Süddeutsche Zeitung

Atomausstieg:Lang lebe Isar 2

In Bayern verzögert sich der Aufbau von Leitungen für Ökostrom aus dem Norden. Die Regierung will das Atomkraftwerk bei Landshut daher möglichst spät abschalten.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

In den hektischen Wochen nach Fukushima konnte es der bayerischen Staatsregierung nicht schnell genug gehen mit dem Atomkraftwerk Isar bei Landshut. Plötzlich stellten sich die Risiken der Atomkraft neu dar, auch für Bayerns damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU), der das Kraftwerk vor allem aus der Luft kannte: vom Landeanflug auf München. Möglichst sofort sollte zumindest Block 1 des AKWs vom Netz gehen. Das geschah auch, die nötige Novelle des Atomgesetzes wurde zügig verabschiedet. Acht Atommeiler stellten ihren Betrieb ein.

Sieben Jahre später soll wieder das Atomgesetz novelliert werden, diesmal wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Denn bei der Eil-Entscheidung nach Fukushima waren nach Auffassung der Karlsruher Richter zwei Konzerne übervorteilt worden, RWE und Vattenfall. Beide Unternehmen verfügen massenhaft über sogenannte Reststrommengen - aber nicht über die Kraftwerke, um den entsprechenden Atomstrom zu erzeugen. Zwar könnten sie diese Strommengen an andere AKW-Betreiber verkaufen. Sollte das aber "trotz ernsthaften Bemühens" nicht gelingen, soll die Novelle dafür sorgen, dass sie dafür entschädigt werden. Und genau hier tritt die bayerische Landesregierung wieder auf den Plan.

Die sorgt sich nun wieder um das Atomkraftwerk Isar - diesmal aber darum, dass Block 2 nicht lang genug laufen könnte. Seinerzeit hatte die schwarz-gelbe Koalition ihm eine Laufzeit bis Ende 2022 zugestanden. Isar 2 zählt damit zu den drei Atomkraftwerken, die als letzte abgeschaltet werden. Es sei "zentral, dass das KKW Isar 2 nicht vorzeitig vom Netz gehen muss", heißt es in einer Stellungnahme Bayerns zu dem Gesetzentwurf; sie liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Bayern brauche das Kernkraftwerk bis zuletzt, um die Versorgung mit Strom zu sichern. "Insofern ist es für Bayern wichtig, dass möglichst hohe Reststrommengen anderer KKW auf Isar 2 übertragen werden."

Strommengen in Isar 2 reichen nur noch bis ins Frühjahr 2020

Die Strommengen gehen zurück auf den ersten Atomausstieg, den noch die rot-grüne Bundesregierung um die Jahrtausendwende ausgehandelt hatte. Auf feste Abschalttermine hatte sie seinerzeit verzichtet, die Atomkraft sollte sich mit dem Verbrauch dieser Restmengen selbst erledigen. Erst Schwarz-Gelb setzte mit dem Atomausstieg noch fixe Daten obendrauf, und das sogar gestaffelt.

Tatsächlich reichen die Strommengen in Isar 2 nur noch bis ins Frühjahr 2020. Dann müsste Betreiber Eon von anderswo Strommengen auftreiben, etwa vom vorzeitig stillgelegten Reaktor Krümmel. An dem ist Eon beteiligt. Was aber, wenn es für die Unternehmen attraktiver ist, die staatliche Entschädigung einzustreichen? Denn was ein "ernsthaftes Bemühen" ist, wird im Gesetz nicht näher erläutert. Um Isar 2 könnte es dann früher geschehen sein als gedacht - weswegen Bayerns Wirtschaftsministerium nun Nachbesserungen verlangt. Dem Bundesumweltministerium dagegen wäre mehr Tempo beim Ausstieg nicht unrecht. "Unser Vorschlag zielt auf den frühestmöglichen Atomausstieg", heißt es dort, "wie er im breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens 2011 in den Eckpunkten festgelegt worden ist."

Der Landesregierung aber fällt nun so manches auf die Füße. Etwa der verzögerte Ausbau der Stromnetze, der die Versorgung Bayerns mit Ökostrom aus dem Norden behindert. "Die CSU erschwert die Energiewende und blockiert den Netzausbau, fordert aber hinter den Kulissen maximal viel Atomkraft", sagt Sylvia Kotting-Uhl (Grüne), die Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag. "Das ist dumm, unseriös und gefährlich."

Feine Ironie der Geschichte: Innerhalb der Bundesregierung hatte die CSU 2011 am stärksten auf die gestaffelten Abschalttermine gedrungen; so berichten es Regierungsleute. Vor allem bayerische AKWs gingen so vorzeitig vom Netz, zuletzt 2017 Gundremmingen B. Es war auch diese Staffelung, die nun den Entschädigungsanspruch der Konzerne begründet.

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Quelle:
SZ vom 17.05.2018/sim
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