Archäologische Grabungen in Aschheim:"Das höflichste Wort ist Spinnerei"

Archäologische Grabungen in Aschheim: Bei einer Ausgrabung wurde ein Glasteller in einem Brunnen gefunden.

Bei einer Ausgrabung wurde ein Glasteller in einem Brunnen gefunden.

Wo immer in Aschheim gebaut wird, suchen Archäologen zugleich nach Spuren der Vergangenheit. Schon seit 30 Jahren wird systematisch gegraben. Das ist zwar nicht immer ganz einfach, gibt der Bürgermeister zu - aber die Ergebnisse sind geradezu sensationell.

Von Hans Kratzer

Die Geschichte vieler bayerischer Orte ist mit einem Ereignis verknüpft, das mehr als 2000 Jahr zurückliegt, aber noch heute Fragen aufwirft. Etwa jene nach der Bedeutung eines fantastischen Glastellers, der in einem Brunnen in Aschheim im Landkreis München zum Vorschein gekommen ist. Um eine Antwort zu finden, muss man bis ins Jahr 15 vor Christus. zurückgehen, in dem Drusus und Tiberius, die Stiefsöhne des Kaisers Augustus, mit ihren Heerhaufen nach Norden marschiert sind, um das keltische Vindelikien zu erobern.

So hieß damals jene Region, die von der Donau südwärts bis ins Gebirge hineinreichte. Obwohl die keltischen Frauen laut dem Chronisten Floris ihre Kinder töten und deren Leichen den römischen Angreifern entgegenschleudern wollten, wird der Widerstand nicht zu heftig gewesen sein, denn sehr schnell war das spätere Südbayern eine römische Provinz. Wie stark diese Gegend damals besiedelt war und wie die Menschen lebten, ist unbekannt. Schriftliches gibt es nicht, nur Funde wie der Glasteller können Licht ins Dunkel bringen.

Hier aber kommt der Zufall ins Spiel. Denn kaum eine Gemeinde erkundet die im Boden schlummernden Relikte systematisch. Eine Ausnahme bildet Aschheim, wo seit 30 Jahren jeder Bauplatz von Archäologen unter die Lupe genommen wird. Auf diese Weise kamen Relikte und Sensationen aus allen Zeitepochen ans Tageslicht. Vor einiger Zeit stießen Archäologen im Ortsgebiet auf einen Holzbrunnen, der zwar nahe einer spätkeltischen Siedlung liegt, aber zu einem frührömischen Landgut gehört hat.

Zwischen 32 und 52 nach Christus erbaut

Der Brunnen ist anhand der Jahresringdatierung zwischen 32 und 52 nach Christus gebaut worden, also kurz nach dem Eroberungsfeldzug von Drusus und Tiberius. "Das kleine Zeitfenster zwischen Kelten- und Römersiedlung lässt vermuten, dass sich die Römer nicht in einem menschenleeren Gebiet angesiedelt haben", sagt Sebastian Sommer, der Abteilungsleiter für die Bodendenkmalpflege im Landesdenkmalamt. Gut möglich, dass sich Römer und Kelten, aus deren Substrat sich später das Volk der Bayern herausgebildet hat, doch noch gut vertragen haben.

Hochinteressant sind die Gegenstände, die in dem Aschheimer Brunnen entdeckt wurden. Am Mittwoch wurden sie im Denkmalamt präsentiert. Der flache Glasteller aus dem 1. Jahrhundert belegt die herausragende Fertigungstechnik der Römer. Der Boden ist verdickt, das Glas ist überragend klar und weist keine einzige Blase auf. Der obere Rand zeichnet sich durch einen kunstvoll geschaffenen Hohlraum aus. Es war ein Präsentierteller, der irgendwann zerbrochen war und im Brunnen entsorgt wurde. Für die Archäologie ist das ein wahrer Glücksfall, weil das Glas zu fast 90 Prozent geborgen wurde und jetzt in der Restaurierungswerkstatt des Denkmalsamts präzise zusammengesetzt wird.

Darüber hinaus entdeckten die Archäologen im Brunnen einen unversehrten Trinkbecher, eine Kanne und eine bronzene Gewandnadel (Fibel) aus der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts. In Aschheim sind bereits mehrere römische Brunnen zum Vorschein gekommen. Dass sich die Holzrelikte über so lange Zeit erhalten haben, liegt am hohen Grundwasserspiegel.

"Das höflichste Wort ist Spinnerei"

Wo immer in Aschheim gebaut wird, wird nach Spuren der Vergangenheit gesucht. "Da gibt es keine Ausnahme", sagt Bürgermeister Helmut Englmann (CSU), der die Bemühungen vorantreibt. Was den Umgang mit der eigenen reichen Vergangenheit angeht, setzt Aschheim Maßstäbe. Dass das nicht immer ganz einfach ist, gibt Englmann unumwunden zu. "Was man da alles zu hören bekommt: Das höflichste Wort ist Spinnerei."

Dafür ist der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn in Aschheim überragend, weit über Kelten und Römer hinaus. In einem Gräberfeld aus dem Frühmittelalter wurden Tote entdeckt, die der ersten europäischen Pest-Pandemie von 541-543 zum Opfer gefallen sind. "Wenn wir uns mit unserer Vergangenheit beschäftigen, tun wir das immer mit dem Blick in die Zukunft", sagt Englmann. Dass die Kelten ihren neuen Nachbarn aus Italien wohl offen begegneten, wurde zu einem Kontinuum. "So kennen wir es bis heute von den Aschheimern", sagt der Bürgermeister.

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