Architektur:Das graue Beton-Ungeheuer

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"So schön", sagt dagegen Dieter Henrich über die Beton-Uni, deren Rektor er war.

(Foto: Sebastian Pieknik)

Eine große Blechkugel auf dem Platz, ungemütliche Farben und fensterlose Hörsäle: Früher galt der Baustil der Universität Regensburg mal als modern. Nicht nur Studenten haben ihren brutalen Charme zu schätzen gelernt.

Von Andreas Glas

Wer diesen brutalen Ort begreifen will, muss bei der Kugel anfangen, bei dieser vier Meter großen Blechkugel, mitten auf dem Forum der Uni. Es ist Mai, Dienstagfrüh, aber eigentlich ist das egal. Hier, an der Kugel, ist es wie jeden Tag, wie immer schon, hier sind die Studenten verabredet, hier trifft man sich. Und von hier aus sieht man am besten, wie erbarmungslos dieser Bau ist, wie monströs, wie hässlich und wie schön. Dieser Ort ist eine Provokation, ein graues Betonungeheuer.

Auch Dieter Henrich, 86, steht bei der Kugel. Ein alter Mann mit zerzausten Augenbrauen, klar im Kopf und in der Sprache. Es kommt immer noch Post für ihn, er könnte sich die Post hinterherschicken lassen, aber er holt sie lieber selbst ab. Weil ihn dieser brutale Ort nicht loslässt, seit 50 Jahren nicht, seit er hier seine erste Vorlesung hielt. Damals, sagt Henrich, "war Begeisterung für nackten Beton. Architektur musste ehrlich sein."

Nackt. Ehrlich. Man könnte auch sagen: schamlos. Weil dieser Bau es nicht für nötig hält, sich ein Kleid aus Granit oder aus Sandstein überzuwerfen, wenn Besuch kommt. Wie ein Exhibitionist, ein Zwei-Meter-Schrank, der plötzlich in der Haustür steht und seinen Mantel aufreißt. In your face, würde der Amerikaner sagen, mitten in die Fresse. So fühlt sich die Betonwucht an, wenn man das erste Mal auf den Campus kommt. Die Uni Regensburg ist einer dieser Orte, deren Charme sich nicht sofort erschließt. Wie eine Bekanntschaft, die man zu laut findet, zu derb, zu ungeniert - und mit der Zeit doch lieb gewinnt, eben weil sie so geradeheraus ist, so wunderbar unverstellt.

So ähnlich erzählen das viele, die hier gelehrt oder studiert haben. Bei Dieter Henrich ist das anders, ihn hat die Architektur auf Anhieb begeistert. Was daran liegen könnte, dass er ein Mann der ersten Stunde ist, wie man so sagt. Er kam nach Regensburg, als auch die Universität nach Regensburg kam, 1967, vor eben genau 50 Jahren. Er war Juraprofessor, später Uni-Rektor. Als Henrich hier anfing, stand nur das Sammelgebäude, elf Jahre später war das Ungeheuer ausgewachsen - und fast alle waren begeistert von der 150-Hektar-Betonlandschaft. "Modernste Universität Deutschlands", "Hochschule der Zukunft", das waren so die Schlagzeilen. Damals, als Sichtbeton und geometrisch strenge Formen das Maß der Dinge waren.

"So schön", sagt Henrich. Er steht jetzt im Audimax, dem größten Hörsaal der Uni, dem zweitgrößten Konzertsaal in der Stadt. Auch hier hat er einen festen Platz, ein Konzertabo, Reihe sechs, in der Mitte. "Die Akustik ist vorzüglich", sagt Henrich und schaut hinunter in eine plüschige Gebirgskette aus weinroten Polstersesseln. Der Rest ist nicht so gemütlich, ein Farbenspiel aus hellgrau, mausgrau, depressionsgrau. Dazu passt der Mief, der hier anscheinend auch ein Abonnement hat, dem Geruch nach seit den frühen Achtzigern. Man könnte mal lüften. Ach so, geht ja nicht, es gibt ja keine Fenster, die Mehrzahl der Hörsäle ist fensterlos. "Hat mich nie gestört", sagt Dieter Henrich.

Eine Zeit lang standen auf den Fluren Kübel rum für den Regen

Nein, für störungsanfällige Menschen ist das nix hier. Eine Zeit lang standen auf den Fluren Kübel rum, die den Regen einfingen, der wegen der Flachdächer nicht gescheit ablaufen konnte und durch die Decke plätscherte. Und eines Tages, kurz vor Weihnachten, musste die Bibliothek evakuiert werden, weil auf dem Dach so viel Schnee lag, dass es einzustürzen drohte. Nicht zu vergessen der Betonbrocken, der in den Nullerjahren aus der Fassade brach und um ein Haar den früheren Uni-Rektor Alf Zimmer erschlagen hätte. Alles Anekdoten, die den Imagewandel illustrieren, den das anfangs für seine Modernität gefeierte und später für seine Schäbigkeit verspottete Beton-Ensemble im Lauf der Jahrzehnte durchgemacht hat.

Stimmt schon, sagt Rudolf Deschermeier, früher "gab es sehr viel positives Echo. Und auf einmal war Beton verpönt". Deschermeier, 82, war Leiter des Universitätsbauamts, in den Sechzigern und Siebzigern hat er die Uni maßgeblich mitgeplant. Es war die Zeit des Nachkriegsbooms und des Massenkonsums, damals war die halbe Republik eine Baustelle und die Architekten schufen Bauten für Massen. Es musste sehr schnell sehr viel gebaut werden. Und Beton war eben schnell und billig und fügte sich auch ästhetisch in einen Zeitgeist, der alles Alte und Elitäre loswerden wollte. Beton war Ausdruck einer neuen, demokratischen, klassenlosen Gesellschaft. Oder?

Na ja, sagt Rudolf Deschermeier, ursprünglich sollte die Uni Regensburg aus Ziegeln gebaut werden. Das sei der Plan des für das Gesamtkonzept verantwortlichen Architekten Helmut Gebhard gewesen. Weil Gebhard die Backsteinexzentrik der Amsterdamer Schule so gemocht habe. Die Ziegel-Idee sei aber "an konstruktiven Schwierigkeiten gescheitert", sagt Deschermeier. Oder anders formuliert: Man hat sich aus pragmatischen Gründen für den pragmatischen Baustoff Beton entschieden. War damals ja "ein fortschrittliches Baumaterial", sagt Deschermeier, robust und langlebig.

In der Hektik seien Fehler passiert

Langlebig? Klar, sagt Deschermeier. Aber wenn die Bauarbeiten "nicht richtig ausgeführt werden, dann ist das risikoreich". Darf man Deschermeier glauben, trifft die Planer keine Schuld, dass die Uni heute ein krasser Sanierungsfall ist. Laut Bauplan, sagt er, hätte die Überdeckung an der Fassade zweieinhalb Zentimeter dick sein sollen. Tatsächlich hat der Sichtbeton an manchen Stellen nur sechs Millimeter. "Die Bauleitung hätte das gleich monieren müssen", sagt Deschermeier. Dass niemand moniert hat, habe auch an der "überhitzten Situation am Markt" gelegen. Die Facharbeiter waren knapp, weil zur selben Zeit die Olympiastätten in München gebaut wurden. Alles sei hektisch gewesen und in der Hektik seien Fehler passiert. Das hat sich irgendwann gerächt.

Bald eine halbe Milliarde Euro dürften schon in die Sanierung der maroden Bauten geflossen sein. Aber ganz wird man die Beton-Uni wohl nie wieder flicken können. Das weiß auch Dieter Henrich, der gerade auf die Zentralbibliothek blickt und heute noch so begeistert ist wie damals: "So ein schönes Gebäude", sagt er über das Stahl-Beton-Skelett, das der Münchner Architekt Alexander von Branca entworfen hat. Man muss das dazu sagen, weil das Areal nur so wirkt, als sei es in einem Guss konzipiert worden. Tatsächlich gehen die Einzelbauten auf Entwürfe verschiedener Architekten zurück, darunter Erwin Heinle, Robert Wischer und Kurt Ackermann.

Auch das macht den Reiz des Uni-Campus aus: Kein Gebäude ist wie das andere. Man kann die Regensburger Uni hässlich finden, aber langweilig ist sie nicht. Sie ist ein kunstvoll zusammengewürfeltes Systembau-Ensemble auf einer klar strukturierten Fläche. Man erkennt das gut auf dem südlichen, höher gelegenen Teil des Campus. Hier steht man immer noch zwischen Betonklötzen, an deren Fassaden der Regen der Jahrzehnte schmutzige Flecken gezeichnet hat. Doch zwischen den Bauten führt der Weg durch einen gewaltigen Grünstreifen. Hier sitzen die Studenten unter Bäumen oder liegen auf dem Rasen, haben ihre Rucksäcke wie Kissen unter die Köpfe geschoben oder baden ihre Füße im Campus-See. Hier ist die Grundidee des Areals gut zu erkennen: die grüne Achse, die längs durchs Gelände führt und im Norden den Blick freiräumt für die beiden Türme des Regensburger Doms.

Herrlich, sagt Dieter Henrich, "Bäume und Wiesen". Plötzlich ist da so viel Grün, dass dieses Betonungeheuer seine Bedrohlichkeit verliert. Dann erzählt er von 1977, als die Uni mit dem Fritz-Schumacher-Preis für Baukultur ausgezeichnet wurde - als "schönste Beton-Universität Deutschlands", genau so habe der Laudator das damals formuliert. Schönste Beton-Uni? Darauf kann man sich doch gut einigen.

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