Prozess in Aschaffenburg:Mord für die vermeintliche Ehre

Jugendliche getötet - Mordprozess gegen Vater beginnt

Der 46-jähriger Angeklagte wird am Morgen von Polizisten in Handschellen in den temporären Gerichtssaal im Aschaffenburger Schloss Johannisburg zur Anklagebank geführt.

(Foto: dpa)

Hashem N. soll seine Tochter getötet haben, weil ihm ihr Lebensstil missfiel. Ob er zugestochen hat oder seinen Sohn dazu zwang, muss das Aschaffenburger Landgericht klären.

Von Olaf Przybilla

Hashem N. soll seine Tochter ermordet haben, weil ihm deren Lebensstil nicht behagt und sie eine Beziehung mit einem jungen Mann angefangen hat. Und N. hat womöglich seinen 13 Jahre alten Sohn zum Instrument dieser Tat gemacht. Der große Ridingersaal des Aschaffenburger Schlosses Johannisburg, in den das Gericht pandemiebedingt ausgewichen ist, gilt als einer der reizvollsten Veranstaltungsorte Frankens. Seit Donnerstag wird dort nun ein Mord verhandelt. Und einer, dessen Umstände selbst routinierten Ermittlern den Atem stocken lässt.

Wenn die Annahmen von Oberstaatsanwalt Jürgen Bundschuh stimmen, so war der 46 Jahre alte Hashem N. nach seiner Flucht aus Syrien mit den "westlichen Lebensgewohnheiten" seiner Tochter Mezgin N. nicht einverstanden. Immer wieder kam es zu Konflikten, weil sie sich nicht so verhielt, wie es der Vater gerne gehabt hätte. Solche Konflikte konnten sich ganz simpel am Facebook-Account von Mezgin entzünden; aber auch mit dem Privatleben seiner Tochter war der Vater nicht einverstanden. So heftig waren die Konflikte, dass sie aktenkundig wurden. Im Mai 2017 verurteilte das Amtsgericht Aschaffenburg N. zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe: gefährliche Körperverletzung und Misshandlung von Schutzbefohlenen. Opfer seiner Misshandlungen war seine Tochter.

Im selben Monat soll Hashem N. den Beschluss gefasst haben, seine Tochter zu töten, "um sie für ihren Lebenswandel zu bestrafen und vermeintlich seine Ehre wieder herzustellen", wie es der Oberstaatsanwalt formuliert. Ein Motiv, so legt er sich schon in der Anklage fest, "das nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert ist und auf tiefster Stufe steht".

Wer nicht mitbekommen hat, wie sehr das plötzliche Verschwinden der Berufsschülerin Mezgin die Menschen im Aschaffenburger Land beschäftigt hat im Frühling 2017, der bekommt das am ersten Verhandlungstag noch einmal vor Augen geführt. Der Chefermittler referiert, wie man die ganze Klaviatur der Suchmaßnahmen bemüht habe, "an Land, zu Wasser und in der Luft". Kampftaucher der Bundeswehr suchten den Main nach der als vermisst gemeldeten Schülerin ab, ein Sonarboot war im Einsatz, alles vergebens. "Wie vom Erdboden verschluckt" sei Mezgin gewesen.

Zunächst waren noch andere Beamte mit der Suche beschäftigt, nicht die Kriminalpolizisten. "Aber ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass es ein Tötungsdelikt ist", sagt der Ermittler. Warum? Der Zufall wollte es, dass der Beamte etwa ein Jahr zuvor schon einmal mit der Schülerin und deren offenbar zu Gewalt neigendem Vater zu tun hatte. Mezgin N. habe ihm damals gesagt: Sollte ihr Vater erfahren, wo sie sich aufhalte - sie war zwischenzeitlich in einem Heim untergebracht -, so werde er sie umbringen. Mezgin hatte sich später zu einer Rückkehr zur Familie entschieden. Zwei Wochen, nachdem sie als vermisst gemeldet worden war, wurde der Beamte mit der Fallaufklärung betraut. Nach dieser Vorgeschichte "war das sehr makaber und bedrückend für mich", sagt der Ermittler.

Sohn des Angeklagten gibt in Videovernehmung an, sein Vater habe ihn zur Tat gezwungen

Der Angeklagte ist in Handschellen in den zum Schwurgericht umgewidmeten Schlosssaal geführt worden. Die würde er gerne abgenommen bekommen, erklärt sein Anwalt. Ob die Wachbeamten etwas dagegen hätten, fragt der Vorsitzende Richter. Haben sie: Es gebe Hinweise aus der Haft, dass sich der 46-Jährige während der Verhandlung "etwas antun" wolle. Am Ende darf der Angeklagte eine Hand frei bewegen, um sich Notizen machen zu können. Zu den Vorwürfen äußert er sich nicht.

Die sind in der Anklage detailliert geschildert. Sie geht davon aus, dass N. am 4. Mai 2017 seine Tochter mit einem geliehenen Wagen vormittags von der Schule abgeholt hat, obwohl diese erklärt hatte, bis zum Nachmittag Unterricht zu haben. Sie soll auf dem Rücksitz Platz genommen haben, ihr Vater soll sie aber nicht in die gemeinsame Flüchtlingsunterkunft nach Goldbach gebracht haben, sondern zwei Stunden durch die Gegend gefahren sein. In einem Waldgebiet soll er Mezgin schließlich gefesselt - und seinen Sohn, den 13 Jahre alten Stiefbruder von Mezgin, der ebenfalls in dem Wagen saß, aufgefordert haben, seine Stiefschwester zu erstechen. Sollte er das nicht tun, so werde er ebenfalls sterben. Mit drei Stichen soll die Schülerin laut Anklage getötet worden sein, Blutspuren wurden aber nicht gefunden.

Wer die Schülerin getötet hat? Darauf legt sich der Staatsanwalt nicht fest. Entweder der Vater war es oder der Sohn. In einer Videovernehmung hat der 13-Jährige angegeben, der Vater habe ihn zur Tat gezwungen. Aufgrund seines Alters ist er selbst strafunmündig. Bei einer der Vernehmungen, so schildert es der Chefermittler, soll der 13-Jährige versucht haben zu flüchten. Auch sei er einmal mit beiden Fäusten auf ihn losgegangen - so etwas habe er noch nie erlebt, sagt der Beamte. Momentan soll sich der 13-Jährige in der Türkei aufhalten.

Der Leichnam von Mezgin N. ist im Dezember 2018 in einem nicht mehr betriebenen Betonschacht im Wald gefunden worden. Früher wurde dort Wildfutter gelagert. Wer immer das Mädchen dorthin verbracht habe, er habe es "wie ein Stück Dreck entsorgt", sagt der Chefermittler. In einem Video ist im Gerichtssaal zu sehen, wie das Skelett aus dem Schacht geborgen wird. In dem Moment wirkt der Angeklagte bewegt. Mit der freien Hand tupft er sich die Augen mit einem Taschentuch.

Der 46-Jährige muss sich in dem Prozess nicht nur wegen Mordes, sondern auch wegen versuchten Mordes verantworten. Kurz vor seiner Flucht in die Türkei soll er im Juni 2017 auf einer kaum beleuchteten Treppe am Mainufer den Freund von Mezgin N. mit einem Teppichmesser in Hals und Gesicht gestochen haben. Der junge Mann, 23 Jahre alt, überlebte schwer verletzt. Wie alt Mezgin N. war, als sie ermordet wurde, ist nicht ganz klar. In ihren Unterlagen wurde ihr Alter mit 16 angegeben, aufgrund rechtsmedizinischer Untersuchungen halte man es für wahrscheinlich, dass sie wohl eher 19 war, sagt der Chefermittler. Für den Indizienprozess sind 14 Verhandlungstermine angesetzt, das Urteil soll im April gesprochen werden.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusCold Cases in Bayern
:"Plötzlich gab es einen Namen. Das ist einer der Momente, für die man Polizist wird"

Richard Thiess hat Morde aufgeklärt. Auch einen, an dessen Klärung schon keiner mehr glaubte.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: