Süddeutsche Zeitung

Politischer Aschermittwoch:Brüder für Brüssel

  • Die Europawahl ist diesmal wichtiger für die CSU als frühere Europawahlen - da Manfred Weber Präsident der EU-Kommission werden will.
  • Beim Politischen Aschermittwoch der Partei in Passau zeigen sich daher Weber und Parteichef Söder gemeinsam im Rampenlicht.
  • Nach den Debakeln bei der Bundestags- und der Landtagswahl will sich die CSU neu erfinden.
  • 2018 hat die CSU noch den harten Hund Söder gefeiert - heute gibt der Ministerpräsident sich als Teamspieler und zeigt sich zu maßvoller Selbstkritik fähig.

Von Roman Deininger und Wolfgang Wittl, Passau

Verbrüderungsszenen auf offener Bühne haben Konjunktur in der CSU, wobei es bislang eigentlich stets Horst Seehofer und Markus Söder waren, die dem Parteivolk ihre unbedingte Loyalität versichern wollten. Beim Aschermittwoch in Passau hat Söder einen neuen Bruder an der Seite; die Technik ist indes die gleiche, die sich schon bei Seehofer bewährt hat: Beim Schlussapplaus greift Söder Manfred Webers Hand und reißt sie in die Höhe.

Mindestens bis zur Europawahl hat die CSU zwei Anführer: Parteichef Söder und Weber, der als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) Präsident der EU-Kommission werden will. Europawahlen waren für die CSU immer Nebenwahlen, halb so wichtig. Dank Webers etwas theoretischen, aber doch bemerkenswerten Jobaussichten ist das diesmal anders.

Söder und Weber sind keine Brüder, nicht mal Freunde, schon in der Jungen Union waren sie Rivalen. Aber jetzt sind sie Partner, beide müssen ihren Teil beitragen zur Neuerfindung der CSU nach den Debakeln bei der Bundestags- und der Landtagswahl. Was für einen Unterschied ein Jahr macht: Hier in der Dreiländerhalle hat die CSU 2018 noch den alten Söder gefeiert, der - trotz erster landesväterlicher Anwandlungen - vor allem beim Thema Asyl den harten Hund gab. Der neue Söder ist ein Softie und sogar zu maßvoller Selbstkritik fähig. "Wir haben im letzten Jahr manches falsch gemacht, aber daraus gelernt", sagt er. Die CSU habe eine "zweite Chance" bekommen, und die werde man nutzen. Wenn Söder richtig mutig wäre, würde er statt "wir" einfach "ich" sagen.

Der alte Söder galt als Egoist, der neue gibt den Teamspieler. In Passau teilt Söder das Rampenlicht mit Weber. Es gibt zwei Hauptredner, das Publikum ist als Weber-Fankurve ausstaffiert: Weber-Schals, Weber-Lebkuchenherzen, Weber-Schokolade. Sogar Alexander Dobrindt trägt einen Weber-Button; CSU-Kenner halten das für die lustigste Verbrüderungsszene des Tages. Ob Söder das alles echt noch geheuer ist?

Immerhin haben die beiden Redner klar unterscheidbare Zielgruppen. Weber wendet sich im Grunde an ganz Europa, dreißig extra eingeflogene internationale Journalisten sollen gewährleisten, dass er auch gehört wird. Zum ersten Mal werden die Aschermittwochsreden simultan ins Englische übersetzt. Die Gäste aus Dänemark oder Spanien sind zunächst aber eh damit ausgelastet, bayerische Eigenarten zu verarbeiten - etwa die, dass um neun Uhr morgens bereits "richtiges Bier" ausgeschenkt wird.

Eine Rede pro Europa, frei von Polemik: Kann das funktionieren am Aschermittwoch, wo das Publikum traditionell rustikale Erwartungen hat? Weber ist offenbar fest entschlossen, den Beweis anzutreten, und seine Partei hilft ihm nach Kräften. Sogar der niederbayerische CSU-Chef Andreas Scheuer, mit subtilen Botschaften noch selten aufgefallen, ruft bei der Begrüßung: "Diese Dreiländerländerhalle ist von Europa mitgesponsert, deshalb sitzen wir hier." So nah kann Brüssel plötzlich sein.

Dann tritt Weber ans Pult. Wird er sich einlassen zum mittlerweile erbitterten Streit mit dem ungarischen Premierminister Viktor Orbán, der es offensichtlich darauf anlegt, Webers Kandidatur zu sabotieren? Weber tut es nicht, der Name Orbán geht ihm kein einziges Mal über die Lippen. Seine Leute sagen, ihr Chef habe tags zuvor in einem Interview alles Nötige gesagt.

Lieber widmet sich Weber dem Grundsätzlichen: Eine "Politik aus der Mitte" wolle er machen, möglichst alsbald in neuer Funktion: "Ich will, ich kann und ich werde Präsident der EU-Kommission werden." Ja, man könne Brüssel im Detail kritisieren, sagt Weber. Aber auf Details komme es in diesen europäischen Krisentagen nicht an. Also betont Weber die großen Dinge: Wohlstand, Frieden, Freiheit - das alles verdanke man Europa. Nur ein starkes Europa könne den Weltmächten USA und China standhalten. Gut eine halbe Stunde redet Weber, das Publikum verliert er kein einziges Mal. Den größten Jubel erntet er allerdings mit dem Satz, dass er die Beitrittsgespräche mit der Türkei beenden werde. An ein paar alten Gewissheiten wollen sich die Christsozialen doch festhalten.

So eng sind Weber und Söder im Moment, dass ihre Reden praktisch ineinander fließen. Eben hatte Weber über "rechte Dumpfbacken" geschimpft, schon knöpft sich auch Söder die AfD vor. Er sei nicht bereit, Europa den Extremisten oder Nationalisten zu überlassen. Eine Schicksalswahl sei diese Europawahl, aber auch eine "Manfred-Wahl". Wer will, kann da heraushören, wem im Falle eines mauen Resultats die Verantwortung zugeteilt werden soll. Söder verspricht aber auch sehr ernsthaft maximale Unterstützung für Weber.

Dann schwärmt Söder los, so was hat man von ihm bisher selten gehört: "Zuwanderung belebt." Als Ministerpräsident sei er "stolz" auf das Engagement seiner Bayern für Flüchtlinge. Das nächste Thema, das Söders Herz wärmt: die Zusammenarbeit mit der CDU und ihrer neuen Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Toll sei das inzwischen: "zwei Parteien, ein Kurs". Zum Beweis heißt Söder Paul Ziemiak in Passau herzlich willkommen - dass ein leibhaftiger CDU-Generalsekretär schon mal beim Aschermittwoch vorbeigeschaut hätte, ist selbst alten CSU-Recken nicht erinnerlich.

Ist das wirklich der Söder, der 2018 hier sprach? Und ist das wirklich die Partei, die 2014 Peter Gauweiler in den Europawahlkampf schickte? Vor fünf Jahren hatte der damalige Partei-Vize Gauweiler die Kommission, deren Chef der aktuelle Partei-Vize Weber nun werden will, als "Flaschenmannschaft" verspottet. An diesem Aschermittwoch ist das Bekenntnis zu Europa so eindeutig, als hätte es 2014 nie gegeben. Zur Erleichterung des Publikums schimpft Söder wenigstens noch über SPD und Grüne - sein Dreitagebart, sagt er, sei cooler als der von Grünen-Chef Robert Habeck.

Jetzt erfährt man also, weshalb Söder sich nicht rasiert hat. "So lässig wie der sind wir schon lange", lästert er über Habeck, "bloß wächst bei uns mehr, das ist der Unterschied." Für diesen kleinen Gag hat er sich einen Bart wachsen lassen - weitere Ausflüge in seine beeindruckende Vita als Effekt-Politiker gestattet sich Söder jedoch nicht. Die Choreografie mit Weber ist schlüssig: Der europäische Spitzenkandidat spricht über Europa, Söder über Bund, Land und die politische Konkurrenz. Und das auf eine Weise, mit der sich auch hartgesottene Aschermittwoch-Fans anfreunden können. Vor allem eine Partei bekommt Söders Aufmerksamkeit zu spüren: Die Grünen hätten kein Copyright auf Umweltschutz, motzt er. Sie verurteilten einerseits das Fliegen und flögen andererseits selbst in den Urlaub. Habeck sei ein selbsternannter Wanderprediger in Sachen Demokratie. Da johlen die CSU-Anhänger.

Noch einmal bricht sich die ungebremste Lust des CSU-Stammpublikums auf Folklore Bahn: Am Ende skandieren die Leute einen Vornamen. Es ist nicht der von Weber und auch nicht der von Söder. "Edmund, Edmund", rufen die Menschen, als plötzlich der Ehrenvorsitzende Stoiber zusammen mit dem neuen Führungsduo die Arme hochreißt.

Ganz am Schluss stehen sämtliche CSU-Brüder auf der Bühne und singen die Hymnen: Alle schmettern lauthals mit, erst die Bayernhymne, dann das Deutschlandlied. Bei der Europahymne sind plötzlich nur noch Weber und die einschlägig vorgebildeten Europaabgeordneten textsicher. Söder schweigt zumindest melodisch mit.

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Quelle:
SZ vom 07.03.2019/ebri
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