Süddeutsche Zeitung

AOK-Studie:Altenpflege macht krank

  • Altenpfleger in Bayern werden häufiger krank als Menschen in anderen Berufen. Das zeigt eine neue AOK-Studie.
  • Auch das Durchschnittsalter der vor allem weiblichen Mitarbeiter von 43 Jahren steigt.
  • Der Vorwurf, die Kassen lasse das Problem kalt, ist mittlerweile aber überholt.

Von Dietrich Mittler

Das Risiko, berufsbedingt krank zu werden, ist in der Altenpflege um mehr als ein Drittel höher als bei allen anderen Branchen im Freistaat. Dies geht aus einer neuen Studie der AOK Bayern hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Demnach hat sich der Gesundheitszustand des Personals in der Altenpflege im Vergleich zu den zurückliegenden Jahren weiter verschlechtert. Der Gesamtkrankenstand in der Altenpflege habe 2013, so heißt es im AOK-Report, "seinen bisher höchsten Wert erreicht".

Angesichts der beruflichen Belastungen seien die Pflegekräfte im Schnitt auch länger krank als die Mitarbeiter aller anderen Berufsfelder. Die Fälle von Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen liegen im Bereich der Altenpflege nach Erkenntnis der AOK gar "um 65 Prozent über der Vergleichsgröße aus Bayern".

Mehr Langzeiterkrankungen

Besonders häufig sind Pflegekräfte in Bayerns Altenheimen von Atemwegserkrankungen betroffen (gut 23 Prozent), die Infektionsgefahr ergebe sich schon allein "durch engen Körperkontakt". Aber auch "Stich- und Schneideverletzungen bei gleichzeitigem Umgang mit Körperflüssigkeiten" stellten ein typisches Infektionsrisiko dar. Ständiges Gehen und Stehen sowie das Heben und Tragen von bettlägerigen Menschen seien wiederum verantwortlich dafür, dass im Altenpflegebereich Muskel-Skelett-Beschwerden mit fast 16 Prozent in der Tabelle der häufigsten Erkrankungen an zweiter Stelle auftauchen, gefolgt von nicht näher klassifizierten Symptomen (9 Prozent), zu denen etwa Kopf- und Bauchschmerzen sowie Fälle von Übelkeit mit unbekannter Ursache zählen.

"Fast die Hälfte der 820 000 krankheitsbedingten Fehltage in der Altenpflege wurde durch Langzeitfälle von mehr als sechs Wochen verursacht", sagte Hubertus Räde, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der AOK Bayern, in Nürnberg. Doch auch diese Erkenntnis lässt aufhorchen: Der Altersdurchschnitt der meist weiblichen Mitarbeiter in Bayerns Pflegeheimen liegt bei fast 43 Jahren. Tendenz steigend, ließ Räde durchblicken. Dementsprechend machte Gesundheitsministerin Melanie Huml am Donnerstag im Landtag deutlich, sie wolle dringend junge Menschen für die Pflege gewinnen, um "drohenden Personalengpässen" entgegenzutreten.

"Wir haben es hier mit einer Berufsgruppe zu tun, die offenbar keine Schmerzgrenze kennt", hatte der Münchner Pflegeexperte Claus Fussek bereits vor Jahren provokant in den Raum gestellt. Die AOK-Auswertung von mehr als 44 000 Versicherten-Daten bestätigt diese These zumindest im Ansatz. Fusseks früherer Vorwurf, die Kassen lasse das kalt, ist jedoch überholt.

Nach Rädes Worten hat die AOK Bayern in mittlerweile 313 Pflegeheimen Projekte in Gang gebracht, um dort arbeitsbedingte Gesundheitsbelastungen zu reduzieren. Profitiert haben davon demnach 36 000 Mitarbeiter. In den beratenen Heimen seien sowohl der Krankenstand als auch die Personalflucht gesunken. "Es ist wichtig, dass sich Arbeitgeber in Pflegeeinrichtungen noch stärker als bisher der betrieblichen Gesundheitsförderung zuwenden", sagte Gesundheitsministerin Melanie Huml auf Anfrage.

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Quelle:
SZ vom 12.12.2014/ahem
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