Arzt wegen Missbrauchs vor Gericht:"Das macht mich fassungslos"

Prozess gegen Arzt wegen sexuellen Missbrauchs

Der Arzt Hermann S. ist wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt. Dem 63-Jährigen wird vorgeworfen, vielfach in seiner Praxis und in seiner Wohnung mit Patientinnen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Die Frauen sollen ihm zur psychotherapeutischen Behandlung anvertraut gewesen sein.

(Foto: dpa)
  • Ein Arzt soll Patientinnen in 122 Fällen missbraucht haben.
  • Sexueller Kontakt zwischen Therapeuten und Patienten steht unter Strafe - der Arzt und ehemalige ÖDP-Politiker behauptet, ihm sei das nicht bewusst gewesen.

Von Olaf Przybilla, Ansbach

Angeklagt ist ein Arzt mit psychotherapeutischer Zusatzausbildung, der in insgesamt 122 Fällen Patientinnen missbraucht haben soll. Da könnte man einen gebrochenen Mann auf der Anklagebank erwarten und ein mindestens reserviertes Klima auf den Zuschauerbänken im Gerichtssaal. Während der ersten drei Verhandlungstage im Saal 1.72 des Landgerichts Ansbach aber hat Monika Goller, die zwei der betroffenen Frauen als Nebenklägerin vertritt, ihren Augen kaum trauen wollen.

Zwar hat der Arzt die Vorwürfe eingeräumt, dem Grundsatz nach. Schon am ersten Verhandlungstag aber schüttelten ihm Zuschauer in Prozesspausen immer wieder die Hände, und so ist das an den Folgetagen munter weitergegangen. Hier eine nette Plauderei, dort ein freundlicher Gruß in den Gerichtssaal. Das beobachten zu müssen, dieses Wohlfühlklima, "das macht mich fassungslos", sagt Goller.

Der Arzt aus dem fränkischen Feuchtwangen hat am ersten Tag eine lange Erklärung in eigener Sache abgegeben. Davon, wie er die Dinge sieht, konnten sich die Zuhörer im Saal ein präzises Bild machen. Nein, in die Berufsordnung habe er in all den Jahren als Arzt nie geschaut. Dass Sex zwischen Erwachsenen in dieser Konstellation unter Strafe steht, weil der Therapeut die Notsituation von Patienten ausnutzen kann, habe er sich nicht vorstellen können, dazu sei er "juristisch zu naiv". Der 63-Jährige hat im Stehen gesprochen, die Erklärung glich fast einer politischen Rede. Als der Arzt vor zehn Monaten festgenommen wurde, war er noch Mitglied im ÖDP-Bundesvorstand.

Was die betroffenen Frauen bei alledem empfunden haben, erschließt sich Prozessbeobachtern deutlich schwerer, die ersten beiden sagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus. Beide aber, schildert Anwältin Goller, zeichnen in ihren Aussagen ein ganz anderes Bild des Arztes als jenes, das er selbst von sich entworfen hat.

Die eine der beiden, eine heute 47-Jährige, soll der Arzt insgesamt 96-mal missbraucht haben. Sie war laut Anklage vor Beginn des Behandlungsverhältnisses bei dem Feuchtwanger Arzt Opfer einer Vergewaltigung geworden und litt seither unter massiven psychischen Problemen, diffusen Ängsten etwa und Panikattacken bei Berührungen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Arzt sie durch eine "Desensibilisierung", Berührungen am ganzen Körper, an körperliche Nähe gewöhnen wollte.

Die Initiative sei stets vom Arzt ausgegangen

Bei so einer Behandlung soll es erstmals zum Geschlechtsverkehr gekommen sein, der aber abgebrochen wurde, weil die Patientin eine Panikattacke erlitt. Trotzdem soll der Arzt immer weitergemacht haben. Zwischen 2007 bis 2015 soll es in seiner Praxis zwei Mal pro Monat zu Behandlungen und Geschlechtsverkehr gekommen sein. Diese Termine wurden über die Krankenkasse abgerechnet.

Die 47-Jährige hat ausgesagt, sie habe aufgrund ihrer labilen psychischen Situation nicht überreißen können, was da mit ihr geschehe. Erst nachdem sie zufällig in einer Broschüre las, dass körperliche Kontakte zwischen Therapeut und Patient unter Strafe stehen, sei sie allmählich zur Besinnung gekommen.

Die Initiative sei stets vom Arzt ausgegangen, irgendwann habe sie es so empfunden, dass sie nur noch "dazwischengeschoben" werden solle, bei den zahlreichen Terminen des Arztes und Politikers. Sie habe das Gefühl bekommen, der Mediziner pflege noch weitere Affären. Auch habe sie ihn nach Lektüre der Broschüre damit konfrontiert, dass Sex mit Patienten unter Strafe stehe.

Eine andere Zeugin - sie war zu Beginn der Behandlung 21 Jahre alt - hat das ähnlich ausgesagt. Der Mediziner habe sie wissen lassen, sie solle nirgends etwas sagen, was da zwischen Therapeut und Patientin geschehe. Die Frau litt unter Essstörungen, Depressionen und einer Borderline-Störung. 2007 soll sie in der Feuchtwanger Arztpraxis sogar einen Suizidversuch unternommen haben. Aber auch mit dieser Frau soll der Arzt später Geschlechtsverkehr gehabt haben, ebenfalls während Behandlungsterminen. Die Frau benötigte über Jahre therapeutische Hilfe, um die Geschehnisse in der Praxis aufzuarbeiten.

Das mache sie besonders wütend, sagt Anwältin Goller: Der Arzt habe die Notsituation der Frauen nicht nur "schamlos ausgenutzt", er habe noch nach seiner Festnahme "gebetsmühlenartig" wissen lassen, er werde gestehen und den Frauen damit Aussagen vor Gericht ersparen. Von einem Geständnis aber sei der Arzt "meilenweit entfernt". Zwar räume er den Geschlechtsverkehr ein. Dass es aber 122 Fälle waren, bestreite er. So müssten die Frauen also doch aussagen. Der Prozess wird fortgesetzt.

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