Süddeutsche Zeitung

Asyl:Zu viel fordern, zu wenig fördern

Verbände, Gewerkschaften, Kirche und Juristen üben massive Kritik an der Staatsregierung für das geplante Integrationsgesetz

Von Wolfgang Wittl

Viel Zeit haben sie nicht verstreichen lassen: An diesem Mittwoch endet die Frist, in der sich Verbände zum geplanten Integrationsgesetz der Staatsregierung äußern können. Schon abends um 18 Uhr wird es unter der Federführung von Verdi und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) eine Diskussionsrunde zum Thema geben. Zu einer "Auftakt-Infoveranstaltung" sei die Öffentlichkeit im Münchner DGB-Haus eingeladen, heißt es. "Protestveranstaltung mit Informationsgehalt", wie GEW-Sekretär Bernhard Baudler die Zusammenkunft nennt, trifft es allerdings wohl besser.

Dafür, dass die CSU mit dem Integrationsgesetz einen möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens erzielen will, fällt der Unmut über das vom Kabinett bereits gebilligte Papier erstaunlich groß aus. "Es kommen Fremde und wir müssen deswegen unsere Leitkultur schützen" - mit dieser pointierten Sicht fasst der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) den Gesetzentwurf zusammen. Ein Ziel der Staatsregierung ist das Fördern und Fordern. Der DGB verzeichnet hier jedoch "eine deutliche Asymmetrie". Auch die Caritas bemängelt vor allem "Pflichten für die Migranten", "Sanktionen" und die "Orientierung an der sogenannten Leitkultur". Vernachlässigt werde hingegen die Förderung an Kitas, Schulen und Hochschulen, das Thema Erwachsenenbildung tauche im Gesetz gar nicht erst auf. Auch die Kosten und das bürgerschaftliche Engagement würden allenfalls unverbindlich erwähnt.

Das "Forum Bildungspolitik in Bayern" und die GEW fürchten durch das Gesetz vor allem die Abschaffung der Schulpflicht für viele Flüchtlinge. Die Schulpflicht der Kinder und Jugendlichen dürfe in keiner Weise eingeschränkt werden. Jede Form der Abschaffung, sei es nur teilweise, werde daher abgelehnt. "Es gibt ein Recht auf Unterricht", betont GEW-Sekretär Baudler, der in manchen Passagen eine "Anbiederung an den AfD-Ton" wahrzunehmen glaubt. Einen "Generalangriff auf uns alle" sieht gar der Arbeitskreis "Aktiv gegen rechts" von Verdi in dem Gesetzentwurf.

Viele Verbände stoßen sich an dem Wort Leitkultur, das nicht näher definiert sei. Auch Juristen hinterfragen den Begriff. Sie bezweifeln, dass das Gesetz so überhaupt zu formulieren sei. Was diese Leitkultur zu bedeuten habe? Ob es sich hier um Programmsätze einer Partei handele, will ein Rechtsanwalt wissen, der seinen Namen lieber nicht lesen will. Und wo blieben die Forderungen, die Flüchtlinge an den Staat richten dürften - etwa eine verbindliche Rechtsberatung? Die Anwaltskammer will sich nicht dazu äußern. Möglicherweise werde man noch eine Stellungnahme abgeben, sagt ein Sprecher.

Auch die katholische Kirche arbeitete am Dienstag noch an einem Schreiben an die Staatsregierung. Man sei bereit, in einen kritischen Dialog zu treten, erklärte ein Sprecher des Münchner Kardinals Reinhard Marx, des Vorsitzenden der Bischofskonferenz. Mit Blick auf die Haltung in den vergangenen Monaten ist davon auszugehen, dass der Gesetzentwurf kaum als integrationsförderlich empfunden werden dürfte. Die einheimische Bevölkerung müsse mehr eingebunden werden, fordert ein Kirchenmann. Manchen verstört zudem, dass im Entwurf neue Formen der Strafverfolgung geschaffen werden. Auch ohne Nachweis einer Straftat sollen bis zu 50 000 Euro Geldbuße auferlegt werden können, wer "die geltende verfassungsmäßige Ordnung missachte", kritisiert Verdi.

Grundsätzlich begrüßen die meisten Verbände zwar ein neues Integrationsgesetz. Aber längst nicht alle sind so positiv gestimmt wie der Bayerische Industrie- und Handelskammertag, der "insbesondere das Augenmerk der Staatsregierung auf den Erwerb der deutschen Sprache sowie von Bildung als Schlüssel für gelungene Integration" unterstützt. Selbst in der CSU gibt es vereinzelt Kritik. Martin Neumeyer, der Integrationsbeauftragte, wünscht sich mehr Anreize, um Flüchtlinge zu belohnen, wenn sie sich einbringen. Andere wie Gemeindetagspräsident Uwe Brandl halten den Entwurf für zu schwammig. Ein Abgeordneter beklagt, dass Bayern im Vergleich zu allen anderen Bundesländern zwar mit Abstand am meisten für die Integration leiste, seine Verdienste "durch eine aggressive Polemik" aber verstelle.

Eine offene Gesellschaft könne nur funktionieren, wenn die Grundregeln des Zusammenlebens eingehalten würden, verteidigt Markus Blume, Chef der CSU-Grundsatzkommission, das Integrationsgesetz. Kaum ein anderes Thema sei in der Fraktion intensiver diskutiert worden, die Zustimmung enorm. "Wir wollen beides: das Fördern und das Fordern", sagt Sozialministerin Emilia Müller. Bayern solle "bleiben, wie es ist: ein wirtschaftlich erfolgreicher, sicherer und friedlicher Freistaat". Doch auch im Landtag zeichnet sich Widerstand ab: Der Entwurf der CSU werde sicher eine heftige Debatte auslösen, kündigt Grünen-Fraktionssprecherin Margarete Bause an.

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SZ vom 06.04.2016
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