Landwirtschaft:Ställe, so weit das Auge reicht

Der Stall von Martin Huber in Sonnenham

Der Stall von Martin Huber in Sonnenham steht am Hang auf zwei Ebenen. Das Ortsbild stört er nicht, in der Landschaft ist er kaum zu sehen.

(Foto: Matthias Köpf)

Bayern ist geprägt von der Agrarwirtschaft mit ihren bäuerlichen Betrieben. Die sind heute größer denn je und stehen oft unvermittelt in der Gegend. Doch es gibt Beispiele, wie es schöner geht - und bezahlbar.

Von Matthias Köpf

Droben auf einem der Hügel irgendwo zwischen Miesbach und dem Tegernsee steht ein Kran. Einst hätte man hier vielleicht eine Burg gebaut, später eher einen Einfirsthof, die typische Bauform der Bauernhöfe im südlichen Oberbayern. Doch wenn im 21. Jahrhundert auf freier Flur gebaut wird, abseits der Städte, der Dörfer und der wuchernden Gewerbegebiete, dann ist es meistens ein neuer Laufstall. Denn die alte Anbindehaltung ist um der Tiere willen nicht mehr wohlgelitten, viele Molkereien bestehen auf Laufställen oder zahlen ansonsten einen deutlich niedrigeren Milchpreis.

Während die einen Bauern aufgeben, sehen sich die anderen zum Wachsen gezwungen. Und die Kühe in den Ställen werden nicht nur mehr, sie werden sogar größer. Also müssen auch die Ställe immer größer werden. Gekleckert wird längst nicht mehr. Platz für die neuen Klötze ist aber selten im Dorf, sondern eher draußen auf den Wiesen oder droben auf dem Hügel, wie hier. Zu sehen sind bisher nur massive Fundamente, aber das Urteil von Werner Pawlovsky steht schon so fest wie der Stall auf dem ganzen Beton mal stehen wird: "ein unmögliches Trumm."

Pawlovsky ist Kreisbaumeister im Miesbacher Landratsamt und zuständig für eine Landschaft, die das Kapital der Region ist. Diese Landschaft sei eine wunderbare Gastgeberin, findet Pawlovsky, also sollten sich die Gebäude als ihre Gäste auch anständig verhalten - "und das gilt auch für Ställe". Wer Pawlovsky durch diese gastfreundliche Landschaft begleitet, dem schärft sich der Blick für die oft ziemlich rüpelhaften Stallbauten.

Der Kreisbaumeister nimmt gern den Elektro-Dienstwagen, aber seine Zigaretten raucht er nach wie vor ganz analog. Sie behindern ihn keineswegs beim Hantieren mit Bauplänen wie diesem, von denen er jedes Jahr vielleicht ein gutes Dutzend auf den Tisch bekommt. 28 Meter breit soll das Trumm auf dem Hügel demnach werden - doppelt so breit, wie es die alten Einfirsthöfe normalerweise sind. Genehmigen muss er solche Ställe trotzdem, denn die Landwirte genießen im Baurecht ein Privileg: Bestätigt das Landwirtschaftsamt, dass ein Gebäude für den Betrieb sinnvoll ist, dann darf in aller Regel gebaut werden.

Als es Mitte der Neunzigerjahre mit den Laufställen losgegangen sei, habe man über Breiten von 20 Metern die Stirn gerunzelt. "Wenn heute einer kommt und sagt, er will 20 Meter breit bauen, dem fall ich um den Hals", sagt Pawlovsky. Mit dem Bauherrn des Trumms hat er zäh verhandelt, und immerhin: Der Bauer habe den Planer gewechselt, jetzt werde der Stall wohl nicht mehr ganz so schlimm.

Denn geplant und gebaut werden die meisten Ställe inzwischen von einer kleinen Handvoll Firmen, die als Generalunternehmer auftreten und den Bauern ihre immer gleiche Standardlösung zum Fixpreis anbieten. Ein halbe Million Euro reicht da auch für die kleinste Ausführung meist längst nicht mehr.

Pawlovsky scheut sich nicht, diese vier Stallbaufirmen in fast genüsslichem Grant "eine mafiöse Struktur" zu nennen, wobei das organisierte Verbrechen in seinen Augen vor allem ein ästhetisches ist - ein Verbrechen an der Baukultur, die doch überall ihre eigene Ausprägung haben sollte, und zwar im Landkreis Miesbach eine andere als in den Weiten Niedersachsens. "Wo finde ich denn hier 2000 oder 3000 Quadratmeter ebene Fläche für so einen Stall?"

In Hundham im Leitzachtal ist das zum Beispiel schwierig. Hier soll es demnächst eine "Laufstall-Party" geben, verheißt ein Plakat am Dorfrand. Die Location ist noch ein Rohbau, 27 Meter breit, für 50 Melkkühe, zehn Muttertiere und dazu noch das Jungvieh. Bagger und Planierraupen haben einen Stück Hang dafür eingeebnet. Die alte Hofstelle ist einen Steinwurf entfernt und schaut trotz dieser Distanz ziemlich klein aus.

Landwirtschaft: Kreisbaumeister Werner Pawlovsky.

Kreisbaumeister Werner Pawlovsky.

(Foto: Matthias Köpf)

Ganz so unzufrieden ist der Kreisbaumeister mit diesem Stall aber gar nicht, immerhin werde nur wenig Stahl und viel Holz verbaut. Nur mit den großen Fensterflächen aus gewelltem Kunststoff auf den breit ausladenden Giebelseiten wird sich Pawlovsky nie anfreunden. Der Bauer kennt die Einwände, auch seine Pläne sind über den Tisch des Kreisbaumeisters gegangen. Für die Menschen könnten es nie genug Fenster sein, warum sollten die Kühe keine bekommen, fragt er. Weil es drinnen schon durch den verglasten Giebel hell genug werde, sagt Pawlovsky.

Er setzt bei seiner Mission eigentlich auf Positivbeispiele wie den einsam gelegenen Hof bei Geitau. Dort hat sich Georg Kittenrainer, der junge Bürgermeister von Bayrischzell, einen kleine Laufstall bauen lassen. Er musste deswegen nicht größer werden, weil er direkt an den umgebauten alten Stall anschließt und vieles von dem nutzt, was schon da war, während die Standardställe der großen Firmen alles unter einem riesigem Dach vereinen und die alten Ställe dann oft genug leer stehen.

Bauern brauchen kaum etwas weniger als einen, der ihnen noch mehr Vorschriften macht

Auch bei Martin Huber in dem kleinen Weiler Sonnenham im Landkreis Rosenheim sind allerlei Berater und Firmenvertreter vorgefahren. Hubers Hof liegt an einem Abhang, seine Wiesen sind weit verstreut. Früher habe man die Tiere auf die Weide getrieben, doch so weite Wege beim heutigen Verkehr, das gehe einfach nicht mehr. Barbara Huber hat sich gut überlegt, ob sie ihren Beruf als Sozialpädagogin für den Hof aufgeben soll. Wenn, dann wollte sie mit Freude Bäuerin sein, sagt sie, und mit dem alten Stall wäre das nicht gegangen.

Der sei für die Kühe nichts gewesen und für sie selber auch nicht. Und zu klein war er ja auch, denn inzwischen sind pro Tier deutlich mehr Quadratmeter vorgeschrieben als früher. All die Berater hätten ihm gesagt, wenn er konventionell wirtschafte, dann könne er wohl von 80 Milchkühen leben, aber in die Zukunft gedacht sollten es eigentlich 120 sein. Aber die Arbeit mit so viel Vieh sei kaum mehr zu schaffen, sagt Martin Huber. Sein Hof in Sonnenham ist dafür sowieso zu eng und zu schräg.

Landwirtschaft: Standardställe wie dieser machen sich überall breit. In Hundham im Leitzachtal mussten dafür erst einmal Bagger und Planierraupe eine Ebene schaffen.

Standardställe wie dieser machen sich überall breit. In Hundham im Leitzachtal mussten dafür erst einmal Bagger und Planierraupe eine Ebene schaffen.

(Foto: Matthias Köpf)

"Da hätten wir direkt in die freie Natur so einen Stall stellen müssen", sagt er. Die Hubers haben vier Kinder, die zwei Söhne machen eine Ausbildung zum Landwirt. Spätestens diese Generation hätte dann auch ein neues Wohnhaus auf die grüne Wiese gestellt, sagt Martin Huber. Er wollte auf jeden Fall im Ort bleiben. Also wollten die Hubers auf Bio umstellen, da reichen auch 50 Kühe, und irgendwann ist doch noch ein anderer Berater gekommen, und zwar laut Huber "der erste, der da hingeschaut hat und gesagt: geht".

Das war Stefan Bauer, der für das Landwirtschaftsamt in Traunstein als Bauberater für fünf Landkreise entlang der Alpen zuständig ist. Er weiß, dass sich die Anforderungen in der Landwirtschaft rasant verändern, dass die Vorschriften immer mehr werden und dass die Bauern kaum etwas weniger brauchen können als einen, der ihnen noch mehr Vorschriften machen will. Der 44-Jährige kommt selbst von einem Hof in der Hallertau, hat Zimmerer gelernt und Architektur studiert.

Er veranstaltet Seminare, zeigt Modelle, stellt Musterställe von der Landesanstalt mit begrünten Dächern vor und fährt zu den Höfen. Etwa die Hälfte aller bauwilligen Landwirte lasse sich beraten, sagt er. Das, was er ihnen rät, setzen aber die wenigstens in die Tat um, viele lassen sich eher von den üblichen Firmenvertretern überzeugen. Stefan Bauer rät nur selten zu Ställen von der Stange, sondern zu eher zu Konstruktionen aus Holz, am besten aus dem eigenen, gebaut vom Zimmerer und gern mit der Hilfe der Familie. So könnten Ställe entstehen, die sich am Wohl der Tiere und an den Bedürfnissen der Bauern orientieren, aber auch an der örtlichen Bautradition und an der Landschaft.

Landwirtschaft: Das unauffällige Ensemble in Thankirchen hat der renommierte Architekt Florian Nagler für seine Schwester und deren Mann entworfen.

Das unauffällige Ensemble in Thankirchen hat der renommierte Architekt Florian Nagler für seine Schwester und deren Mann entworfen.

(Foto: Matthias Köpf)

Der Stall der Hubers in Sonnenham, den er dann selbst geplant hat, schmiegt sich auf zwei Ebenen an den Hang, den Tieren machen die paar Stufen nichts aus. Massive Wände braucht es kaum, denn Kühen ist es in unseren Breiten eher zu heiß als zu kalt. Die Melktechnik ist nebenan in der früheren Maschinenhalle untergebracht. Für den Stall gab es später den Bayerischen Holzbaupreis, spätestens seither gehört er zu den wenigen Musterbeispielen, wie es auch gehen könnte.

Wenn es unter bayerischen Ställen so etwas wie Leuchttürme gibt, dann steht ein weiterer in Thankirchen im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Auch für ihn gab es einen Holzbaupreis, und er ist einer der wenigen Ställe, die von einem namhaften Architekten geplant wurden. Florian Nagler, der etwa das Besuchergebäude der KZ-Gedenkstätte Dachau entworfen hat, ist zu dem Auftrag aber nur gekommen, weil die Bäuerin seine Schwester ist.

Sie wollte einen schönen Stall, der Schwager wollte einen günstigen, sagt Nagler. Herausgekommen sind ein luftiger Stall und ein massiveres Melkhaus, die eine Linie bilden mit einer vorhandenen Scheune, gebaut mit Tannenholz aus dem eigenen Wald. Nagler, der seine Studenten an der TU München auch mal Ställe entwerfen lässt, ist immer noch zufrieden mit seinem Werk. Außerdem habe es immerhin bewirkt, dass sich in der Umgebung einige Bauern wieder an die örtlichen Zimmerer gewandt hätten.

Der Miesbacher Kreisbaumeister Pawlovsky ist inzwischen in der Nähe von Osterwarngau aus dem Auto gestiegen. Er steht vor einem Stall und zieht grimmig an einer Zigarette. "Das hat sich vorher noch keiner getraut, dass er die ganzen Wände mit Blechpaneelen vollpflastert."

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