Asylbewerberunterkunft Böbrach:Allein im Wald

Asylunterkunft in Böbrach

Für einen Urlaub sei es hier wunderbar, sagt Yamen Al Abdullah aus Syrien. Nur sei er leider nicht hier, um Urlaub zu machen.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Für die Behörden ist die Flüchtlingsunterkunft im niederbayerischen Böbrach im "Top-Zustand". Die Asylbewerber hingegen beklagen "permanente Trostlosigkeit" - und sind deshalb in Hungerstreik getreten. Ein Ortstermin.

Von Wolfgang Wittl

In manchen Phasen nimmt der Ortstermin fast schon skurrile Züge an: Journalisten stehen auf der Terrasse und testen, wo sie mit ihren Handys Empfang haben. Manch ein Besucher glotzt auf die Arbeitsfläche der Küche, als sei er Fachverkäufer für Spülmittel. Und Martin Neumeyer, der Integrationsbeauftragte der Staatsregierung, entschuldigt seine Verspätung mit den entwaffnend ehrlichen Worten, er habe die Unterkunft leider selbst nicht auf Anhieb gefunden. Das Navi.

Die Bewohner des umstrittenen Asylbewerberheims im niederbayerischen Böbrach verfolgen das Ganze mit stoischer Ruhe. Sie erdulden Frage um Frage. Versichern, wie zufrieden sie im Grunde mit ihrem Quartier seien. Wenn da nicht dieses Problem mit der Lage wäre, weshalb ein halbes Dutzend ihrer Flüchtlingskollegen vor bald einer Woche vor dem Sozialministerium in München in den Hungerstreik getreten sind mit der Drohung, ihn erst wieder zu beenden, wenn sie nicht mehr in die Abgeschiedenheit zurückkehren müssten.

In eine Ruhe, die für die einen das reine Idyll ist - und für andere blanke Isolation. Die nächste Haltestelle ist 500 Meter entfernt, Böbrach selbst einen Kilometer. Der Bus fährt viermal am Tag.

Einige Asylbewerber schlafen noch, als sich die Besuchergruppe am Montag anschickt, die beiden Häuser in Augenschein zu nehmen. Dichter Nebel hängt wie eine Daunendecke über dem Bayerischen Wald, eine Abzweigung führt von der Staatsstraße zu einer Lichtung. Schilder verweisen auf Wanderwege in den Naturpark, versteckt hinter mächtigen Nadelbäumen steht die Anlage, die unter dem Namen "Ferienparadies" einst Urlauber anlockte. Fast 20 Jahre diente sie dann als Übergangsbleibe für Aussiedler, seit 2007 wird sie von Asylbewerbern bewohnt.

Die knapp 1600 Böbracher hätten seit jeher "ein "sehr, sehr gutes Verhältnis" zu den Flüchtlingen gehabt, sagt Bürgermeister Werner Blüml. Man habe sich bei Festen getroffen oder in der Kirche, manchmal hätten die Asylbewerber bei kleineren Arbeiten geholfen, manchmal Fußball mitgespielt. Doch seit einiger Zeit sei kaum noch etwas, wie es mal war. "Unsere Leute sind sehr verärgert", sagt Blüml. Denn sie haben das Gefühl, die Asylbewerber würden "von Aktivisten" instrumentalisiert.

Asylunterkunft in Böbrach

Es ist ruhig in der Asylunterkunft bei Böbrach. Sehr ruhig.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Seit die inzwischen neun Flüchtlinge in München gegen ihre Unterbringung protestieren, ist die Stimmung in Böbrach umgeschlagen. Man könnte auch sagen: Die Böbracher fühlen sich verletzt. In manchen Medien werde ein Bild gezeichnet, "als springen wir hier auf dem Baum rum", klagt der Regener Landrat Michael Adam. Seit Jahren schon bezeichnen der Bayerische Flüchtlingsrat oder Karawane München die Böbracher Unterkunft als "Dschungelcamp". Langsam zeigt der Begriff offenbar Wirkung. Immer mehr Menschen in Böbrach sind der Ansicht, die Asylbewerber würden gegen die Bevölkerung aufgehetzt. Bürgermeister Blüml findet das schade. Traurig und enttäuscht sei er, wie die Unterkunft verunglimpft werde. Und wie das bisherige Miteinander aufs Spiel gesetzt werde.

Startschwierigkeiten

Der Heimleiter sagt, er habe noch nie erlebt, dass die Stimmung von Flüchtlingsorganisationen derart gepuscht würde wie im Moment. Der Mann steht selbst in der Kritik, weil er Asylbewerbern mit der Polizei gedroht haben soll. Diese beklagten in einem offenen Brief "permanente Trostlosigkeit". Es fehle an Internet, Radio, Fernsehen, Handynetz, im Grunde eigentlich an allem: Essen, Heizung, Kontakten. Nach nur einer Nacht in Böbrach brachen die sechs Senegalesen nach München auf. Das war vor zwei Wochen.

Asylunterkunft in Böbrach

Einen Kilometer ist es von der Unterkunft bis Böbrach, 500 Meter bis zur nächsten Haltestelle.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Viele Beschwerden sind mit dem System zu begründen, ein paar mit Startschwierigkeiten in der Böbracher Unterkunft. Die Anlage ist erst seit wenigen Wochen wieder in Betrieb, weil sie nach einem Brand mehr als ein Jahr lang für einen Millionenbetrag saniert wurde. Der Neubau erstrahlt in hellem Weiß, das Betonpflaster leuchtet in Muschelkalk-Optik, Wege sind akkurat angelegt. In einem Kellerraum stehen sieben Waschmaschinen und Trockner, die Räume haben die übliche Standardausstattung: Metallspinde, Stockbetten, Tische, Stühle, Kühlschränke mit Gefrierfach. Am Altbau müsse noch eine Verkleidung angebracht werden, in wenigen Tagen sei das Gerüst weg, sagt der Besitzer.

Yamen Al Abdullah, ein Lehrer aus Syrien, bedankt sich bei Regierungspräsident Heinz Grunwald für die menschliche Aufnahme in Deutschland. Ein Mann aus Nigeria betont, er sei mit der Unterkunft sehr zufrieden. Beide sagen aber auch, wie einsam es auf diesem Weiler in Maisried sein könne. Für einen Urlaub sei es hier wunderschön, erklärt Al Abdullah. Nur dass er nicht hier sei, um Urlaub zu machen. Zu den Protesten in München will er sich lieber nicht äußern.

Gut 90 Asylbewerber haben in der Anlage Platz, 37 Flüchtlinge aus sechs Nationen sind derzeit untergebracht. Für den Bezirk seien die beiden Häuser unverzichtbar. Etwa 2300 Flüchtlinge halten sich derzeit in Niederbayern auf, bis Jahresende werden noch ein paar hundert dazukommen. "Wir sind auf die Unterkunft angewiesen", stellt der Regierungspräsident klar. Und ebenso, dass die Anlage im Vergleich zu anderen in einem "Top-Zustand" sei. Inzwischen gibt es wieder Fernsehen auf den Zimmern ("eine freiwillige Leistung"), die Räume sind wohlig warm ("mussten erst aufgeheizt werden"), auch einen Internetzugang will die Gemeinde zur Verfügung stellen, obwohl sie dazu nicht verpflichtet wäre.

Doch so ganz sind die Wunden noch nicht verheilt: Aus ganz Bayern bekomme er Zuschriften und Anrufe, warum die Böbracher sich all die Vorwürfe aus München gefallen ließen, sagt Bürgermeister Blüml. Er wisse aber auch, dass die Asylbwerber, die ihre Tage in Maisried verbringen, am wenigsten daran schuld seien: "Das sind die ärmsten Kerle." Das Verhältnis werde sich schon wieder einrenken. Die Flüchtlingsorganisationen allerdings sollten bedenken, dass vieles von dem, was sie kritisierten, auch für die meisten Bewohner des Bayerwaldes zumutbar sei.

Asylunterkunft in Böbrach

Lebensmittel in der Asylunterkunft in Böbrach.

(Foto: dpa)

Die Grünen-Abgeordnete Rosi Steinberger, die den Besuch angeregt hatte, fühlte sich hinterher weitgehend bestätigt: Die Asylbewerber bräuchten eine bessere soziale Betreuung, Sprachkurse und eine stärke Einbindung in die Gemeinde. "Wir haben als reiche Gesellschaft den Auftrag, uns um diese Leute zu kümmern." Der Kritik, dass die Anlage in Böbrach abgelegen sei, könne sie sich voll und ganz anschließen, sagte Steinberger, aber auch, dass sie die Forderung, diese Unterkunft zu schließen, "nicht nachvollziehen" könne.

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