Anzeigen gegen Verkehrssünder:Dirty Harri

Bei Falschparkern kennt er keine Gnade: Einst wurde Harri F. zum "nettesten Schutzmann" Berlins gekürt, nun lebt der pensionierte Polizist in Niederbayern - und bringt ganz Osterhofen gegen sich auf. Mit etwa 1000 Anzeigen allein im vergangenen Jahr.

Von Wolfgang Wittl

Es hat schon ungemütlichere Wintertage in Osterhofen gegeben. Die Sonne taucht die niederbayerische Kleinstadt in ein helles Licht, am Marienplatz herrscht Ruhe. Ungewöhnliche Ruhe. Eine Kamerafrau ist auf der Suche nach den besten Fernsehbildern. Die Auswahl ist überschaubar: ein Taschenladen, zwei Modegeschäfte, ein Fotostudio, ein Friseursalon, eine Sparkasse, ein Restaurant. Und, ach ja: sechs Halteverbotsschilder.

Im ersten Stock über dem Fotostudio sind die Jalousien nur einen Spaltbreit geöffnet. Hier soll er also wohnen, der Mann, der die halbe Stadt gegen sich aufgebracht hat. Ein ehemaliger Polizist aus Berlin, der alles und jeden anzeigen soll - ungefähr 1000 Mal allein im vergangenen Jahr. Im Polizeipräsidium Niederbayern haben sie bereits eine Rangliste der vier häufigsten Delikte erstellt, die ihr ehemaliger Kollege Harri F. meldet: Verstöße gegen das Halteverbot, Parken in der Feuerwehr-Anfahrtszone, Motorradfahren ohne Helm, falsches Einbiegen in die Einbahnstraße. Sogar zwei Polizisten hat F. angezeigt, weil sie seiner Ansicht nach zu lasch gegen Verkehrssünder vorgingen. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren eingestellt.

Ob Harri F. auch in diesem Moment gerade aus seinem Fenster blickt?

Kamer Ismaljaj ist davon überzeugt. Seine Familie betreibt das gegenüberliegende Speiselokal - und in gewisser Weise sind die Ismaljajs nicht nur Hauptleidtragende, sondern auch Auslöser des Malheurs.

2009 zog Harri F. an den Marienplatz, erzählt Kamer Ismaljaj. Anfangs sei das Verhältnis gut gewesen. Der Hauptkommissar a. D. kam dreimal die Woche zum Essen, war ein angenehmer Gast. Nur ab und zu habe er andere Lokalbesucher mitunter energisch ermahnt, dass sie ihr Auto doch nicht im Halteverbot abstellen sollen. Die Vorfälle häuften sich, bis die Situation an einem verkaufsoffenen Sonntag eskalierte.

"Seitdem bin ich um 1700 Euro ärmer"

Eine Nachbarin lieferte Kuchen für den Stand der Kinderkrebshilfe an, "für einen guten Zweck", sagt Kamer Ismaljaj. Weil die Zufahrt gesperrt gewesen sei, habe sie den kurzen Weg durch die Einbahnstraße genommen. Als F. die Frau deshalb erbost angegangen sei, hat es Kamers Bruder Musa gereicht. Er erteilte F. Lokalverbot. "Seitdem bin ich um 1700 Euro ärmer", sagt Kamer Ismaljaj. So viel hat er aufgrund der Anzeigen bislang bezahlt. Mittlerweile müsse der Postbote sogar klingeln, weil die Bußgeldbescheide nicht mehr in den Briefkasten passen. Das jüngste Bündel ist so dick wie eine Zeitung.

Insgesamt hat Harri F. dem Freistaat ein hübsches fünfstelliges Sümmchen eingebracht. Die Polizei bescheinigt dem Pensionär ein "fast professionelles, sehr fundiertes Vorgehen", wie Sprecher Michael Emmer anerkennt. F. erstelle Listen mit präzisen Zeitangaben und Handskizzen. Alle zwei, drei Monate, rechtzeitig vor der Verjährung der Verstöße, treffe bei der Polizeiinspektion Plattling ein Umschlag mit bis zu 300 Anzeigen ein. Eine Mitarbeiterin ist dann 20 Stunden beschäftigt, bis alle Fälle abgearbeitet sind. Höchstens fünf Prozent der Beschuldigten legen Einspruch ein, schätzt Emmer. "Der Rest zahlt."

Die Polizei ist verpflichtet, den Anzeigen nachzugehen. Zur Motivation des ehemaligen Kollegen will man sich nicht äußern. Man werde F. auch nicht nahelegen, seine Aktivitäten zu drosseln, schließlich ist er im Recht. Es sei aber schon so, dass die Kollegen in Osterhofen ausreichend Präsenz zeigten. Nur weise man die Bürger lieber zuerst auf ihr Fehlverhalten hin, ehe es einen Strafzettel setzt. Im Fachjargon heißt das: gebührenfreie Verwarnung.

Vom nettesten Schutzmann zum Knöllchen-Harri

Das Bußgeld für die von F. angezeigten Verkehrsverstöße bewegt sich in der Regel zwischen zehn und 35 Euro. Es gibt einen Zeitungsartikel aus dem Jahr 2000, in dem der Berliner Kurier ihn zum "nettesten Schutzmann" der Hauptstadt kürte, weil er den Menschen immer alles so nett erkläre. In Osterhofen firmiert der Pensionär nur noch als "Knöllchen-Harri", erklären will er lieber nichts mehr. Seine Haustür bleibt verschlossen, Journalisten sagt er nur, dass er nichts zu sagen habe.

Früher habe man mit F. noch reden können, sagt Bärbl Zwickl, heute grüße man sich nicht mal mehr. Wie andere Händler am Marienplatz fühlt sich die Boutiquen-Inhaberin "nur noch genervt" von ihrem aufmerksamen Nachbarn: F. verprelle Käufer, sein Verhalten sei geschäftsschädigend. Die erste Frage, die Zwickl ihren Kunden stellt, lautet, ob sie eine Parkscheibe im Auto haben. Wenn sie dann eine Minute überziehen, sei die Anzeige garantiert. "Am meisten aber stört mich diese ständige Überwachung, 24 Stunden am Tag."

Neun Minuten und 31 Sekunden habe er einmal zum Ausladen des Wagens benötigt, sagt Kamer Ismaljaj, das habe Harri F. mitgestoppt. Doch 300 Liter Getränke über den ganzen Marienplatz zu tragen, sei auch keine Lösung. Ein Freund vom Fußball habe an fünf Tagen hintereinander jeweils 35 Euro Bußgeld zahlen müssen. Mitbekommen hat er es erst Wochen später nach F.s gesammelten Anzeigen. Wie es nun weitergeht? "Ich weiß es nicht."

Auch Bürgermeisterin Liane Sedlmeier wirkt ratlos. Weil an der Beschilderung wohl kaum etwas zu ändern ist, will sie demnächst das Gespräch mit F. suchen: "Mein Motto lautet: Leben und leben lassen." Die Bürgermeisterin sorgt bereits um den Erfolg der vergangenen Jahre. Nur unter großen Anstrengungen sei es in Osterhofen gelungen, den Marienplatz wieder zu beleben. Der Slogan der Stadt lautet: "Kostenlos parken, herzoglich einkaufen."

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