen, in denen sich Prüfer und Prüfling unterhalten. Multiple-Choice-Aufgaben sind denkbar wie auch Open-Book-Klausuren, bei denen Studenten googlen dürfen, weil der Fokus auf der Anwendung des Erlernten liegt. Studenten müssen vorher wissen, welche Prüfungsbedingungen sie erwarten und dürfen die Technik ausprobieren. Sollten Hard- oder Software streiken, kann die Klausur wiederholt werden. Bricht die Verbindung in der mündlichen Prüfung ab, kann das Gespräch am Telefon weitergeführt werden.

Die Hochschulen waren über das Bayerische Wissenschaftsforum beteiligt. Damit die Verordnung vor Gericht standhält, holte Sibler mit dem Datenschutzexperten Dirk Heckmann einen Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs dazu. Auch Heckmann, Professor für Recht und Sicherheit der Digitalisierung an der TUM School of Governance, spricht von einer "absoluten Neuerung": Noch nie fanden staatliche Prüfungen in "häuslicher Umgebung" statt. Der Schutz der Privatsphäre musste mit dem Anspruch der Studenten auf Prüfung und Chancengleichheit in Einklang gebracht werden. Eine Art Aufsicht ist wichtig, um Schummelei, soweit möglich, zu verhindern. Aber Bayern setzt auf "Vertrauensvorschuss", sagen Heckmann und Sibler. Abfilmen des Zimmers oder Persönlichkeitsprofile, die in den USA üblich sind, wird es nicht geben. Die Prüfungen dürfen auch nicht aufgezeichnet werden.

Die Hochschulchefs sind froh, dass die digitalen Prüfungen des Sommers nun legitimiert sind. Dass die Prüfungen des Wintersemesters rein im Internet stattfinden, ist aber unwahrscheinlich. "Nur weil es erlaubt ist, heißt das nicht, dass es auch alle machen", sagte Walter Schober, Präsident der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI) und Sprecher der bayerischen Hochschulen. Für ihn ist es ein Prozess. "Sicher werden sich viele erst einmal rantasten", sagte auch Sabine Doering-Manteuffel, Präsidentin der Augsburger Uni und Sprecherin der bayerischen Unis. Sie werde den Fakultäten die Möglichkeit eröffnen, dann liege es an den Studenten. Platz gibt es in Augsburg auch für Massenprüfungen. Aber Aufwand und Kosten seien enorm, das hört man von einigen Hochschulchefs. Sie finanzieren die coronabedingte Digitalisierung bisher aus ihrem Etat. Gibt es nun Geld für Pionierarbeit? Das werde noch besprochen, sagte Wissenschaftsminister Sibler, "die Hightech-Agenda bietet Möglichkeiten, das eine mit dem anderen zu verbinden".

© SZ vom 22.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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