Süddeutsche Zeitung

Aschaffenburg: Zoff um Radiospiel:Tabubruch auf Frequenz 91,6

Ein Radiosender verschenkt bei einem Spiel eine Gratis-Beerdigung. Pietätloser Trash oder skurrile Werbe-Idee? Der Bestatterverband ist sauer. Und dann hat beim Brudersender auch noch ein bekannter Wettermoderator angeheuert.

Tobias Dorfer

Ungewohnte Melodien sind das für die jungen Hörer von Radio Galaxy, die sonst auf der Frequenz 91,6 die "beste neue Musik" von Katy Perry oder Lady Gaga gewohnt sind. Ein Trauermarsch von Frédéric Chopin unterbricht das Programm, dann bewirbt Moderator Jens Pflüger die neue Aktion: "Gewinne deine eigene Beerdigung", damit lockt der Sender aus dem unterfränkischen Aschaffenburg seit Mitte Januar. Mit einer abgeänderten Traueranzeige wurden die Hörer in der Lokalpresse aufgefordert, ihre letzten Worte zu mailen. Wer die "coolste Antwort" liefert, gewinnt eine Sterbeversicherung im Wert von 3000 Euro - gesponsert von einem örtlichen Bestattungsunternehmen.

Was Radio Galaxy selbst als das "krasseste Radiospiel Deutschlands" verkauft, ist für den Bundesverband Deutscher Bestatter (BDB) eine "Verballhornung des Themas Tod und Trauer" - so formuliert es der Geschäftsführer Rolf Lichtner. Deshalb hat der Verband wegen unlauteren Wettbewerbs einen Unterlassungsantrag gegen das Funkhaus Aschaffenburg und das beteiligte Bestattungsunternehmen gestellt. BDB-Geschäftsführer Lichtner geht es dabei weniger um einen materiellen Schaden, als vielmehr "um den Ruf des Bestattungsgewerbes". Sein Anwalt Ingmar-Jens Montagna sagt zu sueddeutsche.de: "Diese Kampagne verletzt die Menschenwürde."

Beim Sender selbst ist man über die heftige Reaktion der Bestatter erstaunt. "Wir wussten, dass die Aktion polarisieren würde", sagt Moderator Pflüger. "Dass sie jedoch solche Wellen schlagen würde, damit haben wir nicht gerechnet." Ziel sei gewesen, das Thema Tod zu enttabuisieren, sagt Pflüger. Nach einem Unfall mit einem Schulbus im unterfränkischen Miltenberg, bei dem Mitte Dezember ein Schüler ums Leben kam, habe man festgestellt, dass der Tod vor allem bei jungen Leuten ein Tabuthema ist, erzählt der Moderator. "Wir wollen, dass die Leute endlich darüber sprechen."

Zumindest das hat der Sender erreicht. Mehr als 600 Vorschläge sind in der Redaktion bereits eingegangen. Eine Hörerin zitiert aus Astrid Lindgrens Kinderbuch Pippi Langstrumpf: "Wie schön muss es erst im Himmel sein, wenn er von außen so schön aussieht." Aber auch Jux-Antworten seien dabei, erzählt der Moderator. "Ich hatte Vorfahrt", sind die "letzten Worte" eines Hörers - und ein anderer schreibt: "Meine Handynummer gilt nicht mehr." Jens Pflüger findet nichts dabei: "Wir nehmen alle Zuschriften ernst", sagt der Moderator und verweist darauf, dass der Sender die Aktion auch redaktionell begleiten würde - etwa mit einem Porträt über eine Sargherstellerin oder Interviews mit Geistlichen.

Etlichen Hörern reicht das nicht. "Einfach nur traurig" sei die Aktion, schreibt eine Userin auf der Facebook-Seite von Radio Galaxy. Doch es gibt auch positive Resonanz. Für "an sich 'ne gute Idee", hält ein User das Spiel. "Wir wissen schließlich alle, wie teuer eine Beerdigung ist." Nur hätte man es anders ausdrücken sollen, "weil es schon sehr makaber klingt". Eine Hörerin nimmt sogar Bezug auf das RTL-Dschungelcamp: "Ich persönlich finde Maden mampfen wesentlich geschmack- und vor allem sinnloser als eine Sterbeversicherung."

Das Tabuthema Sterben zu enttabuisieren, das hält auch Konrad Hilpert für wichtig. Dennoch: Mit dem Radiospiel von Radio Galaxy kann der Moraltheologe von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität nichts anfangen. "Geschmacklos" und "obszön" findet Hilpert die Aktion. Schwierige Themen wie Tod und Sterben sollten Jugendlichen besser in der Familie und in der Schule nähergebracht werden, sagt der Theologe - und kritisiert den Sender: Dem ginge es "nicht wirklich um einen Anreiz, sich mit der eigenen Sterblichkeit auseinander zu setzen, sondern ausschließlich um die Gewinnung von öffentlicher Aufmerksamkeit".

Diese Aufmerksamkeit hat auch der Bestattungskonzern Ahorn gesucht, als er im Jahr 2005 mit einer Plakatkampagne eine Sterbeversicherung bewarb. Senioren mit Engelsflügeln waren als Motiv aufgedruckt - und die Tatsache, dass diese Werbung ausgerechnet an Bahnhöfen plakatiert wurde, stört BDB-Geschäftsführer Lichtner überhaupt nicht. Im Gegenteil. Die Kampagne sei außergewöhnlich gewesen, aber nicht verwerflich. Anders sei dies bei der seiner Meinung nach pietätlosen Werbung von Radio Galaxy.

Jens Pflüger verteidigt die deutliche Wortwahl der Anzeige. Ein Jugendsender müsse solche Aktionen entsprechend bewerben. "Sonst hört ja keiner hin." Den Ärger des BDB kann der Moderator nicht verstehen. "Wir machen doch kostenlos Werbung für alle Bestatter in Deutschland", sagt er.

Auch die Bayerische Landeszentrale für neue Medien hat nichts gegen das Gewinnspiel einzuwenden. Man habe das Programm des Senders ausgewertet. Gegen Jugendschutzbestimmungen oder andere Grundsätze verstoße dieses nicht, sagt ein Sprecher. Und für die Traueranzeige sei man nicht zuständig.

Ob das Motiv und die gesamte Beerdigungs-Verlosung tatsächlich pietätlos und menschenverachtend sind, wird das Landgericht Aschaffenburg am 17. März entscheiden. Für die Kläger besonders ärgerlich: Die laufende Aktion können sie gar nicht mehr verhindern. Denn die endet am 9. März - ausgerechnet an Aschermittwoch.

Die Muttergesellschaft von Radio Galaxy, das Funkhaus Aschaffenburg, hat jüngst noch einen zweiten - ziemlich öffentlichkeitswirksamen - Coup gelandet. Ab dem 4. März wird bei Radio Primavera, einem anderen Sender der Gesellschaft, ein prominenter Wettermoderator anheuern. Sein Name: Jörg Kachelmann.

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