Asylpolitik:"Beide müssen bei uns in Sicherheit bleiben"

Lesezeit: 3 min

Hamza (links) und Hassan müssen Deutschland und damit auch ihre Schule in Gröbenzell verlassen. Ihre Mitschüler wollen das noch verhindern. (Foto: Johannes Simon)
  • Schüler der Fürstenfeldbrucker Waldorfschule protestieren gegen die Abschiebung zweier Schulkameraden nach Afghanistan und Pakistan.
  • Einer der jugendlichen Geflüchteten hat sein Ursprungsland Afghanistan noch nie betreten, der Zweite fürchtet in Pakistan die Hinrichtung als Verräter.

Von Melanie Staudinger

Es sei schon ein ziemlicher Zufall gewesen, sagt Nastassia Magerstädt. Dass die Petition, die sie mit ihren Mitschülern aus der Rudolf-Steiner-Schule in Gröbenzell verfasst hat, genau mit den Demonstrationen gegen die Sammelabschiebungen nach Afghanistan zusammenfallen, sei nicht abzusehen gewesen. Aber egal, die Proteste, die der Bayerische Flüchtlingsrat organisiert, lenken die Aufmerksamkeit auch auf den Kampf der Fürstenfeldbrucker Schüler. Ihnen geht es nicht um Abschiebungen allgemein, sondern ganz konkret um ihre Klassenkameraden Hamza und Hassan.

Beide haben in den vergangenen Monaten Deutsch gelernt, beide haben sich in der Waldorfschule eingelebt, haben Freunde gefunden und ein Berufsziel vor Augen - und beide sollen nun Deutschland verlassen, zurück in kriegsgeplagte Staaten, die die Bundesregierung für sicher hält. "Das wollen wir unbedingt verhindern", sagt Nastassia Magerstädt. Und die Unterstützung ist groß: Die Online-Petition der Waldorf-Schüler haben knapp 8400 Menschen unterschrieben. Hamza und Hassan wurde ein Datum zum Verhängnis: ihr 18. Geburtstag. Als Minderjährige waren sie vor einer Abschiebung sicher. Doch sobald sie das Erwachsenenalter erreicht hatten, flatterte der Bescheid ins Haus. 30 Tage bleibt ihnen Zeit, so steht dort geschrieben, bis dahin müssen sie die Bundesrepublik verlassen haben.

Flüchtlingsschicksal
:"Eine Bedrohung gegen seine Person hat er nicht vorgetragen"

Das steht in Turyalai Ibrahimis Abschiebebescheid. In Afghanistan aber wurde er von den Taliban gejagt und mit dem Tod bedroht. Arbeitet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unsauber?

Von Lea Frehse

Hassan soll "zurück" nach Afghanistan, wobei der Zehntklässler dieses Land noch nie betreten hat. Vor 20 Jahren bereits verließen seine Eltern ihre Heimat, Hassan wurde im Iran geboren. Von dort floh er, weil er Angst hatte, dass er mit dem Militär in Syrien gegen den "Islamischen Staat" kämpfen müsste. Hassan hat einen afghanischen Pass, aber keine Familie dort. Die Abschiebung wäre für ihn eine Reise ins Ungewisse, völlig schutzlos wäre er dort den Gefahren ausgesetzt.

Hamza ist Pakistani, er kam mit 16 Jahren nach Deutschland, alleine. Daheim konnte er nicht bleiben, der Onkel hatte ihn zwangsweise für die Taliban rekrutiert. Kehrt er zurück, so die Angst, droht ihm die Hinrichtung als Verräter. "Beide müssen bei uns in Sicherheit bleiben", sagt die 16-jährige Nastassia.

Die Geschichte von Hamza und Hassan zeigt: Die große Politik ist längst in den Klassenzimmern in München und dem Umland angekommen. In den Schulen sehen die Jugendlichen, mit welchen Problemen andere junge Leute in ihrem Alter kämpfen. Sie erfahren, wie es sich anfühlt, alles zurückzulassen, um das eigene Leben zu retten. Fluchtrouten nach Europa, das große Sterben im Mittelmeer - all das wird zum Thema. Und die Schüler sehen, dass es Gleichaltrige gibt, die ihre Schulzeit nicht beenden können. Denen eine Ausbildung verwehrt bleibt und damit auch die Chance auf eine bessere Zukunft. Und das alles nur, weil sie die "falsche" Staatsangehörigkeit besitzen.

"Wir haben erst von einem Fall aus Cottbus erfahren", erzählt die 16-jährige Yael Ostermeier, die die gleiche Klasse wie Hamza besucht. Dort sollten sieben afghanische Schüler abgeschoben werden, die Klasse setzte sich für sie ein. "Das wollten wir auch machen", sagt Yael Ostermeier. Die Asyl-Ablehnungen waren ein einscheidendes Erlebnis für alle Schüler. "Hamza und Hassan sind bei uns integriert und Teil der Klassen."

Die negativen Asylbescheide fielen in Gröbenzell aber auch in eine Zeit, in der sich die elfte Klasse ohnehin mit Sozialkunde beschäftigt. Drei Stunden pro Woche diskutieren sie Wahlsysteme, den Gesetzgebungsprozess, die Organisation des Bundesrats oder die Aufgaben und die Arbeit der Ausschüsse im Bundestag. Immer wieder aber besprechen sie aktuelle politische Themen, die rechtspopulistische AfD, den Größenwahn von Erdoğan und Trump, die europäische Flüchtlingspolitik. Am Ende des Schuljahres fährt die ganze Klasse nach Berlin zur Bundestagsabgeordneten aus dem Wahlkreis Dachau-Fürstenfeldbruck, Gerda Hasselfeldt. Der CSU-Politikerin wollen die Elftklässler sagen, was sie von der aktuellen Asylpolitik halten.

Als die Schüler von den drohenden Abschiebungen erfuhren, waren sie erst einmal empört und auch traurig. Hamza und Hassan sprachen zum ersten Mal über die Gründe, warum sie ihre Heimat verlassen hatten, darüber, was sie auf der Flucht erlebt haben und was sie bei einer Rückkehr erwartet. Die Betroffenheit war groß, Tränen flossen. Doch dann fassten die Jugendlichen einen Entschluss: Irgendetwas müssen sie machen. Sie beginnen zu recherchieren, sie informieren sich über das Asylrecht, sie recherchieren Fakten über Afghanistan und Pakistan, sie schreiben Texte für die Petition, die sie auf der Internetseite von "Openpetition" veröffentlichen. Auch in der wirklichen Welt sammeln sie seit einiger Zeit Unterschriften in der Münchner Fußgängerzone etwa oder bei Demonstrationen. Selbst in den Osterferien haben sie Aufgaben untereinander verteilt, damit die Aktion nur ja nicht ins Stocken gerät.

Die Klasse wächst zusammen, auch langjährige Flüchtlingshelfer sind begeistert vom Engagement der Waldorfschüler. "Hamza war am Boden zerstört, als er den Abschiebebescheid bekam", sagt Angelika Wildenauer. Die Ärztin hat selbst sechs Kinder und kümmert sich überdies um den 18-jährigen Afghanen, der in Deutschland sonst niemanden hat. Nach der Anhörung sei er guten Mutes gewesen, doch dann sei eine Welt für ihn zusammengebrochen, berichtet sie. Ähnlich erging es Hassan. Mittlerweile aber schauen die beiden wieder optimistischer in die Zukunft. All die Unterschriften der Online-Petition überzeugen die Behörden vielleicht doch noch, dass der Platz von Hamza und Hassan hier in Deutschland ist - und nicht in Afghanistan oder Pakistan.

© SZ vom 26.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Protest
:"Wir sind Schüler, wir wollen etwas lernen"

An der Berufsschule für Flüchtlinge an der Balanstraße zeigen sich die Folgen von Abschiebungen und Arbeitsverboten besonders deutlich. Der 20-Jährige Muhammed organisiert den Protest.

Von Melanie Staudinger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: