Vorbeugung von Gewalttaten:Wer hilft traumatisierten Geflüchteten?

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Der mutmaßliche Täter (im weißen Overall) wird aus einem Fahrzeug auf das Gelände des Amtsgerichts geführt. Er war mehrmals in psychiatrischer Behandlung. (Foto: Daniel Vogl/dpa)

Die Frage taucht nach Angriffen wie in Aschaffenburg regelmäßig auf. Dabei ist bisher nicht klar, ob eine psychische Krankheit Grund für die Tat war. Klar aber ist, dass Menschen, die Flucht und Verfolgung erlebt haben, in Bayern zu selten Behandlung erhalten.

Von Nina von Hardenberg

Mindestens dreimal war der 28-Jährige, der am Mittwoch eine Kindergruppe in einem Park in Aschaffenburg angriffen und einen Jungen und einen Mann getötet haben soll, wegen Gewalttaten aufgefallen. Dreimal kam er danach in psychiatrische Behandlung und wurde wieder entlassen, so erzählte es Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Hätte man ihn in der Psychiatrie halten und ihn so stoppen können? Die quälende Frage stellt sich am Tag nach der Tat. Beantworten aber lässt sie sich zum jetzigen Zeitpunkt kaum, sind sich Experten einig. Zu wenig ist bislang über den Täter und seine Motive bekannt.  Je monströser das Verbrechen, desto eher seien Menschen geneigt, eine Tat mit psychischen Störungen erklären zu wollen, sagt der Direktor des Ingolstädter Zentrums für psychische Gesundheit Thomas Pollmächer. Er warnt vor diesem Reflex.

Jeder Mensch habe eine 30-prozentige Chance im Laufe seines Lebens psychisch krank zu werden. Eine Gefahr gehe von diesen Menschen grundsätzlich nicht aus. Diese sei nur bei einem kleinen Teil von Erkrankungen, etwa bei Psychosen mit Wahnvorstellungen manchmal gegeben. Hingegen seien andere Erklärungen für Gewalttaten möglich, etwa der Einfluss von Drogen, die Horrortrips auslösen können.  Oder auch Fanatismus.

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„Bei der Polizei gibt es eine Tendenz, gerade gefährliche Ausländer, mit denen man sich schlecht verständigen kann, in die Psychiatrie zu bringen“, sagt Pollmächer. Psychiatrien aber dürften auch gefährliche Menschen nicht einfach gegen ihren Willen behandeln. Die Hürden hierfür sei im neuen bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz zu Recht hoch gesetzt worden. Festhalten dürfen die Ärzte Kranke demnach nur, wenn klar ist, dass ihr Leiden selbst Ursache für die Gefahr ist. Auch muss sicher sein, dass die Patienten aufgrund ihrer Krankheit das Unrecht ihrer Taten nicht einsehen können.

Die Ärzte können also häufig nicht gegen den Willen eines Kranken behandeln. Sie könnten aber viel früher präventiv eingreifen. Viele Geflüchtete wünschen sich eine Therapie und bekommen sie nicht.  Der Zugang zum Gesundheitssystem ist für Asylsuchende auf Notfallbehandlungen beschränkt. Behandelt wird also nur, wer droht sich umzubringen oder wer eine andere akute Krise hat. Eine langfristige psychische Behandlung wird in den seltensten Fällen gewährt, kritisiert Pollmächer.

In München versucht die Organisation Refugio mithilfe von Mitteln der Stadt, Spenden und EU-Fördergeldern diese Lücke zu schließen. In ihrem Beratungs- und Behandlungszentrum bieten die Mitarbeiter Therapie speziell für Geflüchtete an. Bei der letzten Anmeldung im Oktober hatten sie 236 Anfragen. Gerade mal  37 Menschen konnten sie einen Therapieplatz anbieten.

München und Oberbayern insgesamt steht damit im bayernweiten Vergleich noch gut da. Denn in der Erstaufnahme an der Lotte-Branz-Straße arbeiten – ebenfalls von Refugio organisiert – auch sogenannte psychosoziale Peerberater. Das sind Menschen, die selbst Fluchterfahrung haben und versuchen, jene Geflüchtete herauszufiltern, die besonders schutzbedürftig sind, weil sie Folter oder andere Traumata erlebt haben oder psychisch krank sind.  Dabei geht es nicht nur um jene, die ausflippen und rumschreien, sagt Pressesprecherin Heike Martin. „Die erkennt auch der Sicherheitsdienst.“ Die Peermitarbeiter suchen gezielt auch Kontakt zu den Menschen, die sich zurückziehen oder über Albträume klagen.

Frühe Behandlung von Traumata ist nicht nur medizinisch sinnvoll. Sie kann verhindern, dass schlimmere psychische Krankheiten entstehen. Bayern ist durch die EU-Aufnahmerichtlinie seit Langem rechtlich verpflichtet, Geflüchteten solche frühen Hilfen anzubieten. Passiert sei seit Jahren trotzdem wenig, kritisiert Katharina Grote vom bayerischen Flüchtlingsrat. Ein Angebot wie in München gibt es bislang nur noch im Bezirk Unterfranken. Der Flüchtlingsrat hat just an diesem Donnerstag in Nürnberg eine Fachtagung zum Thema Früherkennung besonderer Schutzbedarfe organisiert. Es mache sie traurig, dass diese Thematik nur bei solchen schlimmen Vorfällen in der Öffentlichkeit diskutiert werde, sagt Grote.

Wenn der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz jetzt Konsequenzen fordere, könne sie nur sagen: „Wir fordern schon längst Konsequenzen, nämlich eine systematische Früherkennung von Geflüchteten mit besonderem Schutzbedarf. In Bayern gibt es die nicht.“  Und selbst dort, wo man feststelle, dass Menschen Hilfe bräuchten, fehle oft die Struktur für eine gute Weiterbehandlung. „Wir sehen da einfach nur eine sehr große Lücke.“ Die Politik sei nicht bereit, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, Fachleute anzuhören, Konsequenzen zu ziehen und das notwendige Geld zur Verfügung zu stellen. Wäre es anders, würde sie auf dieser Tagung nicht in jeder zweiten Frage hören: „Wie finanziert ihr das?“

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