Asylbewerber aus dem Kosovo:Flucht aus der Hoffnungslosigkeit

A Kosovo man carries his baby as he crosses illegally the Hungarian-Serbian border near the village of Asotthalom

Eine Familie aus Kosovo, die mit Kleinkind und ein bisschen Gepäck illegal die Grenze nach Ungarn überquert und damit in der EU ist.

(Foto: Laszlo Balogh/Reuters)
  • Bayerns Europaministerin Beate Merk (CSU) ist in den Kosovo gereist, um die Ausreisewelle zu stoppen. Sie appellierte an die Einwohner, das Land aufzubauen und sich nicht dem Exodus anzuschließen.
  • Die bayerische Staatsregierung will nun durchsetzen, dass der Freistaat bei Asylbewerbern aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Albanien vom Geld- auf das Sachleistungsprinzip umstellt.

Von Sarah Kanning und Dietrich Mittler

Bayerns Europaministerin Beate Merk (CSU) will die Ausreisewelle aus dem Balkanstaat Kosovo nach Bayern stoppen. Am Donnerstag traf die Ministerin in der Hauptstadt Pristina mit Premierminister Isa Mustafa zusammen. "Wir stimmen überein in unseren Sichtweisen und Zielen", sagte Merk. Im staatlichen Fernsehen appellierte die bayerische Ministerin an die Kosovaren, ihr Land wieder aufzubauen und sich nicht dem Exodus anzuschließen. Premierminister Mustafa schilderte im Gespräch mit Merk, wie die Flucht der Bürger Kosovo schade: In manchen Orten breche die Infrastruktur zusammen, weil es in den Schulen keine Kinder mehr gebe.

Der stellvertretende Innenminister Shkodran Manaj bedauerte, dass viele Kosovaren ihr Hab und Gut versetzten, um Schlepper zu bezahlen. "Das Land blutet aus, bei uns haben die Menschen quasi keine Chance auf Anerkennung ihrer Asylanträge - und sie kehren zurück in Armut", sagte Merk. Am Abend wollte sie nach Vushtrria fahren, das von den Ausreisen besonders heftig erfasst worden ist. Bürgermeister Bajram Mulaku hofft auf Hilfe.

"Geh weg von Kosovo, weil du hier keine Perspektive hast"

Während Merk nur wenige Stunden zur Verfügung standen, die Situation in Kosovo in Augenschein zu nehmen, erlebt Isen Bobaj tagtäglich mit, wie seine Landsleute ihre Heimat verlassen. Der 44-Jährige lebt in Prizren, der zweitgrößten Stadt in Kosovo. Er weiß um die Versprechen der Schlepper an den Busbahnhöfen, die damit locken: "Geh weg von Kosovo, weil du hier keine Perspektive hast. Geh nach Frankreich, Deutschland oder Österreich, da geht es dir besser." Bobaj kennt die Nöte seiner Landsleute. Viele Jahre lang hat er für die Arbeiterwohlfahrt Bürgerkriegsflüchtlinge betreut, die aus Deutschland zurückkamen - die meisten von ihnen freiwillig.

Bobajs Auftrag war, ihnen beizustehen. Ein fast unmögliches Unterfangen, wie er sagt. Die Verhältnisse im Land ließen das kaum zu. "Hier funktioniert fast nichts. Und wenn, dann nur für diejenigen, die Beziehungen zum Staat haben", sagt er. Dabei hätten die Rückkehrer - und längst nicht nur sie - nach dem Bürgerkrieg große Hoffnungen gehabt: "Überall hieß es: Jetzt werden wir einen Kosovo haben, wo man wirklich gut leben kann." Von dieser Hoffnung sei nichts mehr übrig.

Keine politische Verfolgung im Kosovo

Dennoch verwundert es ihn, wer nun alles aus dem Land strömt. Seines Erachtens gibt es keine politische Verfolgung in Kosovo. Unter jenen, die nun aus dem Land drängen, hat er drei Gruppen ausgemacht: "Etliche sind arme Leute, die alles versucht haben, hier zu überleben - aber sie mussten einfach erkennen, dass es in Kosovo für sie keine Perspektive gibt." Die andere Gruppe beschreibt er so: "Es ist ganz komisch, aber es sind auch Leute dabei, die nicht schlecht in Kosovo leben. Trotzdem wollen sie raus, weil auch sie für sich in der Heimat keine Zukunft sehen." Dann gebe es noch eine sehr kleine Gruppe: Jugendliche aus wohlhabenden Familien. "Die versuchen, ins Ausland zu kommen, weil sie denken, dort erwartet sie das Paradies."

Die bayerische Staatsregierung will nun durchsetzen, dass der Freistaat bei Asylbewerbern aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Albanien vom Geld- auf das Sachleistungsprinzip umstellt, um keine Anreize zu schaffen. Das heißt: drei Mahlzeiten täglich statt Essensgeld, Kleidung aus der Kleiderkammer. Eigentlich sollten Flüchtlinge nach einer Änderung des Asylrechts von 1. März an Geldleistungen erhalten. Das würde für eine Familie mit zwei Kindern monatlich 1144 Euro bedeuten statt der aktuellen 442 Euro, zu denen eine Unterkunft und Mahlzeiten dazukommen.

Einer der Kosovaren in München, der anonym bleiben will, hat durchaus Verständnis dafür, dass die Staatsregierung nun die Bremse ziehen will. "Da ist eine wahnsinnig große Masse unterwegs. Das ist für keinen gut - auch für die Leute nicht, die jetzt mitten im Winter mit ihren Kindern unterwegs sind." Der politische Druck zeige bereits Folgen: "Ungefähr eine Woche lang wurden an der ungarischen Grenze überhaupt keine Kontrollen mehr durchgeführt. Das war die Gelegenheit, dass die Menschen massenhaft durchkommen konnten", sagt er. Durch seine Lektüre von Zeitungen aus Kosovo wisse er aber, dass nun die Grenze dicht sei. "Gestern gab es innerhalb von 24 Stunden offenbar 620 Verhaftungen an der Grenze", sagt er.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: