Süddeutsche Zeitung

Ende der Atomkraft:"Wir schicken einen kerngesunden 50-Jährigen in den Ruhestand"

In zwei Wochen geht das letzte bayerische Kernkraftwerk vom Netz. In einem emotionalen Auftritt kritisiert der Betreiber von Isar 2 den Atomausstieg, klagt über Stigmatisierung - und spricht über ein mögliches Comeback.

Von Andreas Glas, Essenbach

Guido Knott hat die Presse auf das Kraftwerksgelände geladen, Thema der Pressekonferenz: die Abschaltung des Kernkraftwerks Isar 2 in gut zwei Wochen, am 15. April. Was der Chef der Betreiberfirma Preussen-Elektra dann aufführt, ist aber nicht nur ein Referat übers Abschalten. Es ist auch eine Abrechnung, mit der Politik, den Medien, den Kritikern der Kernkraft.

Er finde es "falsch", den letzten bayerischen Reaktor stillzulegen, "mitten in einer Energiekrise", sagt Knott. Deshalb "hadern wir kurz vor der Abschaltung" mit dieser Entscheidung. Er spricht von "Stigmatisierung", die seine Leute über Jahrzehnte erfahren hätten und die Kernenergie allgemein. Hier spricht ein Mann, der tief enttäuscht ist. Und irgendwann spricht dieser Mann nicht mehr übers Abschalten, sondern übers Weitermachen. Sollte die Politik, "aus welchen Gründen auch immer", in den kommenden Monaten doch wieder ans Anfahren denken, sagt Knott, "werden wir prüfen, was geht".

Aber jetzt soll ja erst einmal abgeschaltet werden in Essenbach bei Landshut, eben am 15. April, nach 35 Jahren Leistungsbetrieb, nachdem die Anlage in diesen dreieinhalb Jahrzehnten insgesamt 404 Milliarden Kilowattstunden Strom produziert, rechnerisch 3,5 Millionen Haushalte versorgt und zwischenzeitlich zwölf Prozent des Gesamtstroms in Bayern produziert habe. Das sind die Superlative, mit denen Preussen-Elektra-Chef Knott hantiert, um die Dimensionen zu illustrieren. Nach dem Kraftwerk Grohnde in Niedersachsen habe Isar 2 "mehr Strom erzeugt als alle anderen Anlagen auf der Welt", sagt Knott. "Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit."

Die Öffentlichkeit, immer wieder ist sie Thema an diesem Mittwoch in Essenbach, in Knotts Rede. Für die Mitarbeiter, "überzeugte Kernis", sei es "völlig unverständlich", dass "trotz der guten Ergebnisse", trotz all der Superlative, die Technologie nie richtig gewürdigt worden sei. In "Unkenntnis der Fakten" sei jedes meldepflichtige Ereignis zum drohenden GAU gemacht worden, "was soll da bei Bürgerinnen und Bürgern hängen bleiben?" Über Jahre hinweg hätten die Mitarbeiter sich rechtfertigen müssen, im Kernkraftwerk zu arbeiten und Ablehnung erfahren, "nicht selten sind daran sogar Freundschaften zerbrochen".

Das ist der emotionale Teil dieses Mittwochs und vielleicht auch der beeindruckendste, denn in den vergangenen Monaten hatten sich die Betreiberfirmen der letzten drei deutschen Kernkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim meist hinter diplomatischen Worthülsen versteckt, wenn jemand nach den Gefühlen in der Belegschaft fragte - oder danach, ob sie ihre Anlagen gerne länger laufen lassen wollten, übers Frühjahr hinaus. Man habe das nicht zu entscheiden, Sache der Politik, so oder ähnlich klangen die Statements, mal mehr und mal weniger diplomatisch. Knotts Auftritt fällt da schon etwas aus der Reihe.

Aber natürlich geht es auch ums Technische, nicht weniger interessant. Laut Isar-2-Standortleiter Carsten Müller werden am Samstag, 15. April, erst einmal die Regler runtergefahren, um die Leistung des Kraftwerks nach und nach zu reduzieren, bis um 23.30 Uhr kein Strom mehr ins Netz eingespeist wird. Danach werde der Reaktor runtergefahren und abgeschaltet, "da gibt es diesen berühmten roten Knopf", sagt Müller. Dann ist Ende, auch wenn am Sonntag, 16. April, noch eine Weile Dampf aus dem Kühlturm steigen wird.

Bis 2029 gibt es für alle eine Jobgarantie am Standort

Das Ende "eines großen Kapitels der bayerischen Energiegeschichte", präzisiert Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler), der ebenfalls nach Essenbach gekommen ist. "Wir schicken also einen kerngesunden 50-Jährigen in den Ruhestand." Wobei, ruhig zugehen wird es ja nicht nach dem Abschalten. Dann beginnt der Rückbau, der planmäßig bis 2040 abgeschlossen sein soll. Die Mitarbeiter werden weiterbeschäftigt, sofern sie das möchten, bis 2029 gebe es für alle eine Jobgarantie am Standort. Er sei überzeugt, "dass die Kolleginnen und Kollegen, die die Anlage am besten kennen, auch sehr geeignet sind, den Rückbau hier zu verantworten".

Bis 2040 wird in Essenbach also dekontaminiert, die Anlage von Brennstoff und Wasser befreit. Mittendrin im Rückbauprozess soll dann der Kühlturm gesprengt werden, der so landschaftsprägend ist für die Region, weit über Landshut hinaus. Und am Ende kommt die Abrissbirne. "90 Prozent der Baustoffe werden wieder zurückgeführt in den Kreislauf", sagt Umweltminister Glauber, der Beton etwa in den Straßenbau. Kosten soll der Rückbau von Block 2 übrigens 1,1 Milliarden Euro, weitere 1,1 Milliarden Euro kommen für Block 1 dazu, der nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im Frühjahr 2011 stillgelegt wurde und dessen Rückbau bereits läuft.

Und dann, wenn der Rückbau irgendwann abgeschlossen ist? Die "grüne Wiese", von der gern die Rede ist, wird es eher nicht geben. Dort, wo jetzt noch das Kraftwerk steht, will Preussen-Elektra-Chef Knott künftig andere Energietechnologien ansiedeln, näher präzisiert er das nicht. Damit wenigstens irgendetwas bleibt vom bayerischen Atomzeitalter, werde man "gewisse Exponate" ins Landshuter Stadtmuseum geben, sagt Knott, auch mit dem Deutschen Museum in München gebe es derzeit Gespräche. Oder könnte wirklich noch mal alles anders kommen?

Bis die Genehmigung für den Rückbau da sei, werde es "noch einige Monate dauern", sagt Guido Knott. Er hält sich die Türe offen: "Innerhalb von drei, sechs, acht Monaten wären wir wieder zurück." Knott redet übers Weitermachen, weil die Journalistinnen und Journalisten danach gefragt haben, aber Knott ist Profi genug, um zu wissen, dass solche Sätze die politische Debatte um die Atomkraft nicht beruhigen dürften. Erst recht nicht in Bayern, wo CSU und Freie Wähler seit Monaten für einen Weiterbetrieb des Kraftwerks Isar 2 trommeln - und am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt wird.

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