Süddeutsche Zeitung

Arbeitsmarkt:Nach der Krise ist vor der Krise

Die Jobcenter stehen vor neuen alten Herausforderungen

Von Maximilian Gerl

Schaut man sich nur die wichtigsten Kennzahlen an, scheint es, als wäre die schlimmste Zeit dieser Krise überwunden. Für den Arbeitsmarkt listet ein Übersichtspapier, erstellt von der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit, gleich mehrere erfreuliche Werte auf. Demnach wurde hierzulande im Januar der Höchststand der Arbeitslosigkeit seit Ausbruch der Pandemie erreicht. 316 791 Menschen waren damals arbeitslos - knapp 67 000 mehr als im Januar 2020. Seither sind die Arbeitslosenzahlen kontinuierlich gesunken. Auch die Firmen blicken wieder etwas optimistischer in die Zukunft, die Nachfrage nach neuen Mitarbeitern steigt in nahezu allen Branchen. Aktuell sind in Bayern knapp 116 000 offene Stellen gemeldet, das entspricht etwa dem Niveau von Juni 2017. Und verglichen mit 2020 geht eine Prognose für den Jahresdurchschnitt von einem leichten Beschäftigungsplus von 32 400 Menschen aus.

Sorgenfrei ist der Blick auf den Arbeitsmarkt trotzdem nicht. "Wir dürfen nicht vergessen, dass der strukturelle Wandel das Beschäftigungswachstum bereits vor der Corona-Krise gebremst hat", sagt Ralf Holtzwart, Chef der Regionaldirektion. Doch in Krisenzeiten "haben es Menschen, die es eh schon schwerer haben, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen, noch mal ein Stück schwerer". Auch deshalb steigt die Langzeitarbeitslosigkeit in Bayern - ganz entgegen dem sonstigen Trend auf dem Arbeitsmarkt. Im Juni waren 75 162 Menschen langzeitarbeitslos gemeldet. Das waren 24 389 mehr als vergangenes Jahr und sogar 31 802 mehr als im Juni 2019.

Thema war das bislang kaum. Die Auswirkungen der Pandemie haben so vieles überlagert. Langsam treten auch auf dem Arbeitsmarkt die alten Herausforderungen wieder ein bisschen mehr in den Vordergrund. Und sie sind nicht kleiner geworden. Um Arbeitslosigkeit perspektivisch abzubauen, setzen die Jobcenter weiterhin auf Qualifizierung und Weiterbildung. "Fast die Hälfte der Arbeitslosen hat keine abgeschlossene Berufsausbildung, bei den Langzeitarbeitslosen ist der Anteil noch etwas höher", sagt Holtzwart. Die Unternehmen suchten aber vor allem Fachkräfte oder Akademiker. Im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit hofft die Regionaldirektion auf das Teilhabechancengesetz. Das Instrument zeigte vor der Krise Wirkung und sieht unter anderem vor, Arbeitgebern die Lohnkosten zu erstatten, wenn sie Langzeitarbeitslosen eine Chance geben.

Dauerbrenner bleibt auch das Thema Nachwuchsgewinnung. 1,6 Millionen Beschäftigte in Bayern sind mehr als 55 Jahre alt und werden bald in Rente gehen. Doch aufgrund der Demografie nimmt die Zahl derer ab, die ihnen in den Beruf nachfolgen könnten. Seit Jahren klagen vor allem Handwerk, Industrie und Handel über sinkende Bewerberzahlen. Zuletzt führten die Jobcenter rund 40 000 unbesetzte Ausbildungsstellen - während 20 824 junge Menschen noch keine Ausbildung gefunden hatten. Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) warb deshalb vergangene Woche wieder einmal für die berufliche Bildung: "Jetzt den Traumberuf sichern. Es ist noch nicht zu spät für den Ausbildungsstart im Herbst." Der Trend indes geht weiter Richtung Uni und Fachhochschule. Fast ein Drittel der unter 35-Jährigen in Bayern haben einen akademischen Abschluss - bei den Menschen über 55 Jahren sind es dagegen nur 14 Prozent. Besonders hoch sei mit 55 Prozent der Anteil junger Akademiker in IT- und naturwissenschaftlichen Dienstleistungsberufen, heißt es im Papier der Regionaldirektion: eine angesichts von Digitalisierung und Co. durchaus "gute Entwicklung".

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SZ vom 12.07.2021
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