Innenminister berichtet im Landtag:Gegen den Angreifer von Aschaffenburg liefen 18 Strafverfahren

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Am 22. Januar tötete ein mutmaßlich psychisch kranker Mann ein Kind und einen Erwachsenen. (Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Enamullah O. fiel der Polizei mit einer Reihe von Delikten und psychischen Krisen auf. Vergangene Woche soll er in Aschaffenburg zwei Menschen getötet haben. Im Landtag wird darüber diskutiert, warum er frei herumlaufen konnte.

Von Thomas Balbierer

Eine Woche nach dem tödlichen Messerangriff auf eine Kita-Gruppe in Aschaffenburg sind neue Details bekannt geworden. Wie Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Mittwoch im Innenausschuss des Bayerischen Landtags berichtete, liefen schon vor dem Tod eines Mannes und eines Kleinkindes 18 Strafverfahren gegen den 28-jährigen Tatverdächtigen Enamullah O., einen ausreisepflichtigen Asylbewerber aus Afghanistan. Demnach war der Mann seit seiner Ankunft in Bayern im Winter 2022 durch eine Reihe von Delikten aufgefallen. Laut Herrmann handelte es sich „im Großteil um kleinere körperliche Auseinandersetzungen und Sachbeschädigungen in oder an Asylunterkünften“. Zweimal wurde O. zu einer Geldstrafe verurteilt, wegen Körperverletzung und Schwarzfahrens. Andere Verfahren wurden eingestellt oder liefen zum Tatzeitpunkt noch.

Zugleich widersprach der Innenminister der Annahme, dass die Behörden in Unterfranken Fehler im Umgang mit dem Tatverdächtigen gemacht hätten. Den Vorwurf, die Polizei habe es versäumt, einen Haftbefehl gegen O. zu vollstrecken, wies Herrmann als „schlicht falsch“ zurück.

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Dreimal hatte die Polizei den Mann wegen psychischer Ausnahmesituationen zwangsweise in der Psychiatrie untergebracht, jeweils für ein paar Tage. Wenige Wochen vor der Tat wurde er unter gesetzliche Betreuung gestellt, berichtete Herrmann. Es gebe viele Hinweise, „die auf eine psychische Erkrankung hindeuten“. In seinem Zimmer seien zum Beispiel entsprechende Medikamente gefunden worden.

Der Vize-Fraktionschef der Grünen, Florian Siekmann, fragte Herrmann, „warum trotz dieser vielen Warnsignale an keiner Stelle entschiedener eingeschritten werden konnte“. Nach aktueller Rechtslage, so Siekmann, wäre es möglich gewesen, „eine längerfristige Unterbringung“ in einer Psychiatrie anzuordnen.

Kurz nach der brutalen Attacke auf eine Gruppe von Kleinkindern im Aschaffenburger Park Schöntal hatte ein innenpolitisches blame game angefangen, in dem Politiker aus Bundes- und bayerischer Staatsregierung die Verantwortung hin- und herschoben. Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (beide SPD) sprachen von einem Versagen der bayerischen Behörden. „Dieser Täter hätte nicht mehr in Bayern rumlaufen dürfen“, sagte Scholz. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nannte die Kritik „unangemessen und stillos“ und nahm seinerseits die Berliner Migrationspolitik ins Visier. Er forderte einen faktischen Einreisestopp unerlaubt Einreisender und schnellere Abschiebungen. „Wir müssen mehr Entschlossenheit zeigen.“

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Am Mittwoch ging der Streit auch im Landtag weiter. Innenminister Herrmann sagte, er sei „überrascht, wie der Bundeskanzler dazu kommt – aus meiner Sicht in freier Erfindung –, zu erklären, dass es hier Versäumnisse in Bayern gegeben hat“. Stattdessen nahm er das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in den Fokus, das für das Asylverfahren des Afghanen zuständig war. Demnach sollen Verzögerungen in der Bundesbehörde dazu geführt haben, dass O. nicht bereits im Sommer 2023 nach Bulgarien abgeschoben wurde. Dort war er zuerst in der EU als Flüchtling registriert worden und hätte laut der europäischen Dublin-Verordnung auch dort sein Asylverfahren durchlaufen müssen.

Herrmann verweist auf Verzögerungen beim Bamf

Herrmann wies darauf hin, dass sich Bulgarien am 3. Februar 2023 bereiterklärt habe, den Mann zurückzunehmen. Von da an galt eine sechsmonatige Überstellungsfrist. „Bis zur Ablehnung des Asylantrags brauchte das Bamf allerdings fast fünf Monate“, sagte Herrmann. Erst sechs Tage vor dem Ende der Frist am 3. August 2023 sei bei der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde in Unterfranken die entsprechende Mitteilung eingegangen. Dem Minister zufolge bestehen die bulgarischen Behörden aber darauf, dass Rückführungen „neun Werktage vorher angekündigt werden. Damit war eine Rücküberstellung nicht mehr möglich.“ Ein Abschiebeversuch erfolgte nicht, Enamullah O. blieb in Deutschland. Im Dezember 2024 gab er bei den Behörden an, freiwillig auszureisen, was er aber nicht tat.

Stattdessen ging er am 22. Januar im Aschaffenburger Park Schöntal mit einem Messer gezielt auf eine fünfköpfige Kita-Gruppe los. Um 11.45 Uhr griff er laut Herrmann den zweijährigen Yannis in einem Bollerwagen an, riss ihm Schal und Mütze vom Körper und stach siebenmal zu. Der Junge starb. Ein zweijähriges Mädchen verletzte er schwer am Hals. Als ein 41-jähriger Passant einschritt, der gerade mit seinem Sohn im Park unterwegs war, tötete der Angreifer auch ihn mit dem Messer. Der Sohn blieb unverletzt. Der Tatverdächtige flüchtete, als weitere Passanten zu Hilfe eilten, und wurde um 11.59 Uhr festgenommen. Er sei aktuell in einer forensischen Psychiatrie untergebracht und habe sich noch nicht zur Tat geäußert. Warum er es ausgerechnet auf Kinder abgesehen hatte, sei unklar.

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Herrmann hob den „heldenmutigen“ Einsatz des ums Leben gekommenen Helfers Kai-Uwe D. hervor. Er habe durch sein Einschreiten „mindestens einem, zwei oder sogar drei Kindern das Leben gerettet“. Ihm soll posthum die Bayerische Rettungsmedaille verliehen werden. Auch die Zivilcourage weiterer Augenzeugen lobte der Innenminister. „Ich hab wirklich sehr großen Respekt vor diesen Männern, die den Mut hatten, hier einzuschreiten.“

„Der Täter hätte genauso gut auch die deutsche Staatsangehörigkeit haben können“

Im Ausschuss entwickelte sich nach Herrmanns Bericht eine Grundsatzdebatte über Migration. „Unsere Bayern sind nicht mehr sicher“, sagte die AfD-Fraktionsvorsitzende Katrin Ebner-Steiner. Sie bot der CSU eine Zusammenarbeit beim Vorhaben einer restriktiven Migrationspolitik an. „Wir könnten die Grenzen schließen mithilfe der AfD.“ Die migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Gülseren Demirel, warnte vor einer feindseligen Stimmung gegenüber Ausländern. „Wir müssen schon feststellen, dass wir Tausende von Geflüchteten haben, die friedlich hier in diesem Land leben.“

Einen nachdenklichen Ton stimmte Wolfgang Hauber an, der innenpolitische Sprecher der Freien Wähler: „Es war eine Straftat eines psychisch kranken Täters. Der Täter hätte genauso gut auch die deutsche Staatsangehörigkeit haben können.“ Psychische Erkrankungen würden in Deutschland immer weiter zunehmen. Daher müsse man sich grundlegende Gedanken über den Umgang mit vergleichbaren Fällen machen.

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