Asylpolitik:Bayern - überfordert von Flüchtlingen

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Asylpolitik: Flüchtlinge werden in Containern untergebracht, weil woanders kein Platz mehr für sie gefunden wird.

Flüchtlinge werden in Containern untergebracht, weil woanders kein Platz mehr für sie gefunden wird.

(Foto: AP, Bearbeitung: SZ)

In diesem Jahr werden mehr als 60 000 Flüchtlinge in Bayern erwartet. So viele wie nie zuvor. Momentaufnahmen aus einem Land, das immer öfter hilflos wirkt.

Von Katja Auer, Heiner Effern, Anna Günther, Dietrich Mittler und Frank Müller

Erstaufnahme in Augsburg

Die Frau meldet sich nicht, sondern spricht einfach dazwischen. Ihre Stimme überschlägt sich. "Da geht es um unsere Sicherheit und unsere Freizeit-Einrichtungen", ruft sie, "wir haben keinen Bock, da jemand sitzen zu sehen." Es geht um eine geplante Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge in Augsburg. Die Stadt und die Regierung von Schwaben haben am Donnerstag ins evangelische Gemeindezentrum zu einem Informationsabend geladen.

Die Anwohnerin schreit jetzt: "Ihr sitzt in euren Villen und setzt uns die einfach vor! Und wir hocken dann gegenüber von diesem Zeug!" Es gibt Applaus, Bravo-Rufe. Widerspruch. Eine Frau steht auf und sagt: "Wir wohnen auch hier, das sind auch Menschen. Unsere Aufgabe ist es, sie so gut zu empfangen, wie es geht - mit Freundlichkeit." Der Applaus ist deutlich stärker als vorher. Die Gegnerin des Aufnahmezentrums ruft: "Ihr werdet schon sehen, was passiert!"

Die Diskussion droht zu entgleisen. Da ergreift Regierungspräsident Karl Michael Scheufele das Wort und versucht, die Emotionen zu beruhigen: "Die Frage nach der Sicherheit ist verständlich", sagt er, "aber ich kann Ihnen versichern, außerhalb einer Erstaufnahmeeinrichtung hat es bisher keinen Anstieg von Straftaten gegeben."

Zuvor hat Scheufele detailliert aufgezählt, was die Behörden auf dem staatlichen Grundstück der Straßenmeisterei an der Berliner Allee planen: Bis zu 500 Flüchtlinge sollen unterkommen. Um sie zu betreuen, werden hier etwa 90 Mitarbeiter tätig werden. Scheufele spricht von einer "Behörde mit Bettentrakt". "Das kostet eine schöne Stange Geld", sagt der Regierungspräsident, er spricht von einem "guten zweistelligen Millionenbetrag".

Eröffnung soll im Frühjahr 2016 sein. Viele Anwohner erkundigen sich, wie sie den Menschen helfen können. Das will sich die lautstarke Gegnerin nicht anhören, sie verlässt den Saal und knallt die Tür zu. Was sie nicht mehr mitbekommt, ist der Bericht des Sozialreferenten Stefan Kiefer über einen Besuch bei der Aufnahme-Einrichtung in Zirndorf. "Wir haben uns das ganz anders vorgestellt", sagt Kiefer. "Das ist viel kleiner als gedacht." Nach zwei Stunden angespannter Diskussion sorgt er für den ersten Lacher: "Es tut uns leid, dass syrische Flüchtlinge das Viertonnen-System nicht kennen."

Schicksale und Prognosen

Ibrahim Amed (Name geändert) ist ein Arzt aus Syrien. Sein bisheriger Lebenslauf in Deutschland liest sich so: zur Erstaufnahme in die Bayernkaserne in München, dann in die völlig überfüllte Zirndorfer Einrichtung, daraufhin in das leer stehende Möbelhaus in Fürth-Ronhof, zurück nach Zirndorf, um dort den offiziellen Asylantrag zu stellen. Von Fürth wird er nach Nürnberg umverteilt. Seit zwei Monaten wohnt er mit weiteren fünf Syrern in einem Zimmer - circa 15 Quadratmeter groß: ein Tisch, zwei Stühle, zwei Dreierstockbetten.

Asylpolitik: Mehr Flüchtlinge als je zuvor werden in Bayern 2015 erwartet.

Mehr Flüchtlinge als je zuvor werden in Bayern 2015 erwartet.

Amed ist einer von 69 400 Flüchtlingen, die derzeit offiziellen Angaben zufolge in Bayern untergebracht sind. Im vergangenen Jahr waren mehr als 33 000 Asylbewerber nach Bayern gekommen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, zuständig für die Bearbeitung der Asylanträge, rechnete in einer ersten Einschätzung für 2015 mit 45 000 Asylbewerbern. Bayerns Sozialministerin Emilia Müller wollte das gleich nicht glauben: "Der Bund muss seine Prognose endlich der Realität anpassen", sagte sie und rechnete "eher mit 60 000 Menschen, die wir in Bayern unterbringen und versorgen werden". Nach den jüngsten Angaben des Bundesamtes vom Freitag - "etwas mehr als 60 000" - behielt die Ministerin mit ihrer Einschätzung recht.

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