Asyl:Die Angst vor der Blutrache
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Von Katja Auer, Nürnberg
Ihr Vertrauen in Deutschland ist groß, da herrsche Gerechtigkeit und Ordnung, sagte die junge Frau vor einem Dreivierteljahr, und die Polizei sei nicht korrupt. Deswegen ist sie genau dorthin geflohen, als sie weg musste daheim aus Albanien, als sie ihre drei Kinder einpackte und einfach in den Flieger stieg. Blerina, die aus Angst ihren Nachnamen nicht öffentlich nennen will, fühlt sich sicher im oberfränkischen Tettau, wo sie seit gut einem Jahr mit ihren drei Töchtern lebt.
Noch. Denn es kann sein, dass sie zurück muss nach Albanien. Die Entscheidung über ihren Asylantrag steht bevor, endgültig, einmal wurde ihr Gesuch schon abgelehnt. Die 33-Jährige fürchtet die Blutrache, weil ihr Ehemann in eine Schießerei mit einem Mafioso verwickelt war und seitdem untergetaucht ist. Die Familie des damals schwer verletzten Kriminellen habe geschworen, die Tat zu vergelten, erzählte sie.
Vergeltung richte sich nur gegen Männer, beschied das Verwaltungsgericht
Das ist gar nicht so außergewöhnlich, besonders im Norden Albaniens hat sich das traditionelle Gewohnheitsrecht, der Kanun, bis heute erhalten. Selbst Frauen und Kinder sind nicht sicher, das haben verschiedene Hilfsorganisationen erfasst und auch eine Untersuchung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) aus dem Jahr 2014 zählt einzelne Fälle von Blutrache an Frauen auf. Ein Grund dafür ist, dass sich die archaische Tradition zunehmend mit kriminellen Motiven vermische, heißt es in dem Bericht.
Dennoch wurde Blerinas Asylantrag abgelehnt, eine Klage am Verwaltungsgericht Bayreuth scheiterte. Sie und ihre Töchter seien "schon deswegen nicht von der Blutrache bedroht, weil diese sich nur gegen Männer und nicht gegen Frauen richtet", heißt es in den Begründungen.
Als die 33-Jährige einen Folgeantrag stellte, wandte sich das Bamf an das Auswärtige Amt, um mehr Informationen über die Vorfälle in Albanien zu erhalten. Das Amt bestätigte Blerinas Angaben: Ihr Ehemann sei des versuchten Mordes und illegalen Waffenbesitzes schuldig gesprochen worden, sei aber auf der Flucht. Die Frage allerdings, ob der Familie tatsächlich die Blutrache drohe, wenn sie zurückkehre nach Albanien, ließ das Amt unbeantwortet.
Rechtsanwalt Joachim Schürkens kritisiert genau diese fehlende Antwort, denn der Rest verdeutliche ja den Antrag. Aber es wird wohl die entscheidende Frage sein, ob die Familie tatsächlich bedroht ist. Zwar hat Blerina eine Bescheinigung einer "nationalen Vermittlungskommission" vorgelegt, allerdings halte man die beim Bamf wohl für nicht vertrauenswürdig, erzählt Anne Maya vom Internationalen Frauencafé Nürnberg, die Blerina unterstützt.
10 000 tote Albaner seit dem Ende der Diktatur
Tatsächlich ist es ein Problem in Albanien, dass mit der Angst vor der Blutrache auch Geschäfte gemacht werden. So gibt es Organisationen, die ernsthaft vermitteln wollen. Allerdings gab es bei manchen Organisationen Korruption, sodass Bescheinigungen verkauft wurden, die in Deutschland beim Asylantrag vorgelegt wurden. Was freilich nicht für jeden Fall gilt. Dass die Gefahr grundsätzlich besteht, wird kaum bezweifelt. Immerhin wurden dem Nationalen Versöhnungskomitee zufolge - einer albanischen Nichtregierungsorganisation - seit dem Ende der kommunistischen Diktatur fast 10 000 Menschen getötet, mehr als 15 000 Familien sollen in solchen Fehden leben.
Die Folge ist ein Kreislauf aus Isolation und Armut: Mehr als 1200 Kinder gehen demzufolge aus Angst nicht in die Schule, Erwachsene trauen sich nicht einmal zur Arbeit aus dem Haus. Ob Blutrache als Asylgrund anerkannt wird, erfasst das Bamf nicht. Die Anerkennungsquote von Asylbewerbern aus Albanien geht gegen Null.
Blerina fürchtet, dass ihre älteste Tochter, sie ist 14 Jahre alt, entführt und zur Prostitution gezwungen werden könnte. Die kleinen Schwestern, sechs und zwei Jahre alt, haben in Tettau inzwischen Freunde gefunden, alle lernen Deutsch. Eine Psychologin diagnostizierte der 33-Jährigen eine schwere depressive Störung und eine posttraumatische Belastungsstörung, das Attest wurde dem Bamf vorgelegt. Sie würde sich eher umbringen als zurückzugehen, sagte Blerina. Wenn nur ihre Mädchen in Sicherheit leben könnten.