Süddeutsche Zeitung

Asylbewerber in Bayern:Flüchtlingsunterkünfte verzweifelt gesucht

Der Freistaat bringt Asylbewerber auf Bergen, in Hallen und in stillgelegten Kasernen unter: Die oberbayerischen Landräte klagen über dramatische Engpässe bei Flüchtlingsunterkünften - und verlangen mehr Solidarität von Kollegen im Norden.

Von Heiner Effern

Das bayerische System zur Aufnahme von Flüchtlingen hält nach Ansicht der Landräte dem Ansturm nicht Stand. "Wir stoßen an unsere Grenzen", sagte ihr Sprecher Jakob Kreidl aus Miesbach bei einem Treffen mit seinen oberbayerischen Kollegen in Utting am Ammersee. Die Landräte fordern deshalb von der Staatsregierung das Ende der starren, nach der Zahl der Einwohner gestaffelten Zuweisung von Asylsuchenden auf die Landkreise.

Zudem müsse die Zahl der Mitarbeiter in den sieben Bezirksregierungen deutlich aufgestockt werden. Und auch der Bund müsse viel mehr Mitarbeiter im Amt für Migration und Flüchtlinge bereitstellen, um die Asylverfahren zu verkürzen. Sobald das neue Kabinett stehe, werde er im Sozialministerium seine Forderungen vorbringen, kündigte Kreidl an.

Der Miesbacher Landrat kennt aus eigener Erfahrung die Notsituation, in der sich viele seiner Kollegen in Bayern befinden. Neuankömmlinge in seinem Kreis mussten jüngst in einer Turnhalle schlafen, weil kein anderes Quartier zu finden war. "Die Gemeinschaftsunterkünfte sind seit einiger Zeit voll beziehungsweise überfüllt." In Weilheim-Schongau wurden elf Männer aus Syrien in ein früheres Jugendgästehaus auf dem Auerberg gesteckt, auf 1000 Metern Höhe und etwa fünf Kilometer zu Fuß vom nächsten Ort entfernt.

Der Landkreis Ebersberg scheiterte jetzt mit der Idee, 40 Flüchtlinge in den ehemaligen Klassenzimmer-Containern des Grafinger Gymnasiums unterzubringen: Die Küchen- und die Sanitärcontainer trafen nicht rechtzeitig ein. Landräte-Sprecher Kreidl fürchtet, dass sich das Problem noch verschärfen könnte."Wir sehen uns mit einem ständig steigenden Zustrom konfrontiert."

Mit etwa 18.000 Asylsuchenden für das Jahr 2013 in Bayern rechnet Christoph Hillenbrand, Präsident der oberbayerischen Bezirksregierung. Das seien doppelt so viele wie 2012. Und jede neue Prognose übertreffe die Zahlen der letzten. "Der Druck wird weiter steigen", sagte er. Auch Hillenbrand kennt durch sein Amt die Probleme bestens, er ist in München für eine der beiden Erstaufnahme-Einrichtungen in Bayern zuständig.

Hillenbrand ist keiner, der in der Öffentlichkeit Forderungen stellt. Aber seine Lageschilderung ist durchaus als Hilferuf an die Staatsregierung zu verstehen, endlich weitere Aufnahme-Einrichtungen neben seiner und der im fränkischen Zirndorf zu genehmigen. "Wir sind völlig überbelegt." 700 Asylsuchende hätten in München Platz, 1400 seien derzeit untergebracht. Nicht nur in der Bayernkaserne, "sondern auch an neun weiteren Stellen in der Stadt, unter anderen in zwei Hotels und einer Bundeswehr-Fahrzeughalle".

Im Gegensatz zum Regierungspräsidenten können und wollen die Landräte, die meist der CSU angehören, ihre Forderungen nicht mehr leise stellen. Das bayerische Innenministerium solle den Bezirksregierungen nicht nur 47 neue Stellen für die Aufnahme der vielen Flüchtlinge genehmigen, sondern 110, sagte Kreidl. Zudem dürfte sich die Immobilienverwaltung des Freistaats mit ihren eigenen Liegenschaften gerne "offensiver" einbringen, hieß es aus den Reihen der Landräten.

Auf dem Treffen der oberbayerischen Kreis-Chefs wurde zudem ein Thema diskutiert, bei dem sie sich schon einmal den Zorn ihrer Kollegen aus dem Norden zugezogen hatten. Sie fordern eine Flexibilisierung der Regel, dass jeder Kreis nach seiner Einwohnerzahl eine feste Quote zugewiesen bekommt. Der Fürstenfeldbrucker Landrat Thomas Karmasin (CSU) formuliert das vorsichtig so: Wenn Kreise in Nordbayern Liegenschaften hätten, die sie nicht mehr bräuchten, könnten sie dort freiwillig mehr Flüchtlinge unterbringen als zugewiesen.

Der Freistaat müsste dies finanziell ausgleichen. Die Oberbayern empfinden nämlich besonderen Druck bei der Quartierssuche. "In einem besonders verdichteten Raum ist es besonders schwer, Unterkünfte zu finden", sagte Karmasin. Schon in den kommenden Tagen wird Landräte-Sprecher Jakob Kreidl in ganz Bayern seine Kollegen fragen, ob sie nicht freiwillig mehr Flüchtlinge aufnehmen könnten.

Wie sehr die Landräte gerade auch in Oberbayern unter Druck stehen, zeigte sich an der ungeliebten Quote. Sie überlegten in Utting nämlich, ob sie diese starre Regel nicht für ihre Weiterverteilung auf die Kommunen einführen sollten. Denn viele Gemeinden wehren sich gegen Zuteilungen, oft auch wegen des großen Widerstands der Bürger. Und auch, so Regierungspräsident Hillenbrand, weil sie für Flüchtlinge, die bleiben dürfen, dann auch noch Wohnungen bereitstellen müssten.

Die Suche nach Unterkünften für Asylsuchende eint alle kommunalen Ebenen, wie ein Anliegen des Gastgebers in Utting belegte: Der Landsberger Landrat Walter Eichner (CSU) bat die Lokalpresse, ob sie nicht einen kleinen Zusatz-Text veröffentlichen könnte. Titel: "Der Landkreis sucht dringend Wohnungen."

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SZ vom 01.10.2013/wolf
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