Asylbewerber demonstrieren:Langer Marsch von Würzburg nach Berlin

Lesezeit: 3 Min.

Asylbewerber dürfen die Region, in der sie sich aufhalten, nur mit ausdrücklicher Erlaubnis verlassen. Gegen diese Regel demonstrieren viele Flüchtlinge, indem sie das Gesetz brechen - und von Würzburg nach Berlin wandern.

Olaf Przybilla

Die erste Nacht ist vorüber, in einem Zelt in der fränkischen Landgemeinde Schwanfeld hat Omid Moradian sie verbracht und ist nun guter Dinge. Tief geschlafen habe er, sagt er, "die Füße sind in Ordnung" und sein Wille sei fest: Nach Berlin soll der Marsch gehen, um dort so lange auf die Bedingungen für Asylbewerber in Deutschland hinzuweisen, bis sich an diesen Bedingungen etwas ändere.

Am Tag zuvor, am Samstagmittag, haben die Flüchtlinge ihren Protestmarsch auf der Juliuspromenade in Würzburg begonnen. Wer sich vorher umgehört hat, im bayerischen Innenministerium und bei Organisationen, die den Zug der Asylbewerber unterstützen, hörte viel Unsicherheit. Was genau passieren könnte in Würzburg, wagte keiner zu prognostizieren.

Schließlich hat es das noch nicht gegeben, dass sich Flüchtlinge aus verschiedenen Städten an einem Ort versammeln, um von dort aus einen Marsch in die Bundeshauptstadt anzutreten. Und das wohl schon deshalb nicht, weil die Flüchtlinge mit ihrem Treffen gegen etwas verstoßen, was ihr Leben auf einen bestimmten Raum beschränkt: die sogenannte Residenzpflicht, die festlegt, dass Asylbewerber - je nach Status und Bundesland - ihren Landkreis, Regierungsbezirk oder zumindest ihr Bundesland nicht verlassen dürfen, ohne vorherige Sondergenehmigung.

Omid Moradian, 28, lebt in einem Lager in der Oberpfalz, er ist einer der Asylbewerber, die in den letzten Monaten in Regensburg für die Abschaffung von Gemeinschaftsunterkünften und gegen die Residenzpflicht demonstriert haben. An mehreren Orten in Bayern hatten sich Flüchtlinge zuletzt in Protestcamps zusammengeschlossen, auch in Bamberg, Nürnberg und Aub.

Ausgegangen war der Protest von Würzburg, wo sich im Januar ein Flüchtling in einem Lager das Leben genommen hatte. Wer Moradian am Freitag fragt, was er erwartet für den Tag danach, spürt die Beklommenheit: Natürlich wisse er, dass er seinen Regierungsbezirk nicht verlassen dürfe - und also wisse er nicht, was passieren werde. Um eine Sondergenehmigung aber habe er sich nicht bemüht, und zwar ganz bewusst nicht: "Freie Menschen brauchen keine Genehmigung, um sich bewegen zu dürfen", sagt Moradian.

In Würzburg versammeln sich am Samstag etwa 130 Teilnehmer auf der zentralen Promenade, direkt vor dem berühmten Juliusspital. Etwa ein Viertel sind Flüchtlinge, die anderen Teilnehmer unterstützen die Aktion. Fast unwirklich wirkt der Beginn des Zuges: Würzburg richtet an dem Tag ein Festival der Straßenmusik aus, die Stadt ist gefüllt mit Besuchern.

Und diese blicken nun auf einen Zug von Flüchtlingen, die angekündigt haben, bewusst illegal handeln zu wollen mit ihrem Marsch. Früher, sagt ein Passant, hätte in so einer Situation wohl ein Polizeikessel gedroht in Bayern: "Angekündigter und vollzogener Verstoß gegen Law and Order", sagt der Passant - der aber Sympathie signalisiert für das, was die Polizei in Würzburg tatsächlich tut an diesem Tag: nichts.

Der Demonstrationszug ist angemeldet vom Zentrum bis zu einem Großsupermarkt am Rand der Innenstadt, bis dahin dürfen die Teilnehmer Fahnen schwenken und Protestplakate vorzeigen. Drei kleinere Polizeiautos begleiten sie dabei. Alles verläuft beinahe rührend harmonisch. Am Supermarkt rollen die Wanderer die Plakate ein.

Dann ziehen etwa 50 weiter zu Fuß in Richtung Schweinfurt. Alles in Ordnung, sagt der Einsatzleiter, die Polizei erkenne nach Beendigung des Demonstrationszuges nur "eine Art wolkenförmigen Spaziergang". Kein Grund also zum Eingreifen, heißt das. Eine Polizeisprecherin sagt, natürlich sei man ans Legalitätsprinzip gebunden, vorläufig aber habe man nur "zwei Verstöße gegen die räumliche Beschränkung" feststellen können. Von Zugteilnehmern, gegen die bereits wegen solcher Verstöße ermittelt worden sei. Man habe die Personen aber weiterlaufen lassen. Und nein, einen Anlass zur Personenkontrolle habe die Polizei nicht gesehen.

Man könnte auf die Idee kommen, sagt ein Demonstrant, der im Zug mitmarschiert, dass Bayerns Behörden entweder "selbst nicht mehr so recht an den Sinn der Residenzpflicht" glaubten. Oder möglicherweise "gar nicht unglücklich" darüber seien, dass sich da Flüchtlinge gerade auf den Weg gemacht haben nach Berlin. Also: hinaus aus dem Freistaat. Immerhin dauerten die Protestcamps in Bayerns Innenstädten schon seit Monaten an. Und der Aufwand für die Behörden war enorm.

Auf etwa 25 Stationen wollen die Flüchtlinge bis Berlin ziehen, der Weg soll sie unter anderem über Weimar, Leipzig und Potsdam führen. Übernachten wollen sie auf Campingplätzen, in Gemeindehäusern oder Jugendzentren, je nachdem, was angeboten wird.

Parallel zu dem Marsch startete am Samstag in Würzburg ein Protest-Bus, der auch in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen Asylbewerber für die Fahrt nach Berlin aufsammeln soll. Wie viele in Berlin ankommen? Omid Moradian weiß das nicht, aber er weiß, dass er dabei sein wird. Wenn die Behörden ihn lassen.

© SZ vom 10.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: