Politischer Aschermittwoch:"Die CSU ergrünt, ohne zu erröten"

Lesezeit: 7 min

Katarina Barley (SPD), Europawahl-Spitzenkandidatin der SPD und Bundesjustizministerin, steht beim Politischen Aschermittwoch der Bayern-SPD im Wolferstetter nach ihrer Rede auf der Bühne. (Foto: dpa)
  • Die SPD wirft Manfred Weber den laxen Umgang der europäischen Konservativen mit dem ungarischen Regierungschef Vikor Orbán vor.
  • Hubert Aiwanger findet in seiner Rede am Politischen Aschermittwoch: "In meinen Augen soll niemand das Abitur bekommen, wenn er keinen Nagel in ein Brett schlagen kann."
  • "Die CSU ergrünt, ohne zu erröten", hält Henrike Hahn, Spitzenkandidatin der Grünen bei den Europawahlen, der Regierungspartei vor.

Von Thomas Balbierer, Andreas Glas, Lisa Schnell und Johann Osel

Als Maria Noichl den CSU-Politiker Manfred Weber als "Schlappschwanz" bezeichnet, geht zum ersten Mal ein Ruck durch den Wolferstetter Keller in Vilshofen. Die Rosenheimerin vertritt die SPD im Europaparlament und redet sich gerade in Rage über den laxen Umgang der Konservativen mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán. Der habe mit seiner hetzerischen und ausgrenzenden Politik Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verlassen, sagt Noichl.

Mit fast brechender Stimme wirft sie Weber, dem Fraktionsvorsitzenden der Europäischen Volkspartei (EVP), vor, Orbáns Partei Fidesz weiter in der Fraktion zu dulden. "Europa ist ihm nicht wichtig genug, dass er seinen Stall ausmistet", ruft sie in den Saal und wirft Weber Kalkül vor. Schließlich will der nach der Europawahl EU-Kommissionspräsident werden.

Politischer Aschermittwoch
:Brüder für Brüssel

Die Europawahl steht bevor. Also zeigen sich CSU-Chef Markus Söder und Spitzenkandidat Manfred Weber beim politischen Aschermittwoch in seltener Zweisamkeit - alles zur Neuerfindung der CSU.

Von Roman Deininger und Wolfgang Wittl

Bei Noichls derbem Angriff wird es zum einzigen Mal emotional in einer ansonsten eher zahmen Veranstaltung. Die Genossen feiern ihre Rückkehr in den traditionsreichen Wolferstetter Keller, in dem vor 100 Jahren der politische Aschermittwoch gegründet wurde. Mit Maria Noichl und Bundesjustizministerin Katarina Barley sind gleich zwei Europapolitikerinnen nach Vilshofen gekommen.

Barley tritt als SPD-Spitzenkandidatin zur Europawahl im Mai an. Die gebürtige Kölnerin absolviert ihren ersten Aschermittwochs-Auftritt und verzichtet auf deftige Attacken gegen die politische Konkurrenz, sondern konzentriert sich auf das SPD-Programm. Sie fordert einen europäischen Mindestlohn, der bei 60 Prozent des Durchschnittslohnes in dem jeweiligen Land liegen soll. In Deutschland wären das zwölf Euro, sagt Barley.

Sie erneuert die Forderung der SPD nach einer Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung und kritisiert CDU und CSU als Politikverhinderer. "Fällt euch auf Anhieb ein Projekt der Schwarzen ein?", fragt die Ministerin rhetorisch ins Publikum. Die Union habe "keine Idee, kein Konzept". Beim Thema Europa stichelt Barley Richtung CSU. Die Partei habe die EU im vergangenen Jahr "aufs Übelste beschimpft", Ministerpräsident Markus Söder habe sogar das Ende des Multilateralismus ausgerufen. Das Konzept "jeder für sich", so Barley, sei "Trump pur". "Das ist Irrsinn in der heutigen Zeit."

Sie kritisiert mangelnde deutsche Solidarität. "Seit 25 Jahren ertrinken Menschen im Mittelmeer", sagt sie und beklagt, dass Deutschland Staaten wie Griechenland und Italien lange allein gelassen habe. In der Finanzkrise habe man ihnen "auch noch den Hals zugehalten", sagt Barley. Als 2015 immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland kamen, habe man plötzlich nach Europa gerufen. "So funktioniert Solidarität nicht!"

Als dritte Frau spricht die SPD-Landesvorsitzende Natascha Kohnen. Sie wirft der CSU ein "Schizophreniespiel" zwischen Berlin und München vor. Im Bund bekämpfe die Partei das Klimaschutzgesetz der SPD, in Bayern wolle sie den Klimaschutz in die Verfassung aufnehmen. "Sie meinen überhaupt nichts ernst!", schimpft Kohnen. Thomas Balbierer

Neue Töne bei den Freien Wählern

Hubert Aiwanger, Vorsitzender der Freien Wähler und bayerischer Wirtschaftsminister, winkt beim politischen Aschermittwoch der Freien Wähler zu den Parteianhängern. (Foto: dpa)

Das letzte Mal, als Hubert Aiwanger am Aschermittwoch auf der Bühne des Deggendorfer Kongresszentrums stand, nannte er Ministerpräsident Markus Söder (CSU) "ein unkalkulierbares Risiko" für den Freistaat. Gut zwölf Monate später steht der Freie-Wähler-Chef erneut auf dieser Bühne und viele im Saal fragen sich: Wie wird er sich schlagen, der angriffslustige Aschermittwochsredner Aiwanger, dem seine liebste Zielscheibe abhanden gekommen ist?

Inzwischen regieren die Freien Wähler ja mit der CSU, und Aiwanger ist nicht mehr nur Parteichef, sondern auch Wirtschaftsminister. Wie sich das auf seine Aschermittwochsrhetorik auswirkt, kriegt das Publikum gleich in den ersten Minuten seiner Rede zu hören. Aiwanger adressiert seinen "offenen Dank" an den Mann, den er vor einem Jahr noch für ein Risiko hielt und lobt Söder für die "faire und kollegiale Zusammenarbeit". Die Leitplanken für Aiwangers Rede sind damit gesetzt: Unstimmigkeiten mit der CSU werde man künftig "hinter verschlossenen Türen" austragen und nicht mehr auf der Bühne, "zur Belustigung des Volkes", sagt Aiwanger.

Statt, wie früher, über die Superbayern-Rhetorik der CSU zu lästern, rühmt Aiwanger nun selbst, was alles super ist, seit die Freien Wähler mitregieren: 5000 neue Stellen für Lehrer sollen geschaffen werden, 3000 für Polizisten, für Eltern gibt es bald 100 Euro Kita-Zuschuss. Das alles und mehr listet Aiwanger auf, bevor er dann doch "einen Seitenhieb" ankündigt - nicht gegen die CSU, sondern gegen die Oppositionsparteien im Landtag: "Rot, Grün und Gelb, was ihr in den letzten 50 Jahren in Bayern bewegt habt, das haben wir in den ersten drei Wochen unserer Regierungsbeteiligung erledigt."

Politischer Aschermittwoch
:"Kehrt zurück und lasst die Nazis alleine in der AfD"

Markus Söder empfiehlt AfD-Mitgliedern den Parteiaustritt, Katharina Schulze stellt sich den Ministerpräsidenten in Latzhose und Jesuslatschen vor. Manfred Weber will sich nicht von Trump erpressen lassen. Die Zitate vom politischen Aschermittwoch.

Insgesamt bemüht sich Aiwanger aber, den Eindruck zu vermeiden, dass seine Partei jetzt der Größenwahn packen könnte. Man werde sich auch künftig um "die kleinen Themen" kümmern, um "die vernünftigen Leute" an den Stammtischen, um die Handwerker. Er werde sich für mehr handwerkliche Praxis an Schulen einsetzen, sagt Aiwanger, auch an Gymnasien. "In meinen Augen soll niemand das Abitur bekommen, wenn er keinen Nagel in ein Brett schlagen kann."

Bevor Aiwanger spricht, stimmt die EU-Abgeordnete Ulrike Müller ihre Partei auf die Europawahl ein. Sie plädiert für "mehr, nicht weniger Gemeinsamkeiten" zwischen den Staaten und spottet über diejenigen, die Europa aus ihrer Sicht spalten. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz etwa fehlten "ein paar Zacken in der Europakrone". Die britische Premierministerin Theresa May sei "realitätsfremd", sagt Müller, Labour-Chef Jeremy Corbyn "ein "vergiftetes Früchtchen". Hubert Aiwanger kündigt derweil an, seine Partei auch auf Bundesebene stärker zu machen. Er findet: "Deutschland braucht die Freien Wähler im Bundestag." Andreas Glas

Am Anfang versucht es Eike Hallitzky mit einem Rätsel, das eigentlich nicht allzu schwer erscheint. Schließlich feiert ganz Bayern politischen Aschermittwoch, auch die Grünen haben ja nach Landshut geladen. Dort sollen sie nun den Satz ihres Vorsitzenden ergänzen: "In diesem Jahr feiern wir 100 Jahre...?" "Frauenwahlrecht!" Hallitzky probiert es wieder: "Was noch?" - kurze Stille, was könnte es da noch geben? Die Gäste blicken sich gegenseitig an, die Bierbänke, die Weißwürste, da fällt es einer ein: "Aschermittwoch!"

Dürften die Grünen nur ein Jubiläum im Jahr feiern, es wäre 2019 nicht der politische Aschermittwoch. Die Gleichberechtigung, das sagt ihre Bundesvorsitzende Annalena Baerbock später, ist ihnen doch einen Tick wichtiger. Männer dürfen bei den Grünen, wie übrigens auch bei der SPD, an diesem Tag vor allem eines: den Frauen applaudieren. Ganz anders als in Passau bei der CSU - der Hinweis darf in keiner Rede fehlen.

Die Grünen als Gegenentwurf zur CSU, das hat gut funktioniert bei den Landtagswahlen. Jetzt stehen in drei Monaten Europawahlen an. "Da ist noch Luft nach oben", sagt Baerbock. Es ist Henrike Hahn, die aus Luft Wählerstimmen machen soll und deren Name an den meisten Biertischen noch Schulterzucken auslöst. Die Münchnerin hat sich in Bayern als Spitzenkandidatin gegen die Landtagsabgeordnete Ulrike Gote durchgesetzt.

Auch wenn ihr CSU-Konkurrent Manfred Weber selbst bei den Grünen als ein starker Gegner gilt, hat Hahn mit Listenplatz 13 gute Chancen. Kompetent sei sie, sicher, aber eine mitreißende Frontfrau? Müsse sie noch lernen, heißt es. Jetzt steht sie am Rednerpult. "Die CSU ergrünt, ohne zu erröten", sagt Hahn und landet glatt einen Lacher. Das war's dann aber auch, es folgt der Ernst der Lage. Hahn spricht von der Klimakrise als dem größten Sicherheitsrisiko und fordert von Weber eine "glasklare Abgrenzung nach rechts". Dann kommt Katharina Schulze, die gar nicht mehr vorgestellt wird, weil sie als "das Gesicht der Grünen im Landtagswahlkampf" ja eh jeder kenne.

"Hallo Landshut!", sagt Schulze und bekommt für einen Satz mehr Applaus, als Hahn für eine ganze Rede. Für die CSU hat sie launige Sprüche - CSU-Chef Markus Söder habe sich "schon jetzt für die Shortlist des Umwelt-Windbeutels 2019 qualifiziert" - für die SPD die Botschaft, dass die Grünen jetzt auch Sozialpolitik machen.

Schulze redet von Kinderarmut und Steuerschlupflöchern so wie es Baerbock auf Bundesebene schon länger tut. An diesem Tag fordert die Brandenburgerin zudem "Bier in den Krug" oder wie übersetzt man "Butter bei die Fische"? Das Publikum verzeiht es ihr. "So viel Energie!" ruft Christina Moratscheck aus Landshut. Ganz so elektrisiert wie vor einem Jahr, als die Grünen zum Höhenflug ansetzten, sei sie nicht. Macht aber nichts: Immer nur "im Schwebeflug über der Realität fliegen", das tue den Grünen nicht gut. Lisa Schnell

FDP und Linke rufen zur Europawahl auf

Die FDP sieht die kommende Europawahl als eine Richtungsentscheidung. "Es geht um ein Europa, das wir stärken müssen, weil wir es brauchen", sagt die Spitzenkandidatin für die Europawahl, Nicola Beer, beim politischen Aschermittwoch in Dingolfing. Sie drängt darauf, aus dem Brexit zu lernen und die Konflikte zwischen "Ost und West, Nord und Süd, großen und kleinen Mitgliedsstaaten" zu beenden. Die FDP-Generalsekretärin ruft die Anhänger der Partei zum Wählen auf: "Europa ist zu wichtig, um es den Populisten zu überlassen. Egal ob von rechts oder von links." Die Attacke auf den politischen Gegner in Bayern übernimmt Landtagsfraktionschef Martin Hagen. "Die Wirtschaftspolitik in Bayern bräuchte ein Update", sagt er. "Bekommen hat sie Hubert Aiwanger."

In Passau schwört der ehemalige Parteivorsitzende der Linken, Klaus Ernst, seine Partei auf die bevorstehende Europawahl ein. "Die Welt ist in Aufruhr. Nur eine starke Linke in Europa kann die Dinge in den Griff bekommen", sagt Ernst. "Es geht darum, die EU in eine Union umzuwandeln, in der es nicht nur um die Interessen der Wirtschaft geht, sondern vor allem um gleichwertige Lebensbedingungen."

Die ÖDP trifft sich in Landshut und feiert vor allem sich selbst. Noch nie habe die Ökologisch-Demokratische Partei in Bayern so viele Mitglieder gehabt wie derzeit. Laut ÖDP-Mitteilung stieg die Mitgliederzahl in den vergangenen zwölf Monaten von 4000 auf 4400. Die meisten Neumitglieder seien in der heißen Phase des Volksbegehrens "Rettet die Bienen" dazu gekommen. "Es ist sensationell, wie das Thema Artenschutz nun mitten in der Bürgerschaft angekommen ist", sagt die Volksbegehren-Initiatorin und stellvertretende ÖDP-Landesvorsitzende Agnes Becker. Zum Vergleich: Die bayerischen Grünen meldeten Ende Februar mit 12 000 Mitgliedern ebenfalls einen neuen Rekord.

AfD-Redner teilen gegen Regierung und EU aus

Der Werbespot für die Europawahl, erstmals gezeigt, donnert durch den Saal, lauter als die Kapelle davor mit ihrem "Immer wieder Blasmusik, die bringt uns heut' in Schwung". Vom Einzug der AfD in alle Landesparlamente ist die Rede und vom Wahltag im Mai, wo "das Volk entscheidet", wo man sich "unser Land zurückholen" werde.

Der politische Aschermittwoch der AfD in Osterhofen ist der inoffizielle Wahlkampfauftakt, er soll ein Motivationsschub sein. Die Rednerliste zeigt mehrere Kandidaten für Brüssel, alle mit vorderen Listenplätzen und so gut wie sicher im Parlament: Bundeschef Jörg Meuthen, Guido Reil aus NRW und den Münchner Bernhard Zimniok. Reil fragt, ob er bald "Brüsseler Regeln" einhalten müsse: wie EU-Kommissionschef Junker "um zwölf anfangen zu saufen", jeden Abend mit den Lobbyisten "bei Koks und Nutten"? Nein, sagt er, Aufgabe der AfD sei es, "die ganze Dekadenz aufzudecken".

Zimniok sieht Deutschland als "Lachnummer" in der Welt, Außenminister Heiko Maas werde dort "wahrgenommen wie eine lästige Fliege". Militärisch, meint der Oberstleutnant a.D., habe man sich "verzwergt, impotent gemacht, systematisch entmannt". Meuthen versucht den Rundumschlag, ein Fazit: "Wer Merkel wählt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren."

Bayerns Landeschef Martin Sichert sagt, er wolle "keine europäische Armee, in der deutsche Soldaten irgendwann gegen Gelbwesten in Frankreich eingesetzt werden". Die Grünen, sexuelle Vielfalt, Verfassungsschutz, Medien, Klimaproteste, ein bisschen EU - alle streifen ähnliche Themen, pflegen dieselben Feindbilder. Immer wieder Claudia Roth.

Gewitzelt wird gleichwohl insgesamt wenig, die Redner sind verbal hochgerüstet. Und doch wirkt vieles fast moderat, wenn man Andreas Kalbitz als Vergleich nimmt, Brandenburgs AfD-Chef. Er gilt mit Björn Höcke als Steuermann des völkischen "Flügels". Die Gesellschaft sei mit "68er-Metastasen durchsetzt", sagt er, die AfD müsse "antiseptisch" wirken gegen "die Deutschlandabschaffer". Den "ökoperversen Gesinnungsfaschisten" empfiehlt er "Massensuizid" zur Senkung der Klimabelastung, er warnt vor Islamisierung - ein abbezahltes Reihenhaus sei "im Kalifat nichts wert". Die AfD müsse das "Land wieder vom Kopf auf die Füße stellen". Kalbitz erhält ganz klar den stärksten Jubel. Johann Osel

© SZ.de/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: