In Tegernsee fällt das Deutschlernen noch schwerer.
(Foto: Lisa Schnell)Jean S. , 28, kommt aus dem Senegal, seine Eltern verlor er mit sieben, sagte er, lebte dann auf der Straße. Mit zehn Jahren fing er an als Maurer zu arbeiten, ging nach Deutschland für ein besseres Leben und landete in der Turnhalle: keine Arbeit, keine Perspektive, nichts zu tun. Er kann nicht lesen oder schreiben, schämte sich, ging nicht zum Deutschunterricht. Dafür raus nach Tegernsee. Jean S. ist klein, muskulös, Typ Rapper. Die Hosen in den Kniekehlen, auf der Schulter eine Musikbox, so zog er durch die Straßen, kaufte Alkohol, Drogen.
Da machte es zum ersten Mal Klick: Er rammte seine Faust durch eine Glastür, zerschnitt sich alle Muskeln. Wieder Alkohol - Klick: Er riss die Rohre von den Toiletten, biss einen Polizisten durch einen Lederhandschuh in die Hand, spuckte. Dann stahl er eine goldene Halskette, ein silbernes Armband. Erst jetzt reichten die Delikte aus für einen Haftbefehl. Erst jetzt flog er aus der Turnhalle raus.
Keine Rückführung wegen fehlender Abkommen
Für Mohamed aus Sierra Leone viel zu spät. Er steht in einem schicken Kaffeehaus hinter dem Tresen, saubere Schürze, blitzweißes Hemd. Er hat einen Job, eine Perspektive. Er war einer von den Flüchtlingen, die jeden Tag im Deutschunterricht saßen, die nach Hausaufgaben fragen, die in bayerischen Chören singen, Ministrant sind. Die wie Mohamed um sieben Uhr aufstehen müssen, weil sie arbeiten. Wenn er schlafen wollte, war Jean S. besoffen, brüllte rum, drohte mit Schlägen. Vier Stunden, mehr schlief Mohamed fast nie. "Es ist eines der schlimmsten Dinge, die ich je erlebt habe, in der Turnhalle zu leben", sagt Mohamed. Und das von einem, der wegen Morddrohungen aus seinem Land fliehen musste. "Warum müssen 200 Leute wegen einem einzigen leiden?", fragt er.
Landrat Wolfgang Rzehak kann es erklären, verstehen tut er es nicht. Eigentlich hätte Jean S. schon längst abgeschoben werden sollen. Senegal ist ein sicheres Herkunftsland. Nur: Es gibt kein Rückführungsabkommen, die Behörden nehmen Jean S. einfach nicht zurück. "Das kann's nicht sein", sagt Rzehak. Die Kommunen sind eh schon an der Belastungsgrenze, und dann kostet sie ein einziger Fall alle Nerven und Geld etwa für einen extra Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma. Jean S. sitzt jetzt in Untersuchungshaft, doch die Asylsozialarbeiterin Tanja Englhart macht sich schon Sorgen um den nächsten: Ubeh.
"Am Ende des Monats wankt die halbe Halle"
Ubeh kommt aus Afghanistan. Seine Augen sind müde, er schlurft mehr durch die Halle, dass er geht. In der Nacht hat er getrunken, bis um drei Uhr Filme geschaut. Er steht um zwölf Uhr auf, zum Deutschunterricht geht er nur manchmal. Im Monat gibt es für ihn nur einen festen Termin: Wenn es Geld gibt von der Gemeinde. Gleich danach geht es in den Supermarkt, eine Flasche Korn. Und ab an den See. Oder jetzt im Winter in die Unterführung direkt vor der Turnhalle. "Am Ende des Monats wankt die halbe Halle", sagt Englhart. "Eine ganz normale menschliche Reaktion", viele Deutsche würden es genauso machen in der Situation.
Sie arbeitet daran, dass die Asylbewerber von heute nicht die Alkis von morgen werden. Zusammen mit der Caritas bietet sie Beratungsstunden an, um über den Alkohol zu sprechen. In der Turnhalle hängt eine Einladung an der Glastür. Davor sitzen zwei Flüchtlinge auf einer Bank am See. Zwischen ihnen: eine goldene Bierdose.